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Michael Hüther Gastbeitrag 12. Oktober 2006

Kein Himmel auf Erden

Der Erfolg einer Volkswirtschaft im globalen Wettbewerb lebt von Innovationskraft und unternehmerischem Geist

Gelegentlich gerät die wirtschaftspolitische Debatte in die Untiefen des Feuilletons. Derzeit erleben wir dies an der um sich greifenden Diskussion über die Bedrohung des Westens durch die Globalisierung. Gar von einem Weltkrieg neuer Art wird fabuliert, in dem die etablierten Industrieländer existenzieller Bedrohung ausgesetzt seien. Wie bestellt liefert das wirtschaftliche Geschehen Anschauungsmaterial: Allem voran der Niedergang der Handy-Produktion von Siemens, noch dazu unter tätiger Mithilfe von Asiaten.

Die dramatischen. Unterschiede im Entwicklungsniveau und dadurch bei den Einkommensansprüchen sowie fragwürdige Politikpraktiken vor allem in China sind es, die Sorge bereiten und als Begründung für neue Abwehrstrategien des Westens dienen. Würde nicht reagiert, dann wäre die Zeit nicht weit, in der China als Produktionsort umfassend die Welt versorgen würde. Von der Glühlampe bis zum High-Tech-Produkt käme alles aus Fernost, während bei uns die Massen in Arbeitslosigkeit versinken würden. Sosehr dieses Bild im Feuilleton wirken mag, ökonomisch trägt es nicht.

Schon seit Ricardo wissen wir, dass letztlich komparative Kostenvorteile den internationalen Handel antreiben. Selbst wenn in einem Land alle Produkte billiger hergestellt werden könnten, also durchweg absolute Kostenvorteile vorlägen, würde sich Spezialisierung lohnen. Und zwar auf jene Güter, bei denen die Vorteile im Vergleich untereinander und gemessen an den Verhältnissen anderenorts am größten sind.

So ergeben sich Muster der internationalen Arbeitsteilung, bei denen exportiert wird, was besonders effizient erzeugt werden kann, und anderes wird importiert. Wie sonst, wenn nicht durch solche Handelsbeziehungen, sollte in einem an Rohstoffen armen Land die Einkommensbasis für die Finanzierung der Importe entstehen?

Was aber ebenso irritiert an den Szenarien eines Niedergangs im Westen, dass sind die Widersprüche zur bisherigen Erfahrung. China wird nicht erst, sondern ist bereits ein maßgeblicher Spieler in der Weltwirtschaft. Zum Zuwachs der Weltproduktion seit dem Jahr 2000 steuerte diese Volkswirtschaft rund 25 Prozent bei. Die historisch einmalige Expansion der Weltwirtschaft geht neben strukturellen Vorteilen wie der Liberalisierung der Märkte, der Globalisierung der Arbeitsteilung und dem Zugewinn an Stabilitätskultur auch auf die Dynamik der Schwellenländer zurück.

Deutschland ist ein Profiteur dieser Entwicklung. Die internationale Wettbewerbsfähigkeit unserer Unternehmen und Produkte lässt die Auftragsbücher überquellen. Auch der Mangel an hoch qualifizierten Beschäftigten macht deutlich, dass Deutschland als Hochtechnologie-Standort unverändert Perspektiven hat. Die Wachstumshemmnisse, die wir verspüren, sind hausgemacht, nicht importiert: das Desaster der Bildungspolitik, die Versäumnisse oder Verzögerungen bei der Deregulierung, frühere Übertreibungen der Lohnpolitik, die Fehlfinanzierung der sozialen Sicherungssysteme sowie die zu hohe Besteuerung unserer Unternehmen.

So anregend extreme Szenarien sein mögen, sie bergen immer die Gefahr linearer Überzeichnung. Die notwendige Vereinfachung der Fortschreibung muss die Wendungen der realen Welt übergehen. Können wir uns wirklich vorstellen, dass die wirtschaftliche Expansion Chinas angesichts der damit einhergehenden ungebremsten Ausbeutung von Mensch und Natur der direkte Weg zu guten Standortbedingungen ist? Wie sind die Möglichkeiten eines Zerfalls der bestehenden staatlichen Ordnung und damit einer Regionalisierung politischer Macht in China zu bewerten? Welche Konsequenzen wird die Ein-Kind-Politik angesichts der noch schwachen Einkommensbasis auf die Tragfähigkeit der ökonomischen Entwicklung haben?

Aus der Verkennung von Chancen und der Überhöhung von Risiken entsteht eine Melange aus Pessimismus und der Bereitschaft, vermeintliche Zaubermittel zu nutzen. Die transatlantische Freihandelszone, die jetzt vorgeschlagen wird, ist eine solche Zauberformel, die am Ende zu nichts Gutem führen wird.

Die Globalisierung des Standortwettbewerbs trägt ihre Früchte, weil sie auf freiem Welthandel Und offenen Märkten beruht. Regionale Handelsbündnisse haben dagegen immer den Beigeschmack des Protektionismus. Das Scheitern der WTO-Ministerkonferenz in Cancun im Jahr 2003 hatte mit der transatlantischen Allianz in agrarpolitischen Fragen zu tun, die den Entwicklungsländern keinen Zugang bot und zu wenig Liberalisierung verhieß.

Nur die Klärung der strittigen Fragen in einem immer noch möglichen Abschluss der Doha-Welthandelsrunde bietet die Möglichkeit, faire Rahmenbedingungen für Exporte, Investitionen und die Sicherung geistigen Eigentums zu schaffen. Eine transatlantische Freihandelszone würde diese Option gänzlich zunichte machen. Damit würden wir schließlich alle verlieren. Denn der unternehmerische Erfolg muss sich im globalen Wettbewerb erweisen. Dass dies, so von Schumpeter beschrieben, ein Prozess der schöpferischen Zerstörung ist, wird immer noch nicht verstanden. Die Aufregung über Siemens zeigt es.

Zur Marktwirtschaft gehört unternehmerisches Versagen, das Versprechen dieser Wirtschaftsordnung ist nicht der Himmel auf Erden. So dramatisch dies im Einzelfall ist, das Problem liegt nicht in dem Verschwinden, sondern in dem unzureichenden Entstehen von Unternehmen. Der Erfolg einer Volkswirtschaft im globalen Wettbewerb lebt von Innovationskraft und unternehmerischem Geist. Beides gedeiht nicht im staatlichen Hort, sondern nur unter Konkurrenzbedingungen. So richten die Politiker ihre Klagen über Siemens, unbenommen der dort zu verantwortenden Fehler, im Grunde an sich selbst.

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