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Michael Hüther Gastbeitrag 17. April 2008

Kein Krieg der Generationen

Mit der Rentenerhöhung ist die Bundesregierung nicht auf der Suche nach Gerechtigkeit, sondern nach Wählerstimmen.

Die von der Bundesregierung beschlossene Rentenerhöhung ist völlig zu Recht gescholten worden. Der Glaubwürdigkeitsschaden ist immens. Leidtragender ist das auf langfristige Stabilität und damit auf Tragfähigkeit im demografischen Wandel angewiesene Umlageverfahren. Erstaunlich wird dieser Vorgang durch die politische Begründung: Man wirft ein anerkannt funktionsfähiges Rentensystem aus der Bahn, um – so wurde von der Kanzlerin überliefert – einen "Konflikt zwischen Ordnungspolitik und Generationengerechtigkeit" zugunsten Letzterer zu lösen.

Die Ordnungspolitik vertritt dieser Logik zufolge die Interessen der Heutigen, die Generationengerechtigkeit die Interessen der Künftigen. Oder andersherum?

Egal wie, falsch ist es in jedem Fall. Ordnungspolitik wirbt für eine der Freiheit angemessene Verantwortungsteilung, das Haftungsprinzip ist hier von grundsätzlicher Bedeutung. Das Umlagesystem bringt drei Generationen in einer Haftungsgemeinschaft zusammen: die Ruheständler, die Erwerbsfähigen und die Kinder. Sie alle sind über die Höhe der Renten und deren Finanzierung zu beteiligen.

Die Ordnungspolitik ist kein Ein-Generationen-Konzept. Dies macht schon der Ruf Walter Euckens nach einer verlässlich auf Preisniveaustabilität ausgerichteten Geldpolitik deutlich. Der Kampf gegen Inflation bedeutet, einen gegenwärtigen Verteilungsstreit nicht künftigen Generationen aufzubürden. Auch die Forderung, die Wirkungen individuellen Handelns auf Dritte, Ökonomen sprechen von "externen Effekten" verursachungsgerecht zu integrieren, eröffnet eine Perspektive über das Jetzt hinaus. Das Besondere der Generationengerechtigkeit, das sich aus der Verknüpfung von drei Lebenskreisen ergibt, lässt sich konsistent mit diesen Überlegungen verbinden.

Generationengerechtigkeit ist ein zugleich bedingtes wie offenes Konzept: Der Gerechtigkeitsbegriff wird von der heutigen Generation definiert, die aber durch Entscheidungen früherer Generationen in ihrer Autonomie beschränkt ist. Es bedarf dabei eines zweifachen Interessenausgleichs: innerhalb der gegenwärtig handlungsfähigen Generation sowie zwischen dieser und den künftig Lebenden. Nach John Rawls geht es darum, "dass jede Generation ihren gerechten Teil von ihren Vorfahren empfängt und ihrerseits die gerechten Ansprüche ihrer Nachfahren erfüllt".

Entsprechend sollen Nachhaltigkeits- und Nachholfaktor in der Rentenformel die demografischen Belastungen zwischen den Generationen fair verteilen. Gegen dieses bis vor kurzem politisch mehrheitlich als erfüllt angesehene Ziel wurde nun eine einseitig die jetzigen Rentner begünstigende sowie einseitig die jetzigen und künftigen Beitragszahler belastende Entscheidung gesetzt. Da war niemand in der Regierung auf der Suche nach Gerechtigkeit, sondern auf der Suche nach Wählerstimmen. Für durchschnittlich 13 Euro im Monat glaubt man, die Älteren an sich binden zu können.

Dies klingt absurd, und es spiegelt ein ziemlich verqueres Bild von den Älteren wider. Danach sind die Ruheständler eine gesellschaftliche Gruppe, die ihren Anspruch an Fairness in der wahllosen Zuteilung ungedeckter Wechsel erfüllt sieht. So wird ein Konflikt heraufbeschworen, der zurzeit in mehreren Leitmedien der Republik als Machtübernahme der Rentner oder als Krieg der Generationen firmiert. Dieses Bild ist unpassend. Ein Krieg stellt klar abgegrenzte Gruppen gegeneinander. Doch alle Alten waren einmal jung, und alle Jüngeren haben die Chance, alt zu werden.

Dabei funktioniert der innerfamiliäre Drei-Generationen-Vertrag unverändert gut. Die meisten in unserer Gesellschaft sehen sich in vielen Lebenskreisen unterschiedlichen Situationen des Alters und des Alterns gegenüber. Man erfährt dies aus eigener Erfahrung, aus der Schilderung anderer oder erwartet, es selbst zu erleben. So ist das Schlimmste an dieser Rentenerhöhung, dass sie Gräben aufreißt, in denen niemand kämpfen will. Doch der mediale Aufruhr wird seine Wirkung entfalten. So müssen Seniorenverbänden Vorwürfe parieren, welche die Politik provoziert hat.

Die Inszenierung des Generationenkonflikts hält uns von der notwendigen Einsicht ab, dass in einer Gesellschaft des immer längeren Lebens der Einzelne stärker zur Verantwortung durch Selbstvorsorge aufgerufen ist. Der Blick auf den eigenen Lebenslauf kann nicht nur von der Rückschau, sondern muss ebenso von einer realistischen Erwartung für die Zukunft geprägt sein. Die Potenziale des Alters sind – wie im 5. Altenbericht der Bundesregierung eindrücklich beschrieben – weitaus größer und gestaltbarer als gemeinhin gedacht.

Wer jedoch das längere Leben eher als Gefahr sieht, weil Arbeitsmarktpolitik und Arbeitsmarktakteure den Leistungsabbau durch Altern zum Leitbild erheben, der wird sich schwertun, diese Potenziale zu erkennen und zu nutzen. Die umfassende Ablehnung des erhöhten Rentenzugangsalters kann als Indiz dafür gelten. Die krankheitsbezogenen Risiken des Alters sollten aber, das sagt uns die Gerontologie, nicht Ängste mobilisieren. Sie sollten vielmehr die Einsicht stärken, dass in der andauernden Aktivierung menschlicher Leistungsfähigkeit zugleich die beste Prävention liegt.

Man kann vor diesem Hintergrund mutig formulieren: Die Verlängerung der Lebensarbeitszeit ist in einer Gesellschaft des immer längeren Lebens zwingend. Sie entspricht der Eigenverantwortung durch Prävention. Das ist der faire Beitrag der jetzt Erwerbsfähigen zur praktischen Generationengerechtigkeit. Dies setzt freilich individuelle, betriebliche und gesellschaftliche Lern- und Anpassungsprozesse voraus. Sie können uns dabei helfen, unnötige Konflikte zu vermeiden und verfehlte Altersbilder aufzugeben.

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