Der Anteil der Arbeitnehmer zur Krankenversicherung steigt und steigt. Eine paritätische Teilung des Beitragssatzes hilft aber weder den Anstieg der Ausgaben in der Gesetzlichen Krankenversicherung zu bremsen, noch die Finanzierungslasten anders zu verteilen.
Warum es unvermeidlich ist, dass Beschäftigte mehr in die Krankenkasse zahlen
Seit Einführung des Sonderbeitrags im Jahr 2005 wird der Beitragssatz zur Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) nicht mehr in gleichen Teilen von Arbeitnehmern und Arbeitgebern gezahlt. Außerdem erhielten die gesetzlichen Kassen ab 2009 die Möglichkeit, einen weiteren Beitrag bei ihren Mitgliedern einkommensunabhängig zu erheben. Beide Instrumente hat die Große Koalition in dem kassenindividuellen Zusatzbeitragssatz vereint. Während der Arbeitgebersatz auf 7,3 Prozent festgeschrieben bleibt, müssen Arbeitnehmer in diesem Jahr durchschnittlich 8,4 Prozent zahlen. Dies, so die Verfechter einer „paritätischen Finanzierung“, sei ein Verstoß gegen die Solidarität.
Die daraus abgeleitete Forderung nach einer Rückkehr zur genauen Teilung des Beitrags zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer suggeriert, dass die Lasten in der Vergangenheit paritätisch geteilt worden wären. Laut Sozialbudget 2014 finanzierten die Arbeitgeber im Jahr 2014 tatsächlich nur 38,5 Prozent der GKV-Ausgaben. Doch dieser Wert führt zu Fehlschlüssen, weil die Beiträge der Rentner, Selbständigen oder Empfänger von Grundsicherungsleistungen ohne direkte Arbeitgeberbeteiligung gezahlt werden. Andere gesundheitsbezogene Ausgaben wie die Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall, die allein der Arbeitgeber finanziert werden, fallen dagegen in dieser Rechnung unter den Tisch.
Beitragsparität hätte Auswirkungen auf die Lohnentwicklung
Grundlegender als das wechselseitige Vorrechnen von Finanzierungslasten ist aber die Frage, auf welchen Leistungsanspruch sich die Idee der paritätischen Finanzierungung beziehen soll. De facto profitieren die Versicherten fortlaufend von medizinischen Fortschritten, die allerdings auch häufig teuer sind. Darf der Anspruch auf Parität deshalb für alle künftigen Ausgabenentwicklungen in der GKV erhoben werden? Das hätte Folgen für die künftige Lohnentwicklung, müssen Arbeitnehmer doch sämtliche Arbeitskosten erwirtschaften, damit ihre Beschäftigung dauerhaft rentabel ist – einschließlich des Arbeitgeberanteils am Sozialversicherungsbeitrag.
Immer weniger Leistung
Nicht zuletzt vor diesem Hintergrund musste der Leistungskatalog in der Vergangenheit wiederholt eingeschränkt werden, um den Anstieg des Beitragssatzes zu dämpfen – zum Beispiel zu Lasten des Zahnersatzes oder der Sehhilfen. Diese Eingriffe haben dazu geführt, dass sich Versicherte seitdem gegen das Kostenrisiko einer bis dato paritätisch finanzierten Leistung privat absichern müssen. Ähnliches gilt für die Einführung und Ausweitung von Zuzahlungspflichten. Offenkundig bestand also schon immer ein Unterschied zwischen der Aufteilung des Beitragssatzes und der Finanzierungslast.
Das führt weiter zu der Frage, ob die Probleme der GKV primär auf der Einnahmenseite liegen – insbesondere bei der Aufteilung der Beitragszahlung oder vielmehr auf der Ausgabenseite. Seit 1991 sind die Ausgaben je Versicherter pro Jahr stärker gewachsen als die beitragspflichtigen Einkommen. Mit dem Zusatzbeitrag, den die Arbeitnehmer zahlen, besteht für sie aber die Möglichkeit, durch die Wahl einer günstigen Kasse den Wettbewerb zwischen den Kassen anzukurbeln und den Kostenanstieg in Grenzen zu halten. Bei einer vollständigen Teilung des Beitrags fällt der Anreiz für den Versicherten zum Kassenwechsel dagegen schwächer aus als bei alleiniger Anpassung des Arbeitnehmerbeitrags.
Viele Herausforderungen in der Krankenversicherung
Unbestritten ist, dass die wirklichen großen Herausforderungen im Zuge der anstehenden Bevölkerungsalterung erst noch bevorstehen. In Zukunft wird es immer weniger Beitragszahler geben, die immer mehr ältere – und damit auch krankheitsanfälligere – Menschen finanzieren müssen.
Und das wird Folgen für die GKV haben: Kürzungen des Leistungskatalogs, wie sie in der Vergangenheit immer wieder vorgenommen werden mussten, können zwar vorübergehend die Ausgabendynamik dämpfen. Gerade jüngere Versicherte werden so aber nicht entlastet, denn sie müssen für die ausgeklammerten Leistungsansprüche privat vorsorgen. Würde dagegen der Zusatzbeitrag künftig einkommensunabhängig erhoben und im Rahmen einer obligatorischen kapitalgedeckten Säule organisiert, dann würde die Verschiebung der Lasten auf junge Versicherte begrenzt. Zwar schränkt dieser Reformschritt den sozialen Ausgleich im Status quo ein. Das ist aber der Preis, den insbesondere Ältere zahlen müssen, wenn die Interessen nachfolgender Generationen im Sinne des Solidaritätsprinzips gewahrt bleiben sollen.
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