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Finanzminister Olaf Scholz unterhält sich mit dem Präsident der Europäischen Zentralbank Mario Draghi während des Treffens der EU-Finanzminister.
Jürgen Matthes auf Focus Online Gastbeitrag 6. Dezember 2018

Reform der Europäischen Währungsunion: Risiken zu groß: Warum nordische Eurostaaten keine Transferunion wollen

Bei den Beschlüssen der Euro-Finanzminister zur Reform der Europäischen Währungsunion (EWU) haben die nordischen Eurostaaten eine klare Kante gezeigt. Sie haben verhindert, dass umfangreiche neue Mechanismen zur Risikoteilung und Vergemeinschaftung beschlossen wurden, schreibt IW-Wirtschaftsexperte Jürgen Matthes in einem Gastbeitrag auf Focus Online.

Das ist alles andere als selbstverständlich, weil zuvor große Erwartungen geschürt worden waren.

- So hatten Südeuropa und Frankreich umfangreiche Hilfen aus Brüssel zur Konjunkturstabilisierung bei schweren Krisen gefordert, idealerweise ohne große Reformbürden.

- Zu diesem Zweck hatte der deutsche Finanzminister im Sommer eine europäische Arbeitslosen-Rückversicherung in Aussicht gestellt.

- Frankreich und Deutschland hatten erst kürzlich ein eigenes Euro-Budget im EU-Haushalt für Konvergenz, Wettbewerbsfähigkeit, aber auch Stabilisierung gefordert.

- Und schon lange wollten Italien und Co. endlich den Einstieg in ernsthafte politische Verhandlungen für eine europäische Einlagensicherung bei Banken.

Bei vielen dieser Vorschläge droht die Gefahr, dass sie bei zu lascher Gestaltung Reformanreize mindern und möglicherweise die Tür zu einer Transferunion öffnen, erst ein Stück weit und später immer mehr. Wegen dieser Gefahren hatte die deutsche Bundesregierung lange auf der Bremse gestanden. Die neue große Koalition hat inzwischen aber den Kurs geändert, um die ausgestreckte Hand (oder zumindest ein paar Finger) von Frankreichs pro-europäischem Staatspräsidenten Emmanuel Macron zu ergreifen.

In der Folge kamen andere kritische Eurostaaten aus der Deckung, die sich lange hinter den breiten deutschen Schultern in Brüssel verborgen hatten. Dazu gehören allen voran die Niederlande, aber auch andere nordische Euroländer. Sie lehnen eine großzügige Risikoteilung und eine Vergemeinschaftung von Risiken strikt ab und setzen mit Nachdruck auf mehr Stabilität und Schuldenabbau.

Wegen Italien: Nordische Staaten halten Druck aus Frankreich Stand

Auch weil Italien zuletzt die Fiskalregeln der EU offen brechen will, dürften sich die nordischen Staaten so beharrlich quer gestellt und dem starkem Druck aus Frankreich standgehalten haben. Sie konnten auf diese Weise größere Maßnahmen zur Risikoteilung verhindern, zumindest vorerst: Über eine gemeinsame europäische Arbeitslosenversicherung soll lediglich auf technischer Ebene weiter diskutiert werden. Der Einstieg in ernsthafte Verhandlungen über eine europäische Einlagensicherung fand nicht statt.

Es wurde lediglich eine „hochrangige“ Arbeitsgruppe gegründet - getreu dem Motto: „wenn ich nicht mehr weiter weiß, gründe ich einen Arbeitskreis“. Und beim Euro-Budget wurde die Stabilisierungskomponente gestrichen. Über die übrigen Teile wird nur weiterverhandelt, wenn die Staats- und Regierungschefs dazu nächste Woche auf dem Euro-Gipfel das Mandat erteilen.

Zwei Maßnahmen, um Missbrauch und Fehlanreize zu verhindern

Einige kleinere Schritte zur Stärkung der EWU haben die Euro-Finanzminister aber doch gemeinsam beschließen können. Dabei haben sie eine akzeptable Balance zwischen etwas mehr Risikoteilung und mehr Risikoreduktion erzielt. Auf Seiten der verstärkten Risikoteilung stehen zwei Maßnahmen, die beide mit zahlreichen Bedingungen versehen sind, um einen Missbrauch und Fehlanreize zu verhindern.

1. Der Zugriff auf ein schon bestehendes konditioniertes Stabilisierungsinstrument wird vereinfacht. Dazu werden vorsorgliche Kredithilfen des Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) leichter zugänglich gemacht, indem die Anforderung für zusätzliche Reformauflagen entfällt. Doch ohne Bedingungen gibt es auch diese Hilfen nicht. Es bleibt dabei, dass der Zugang nur für Staaten mit guter Wirtschaftspolitik möglich ist, die unverschuldet von einer größeren Krise getroffen werden. Diese vorgelagerte Konditionalität haben die Finanzminister nun klarer gefasst.

Um Zugang zu erhalten, müssen Eurostaaten strikte und konkrete quantitative Vorgaben des Stabilitäts- und Wachstumspaktes (SWP) einhalten mit Blick auf Fiskaldefizit und Schuldenstand. Außerdem dürfen sie sich nicht in einem Verfahren beim SWP oder der makroökonomischen Überwachung befinden. Dass sie diese Bedingungen auch weiterhin einhalten, müssen sie schriftlich und formell zusichern. Damit stärken die Euro-Finanzminister die Anreize, die europäischen Regeln zu befolgen. Es muss freilich sichergestellt werden, dass die Vorschriften für diese Hilfen auch dauerhaft eng ausgelegt werden.

2. Die Bankenunion wird  gestärkt, indem der ESM ein neues Hilfsinstrument bekommt. Spätestens 2024 wird eine staatliche Letztsicherung (Backstop) für den europäischen Bankenrettungsfonds (SRF) eingeführt, der seine Beiträge von den Banken erhält. Das Backstop-Volumen ist gedeckelt und soll zunächst – ähnlich wie der SRF – gut 60 Milliarden betragen. Der ESM würde aber nur eingreifen, wenn eine Bankenkrise so groß ist, dass der SRF nicht ausreicht. Hilfen müssen vom ESM-Direktorium grundsätzlich einstimmig beschlossen werden, so dass Deutschland ein Vetorecht hat und der Bundestag wie üblich beteiligt ist.

Auszahlungen an den SRF sollen auch für Liquiditätshilfen an Banken möglich sein. Sie werden aber nur als Kredite gewährt, die vom Bankenrettungsfonds nach und nach wieder zurückzuzahlen sind. Wichtig ist auch: Ein bestehendes Instrument in ähnlicher Größenordnung, das dem ESM direkte Bankenhilfen erlaubt, wird im Austausch mit dem Backstop abgeschafft. Das entlastet den ESM per Saldo von Risiken, weil er sich bei diesem Instrument mit erheblichen Verlustrisiken an notleidenden Banken hätte beteiligen müssen.

Euro-Finanzminister reduzieren die Risiken

Neben den Maßnahmen für etwas mehr Risikoteilung haben die Euro-Finanzminister auch mehrere Beschlüsse zur Risikoreduzierung und für eine bessere Überwachung und Disziplinierung nationaler Wirtschaftspolitik gefasst, die positiv zu werten sind:

- Mit zahlreichen Maßnahmen sollen Risiken im europäischen Bankensystem reduziert werden. Dazu gehören vor allem Vorgaben für den Abbau notleidender Kredite. Hier haben die Euro-Finanzminister richtiger Weise als Orientierung konkrete Kriterien für große Banken gesetzt, um das Risiko zu mindern, dass systemrelevante Banken an ihren notleidenden Krediten scheitern und zur Last für den gesamten Euroraum werden. Zudem müssen Banken ein Mindestmaß an Kapital aufbauen , das im Abwicklungsfall sofort zur Verfügung steht, um die Steuerzahler bei Bankenpleiten besser zu schützen. Nur wenn es hier genügend Fortschritte gibt, kann der ESM-Backstop früher als 2024 beginnen.  

- Die Rolle des ESM wird in verschiedenen Hinsichten gestärkt: bei der Überwachung von Risiken in Euroländern, bei Schuldentragfähigkeitsanalysen sowie bei der Verhandlung und Kontrolle von Hilfs- und Reformprogrammen.

- Die Euro-Finanzminister haben Schritte zur Schaffung eines geordneten Insolvenzverfahrens für Staaten unternommen. Im Kleingedruckten von Staatsanleihen sollen ab 2022 neue Regeln eingeführt werden. Damit wird es bei einem Staatsbankrott und staatlichen Schuldenschnitt für einzelne Gläubiger (so genannte „Hold-outs“) schwerer, eine Einigung in den Verhandlungen mit dem Schuldnerstaat zu blockieren. Zudem soll der ESM die Verhandlungen begleiten dürfen. Beides erleichtert tendenziell einen Schuldenschnitt. Private Gläubiger dürften bei Ländern wie Italien folglich in Zukunft genauer hinsehen.

Doch das reicht noch nicht. Damit eine Staateninsolvenz auch wirklich machbar ist, dürfen Banken nicht mehr so viele Staatsanleihen ihres Staates halten. Andernfalls führt ein staatlicher Schuldenschnitt unausweichlich zu einer Bankenkrise im betreffenden Land mit großen Ansteckungseffekten für die Banken in anderen Euroländern. Hier liegt wohl das größte verbleibende Risiko im Euroraum.

Meine Meinung: Obergrenzen für Anleihen des eigenen Staates setzen

Deshalb muss die Bankenregulierung geändert werden, indem Banken Obergrenzen für Anleihen des eigenen Staates gesetzt werden. Die Euro-Finanzminister schweigen dazu jedoch, weil vor allem südeuropäische Staaten, aber auch Frankreich gegen diese Reform sind. Solange das so bleibt, darf eine europäische Einlagensicherung nicht kommen.

Zum Gastbeitrag auf focus.de

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