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(© Foto: andresr/iStock)
Jochen Pimpertz auf Focus Online Gastbeitrag 2. Juni 2017

„Vom höheren Rentenniveau profitieren vor allem die Reichen”

Die Politik hat den Wählern einige Vorschläge gemacht, wie das Rentenniveau über das Jahr 2030 hinaus gehalten werden soll. Doch dabei werden die Folgen oft völlig vergessen. Denn gut gemeint heißt nicht gut gemacht. Ein Gastbeitrag von IW-Ökonom Jochen Pimpertz auf Focus Online.

Die deutsche Bevölkerung altert aufgrund der anhaltend niedrigen Geburtenrate und der stetig steigenden Lebenserwartung. Wenn die Mitglieder der geburtenstarken Jahrgänge ab dem kommenden Jahrzehnt nach und nach aus der Erwerbs- in die Ruhestandsphase wechseln, steigt vor allem der Rentner-Beitragszahler-Quotient zügig. Dieser demografische Wandel fordert die Versicherten der Gesetzlichen Rentenversicherung über das Jahr 2030 hinaus.

Balancierte Lastverteilung

Damit die daraus resultierenden zusätzlichen Finanzierungserfordernisse nicht einseitig den Arbeitnehmern aufgebürdet werden, hat die rot-grüne Bundesregierung bereits Anfang der 2000er Jahre die Lastverteilung zwischen den Generationen neu tariert. Zum einen wird der Anstieg des Beitragssatzes bis zum Jahr 2030 auf 22 Prozent begrenzt – ohne Reformen rechnete man damals mit einem Anstieg auf über 24 Prozent. Zum anderen soll das gesetzliche Sicherungsniveau vor Steuern langsam aber stetig sinken – jedoch höchstens bis auf 43 Prozent. Auf diese Weise werden Beitragszahler und Rentner an der Finanzierung der demografisch bedingt steigenden Lasten beteiligt. Diese Haltelinien können bis zum Jahr 2030 allerdings nur realisiert werden, weil die Regelaltersgrenze gleichzeitig von 65 auf 67 Jahre steigt. Was nach dem Jahr 2030 kommt, ist bislang offen.

Angesichts des sinkenden gesetzlichen Versorgungsniveaus wächst derzeit die Sorge vor einer zunehmenden Armutsgefährdung im Alter. Wohl auch deshalb werden derzeit Vorschläge zur Stabilisierung oder gar Erhöhung des gesetzlichen Rentenniveaus diskutiert und weniger Maßnahmen, mit deren Hilfe die Haltelinien auch nach 2030 eingehalten werden können.

Höheres Rentenniveau provoziert Mitnahmeeffekte

Doch führt bereits die Vorstellung, dass ein höheres Rentenniveau vor Armut im Alter schütze, in die Irre. Zunächst gilt, dass Armutsrisiken im Haushaltskontext gemessen werden, also unter Einbeziehung aller Einkommensquellen, auch denen des Partners. Der eigene Rentenanspruch entscheidet deshalb nur mittelbar über die Armutsgefährdung. Des Weiteren kann die beitragsbezogene gesetzliche Rente nur eine Verstetigung der sozialversicherungspflichtigen Erwerbseinkommen im Alter versprechen. Wer im Laufe seiner Erwerbsbiografie zum Beispiel aus familiären Gründen pausiert oder in Teilzeit gearbeitet hat, muss im Alter gleichwohl nicht hilfsbedürftig werden, weil er seine Vorsorge womöglich gemeinsam mit dem Partner plant. Das mag erklären, warum derzeit fast die Hälfte der gesetzlichen Einzelrenten unter dem Grundsicherungsanspruch eines Single-Haushalt (einschließlich Wohnkosten) liegt, aber lediglich 2,7 Prozent der gesetzlichen Rentner auf die steuerfinanzierte Hilfe angewiesen sind.

Vor diesem Hintergrund wird deutlich, dass ein höheres Rentenniveau vor allem Mitnahmeeffekte provozieren würde. Denn davon profitierten alle Rentner und nicht nur armutsgefährdete Personen. Doch selbst denen, die tatsächlich bedürftig sind, würde eine Anhebung des gesetzlichen Rentenniveaus nur dann helfen, wenn damit auch das Niveau des Grundsicherungsanspruchs überschritten wird. Je niedriger der gesetzliche Rentenanspruch, desto höher aber die Wahrscheinlichkeit, dass die Maßnahme verpufft, weil die eigene Rente auf die bedürftigkeitsgeprüfte Hilfe angerechnet wird.

Selbständige kein Rettungsanker

Dieselben Einwände gelten auch gegen die Solidar- oder Lebensleistungsrente. Mehr noch bleibt bei einer Aufstockung niedriger Anwartschaften unklar, ob die Rentenhöhe aus geringen Vollzeitverdiensten resultiert. Wer freiwillig in Teilzeit erwerbstätig war, in Zeiten selbständiger Tätigkeit außerhalb der Gesetzlichen Rentenversicherung vorgesorgt hat und durch den Partner abgesichert ist, würde dennoch profitieren.

Die Einbindung bislang nicht versicherter Selbständiger in das gesetzliche System hilft ebenso wenig. Würde eine erweiterte Versicherungspflicht zunächst für jüngere Selbständige eingeführt, könnte das gesetzliche Umlagesystem zwar für etliche Jahre mit zusätzlichen Beitragseinnahmen rechnen, ohne Ansprüche in nennenswertem Umfang finanzieren zu müssen. Doch damit würden vor allem ältere Beitragszahler entlastet. Die profitieren aber bereits davon, dass sie als Mitglieder der geburtenstarken Jahrgänge die Finanzierungslasten auf viele Schultern verteilen können. Wenn sie selber in den Ruhestand wechseln, müssen die ohnehin besonders geforderten jüngeren Beitragszahler-Kohorten dann auch die Ansprüche der neu hinzugekommen Selbständigen finanzieren. Mehr noch könnten Selbstständige mit niedrigen Einkommen aus der Erwerbstätigkeit verdrängt werden, weil sie eine zusätzliche Beitragslast von 18,7 Prozent oder mehr nicht zu schultern vermögen. Damit wäre aber weder der Gesellschaft geholfen noch den Selbständigen, die ohne eigene Alterssicherung blieben.

Perspektivenwechsel: Menschen befähigen, länger zu arbeiten

Wenn die bislang gültigen Haltelinien langfristig Bestand haben sollen, führt an einer längeren Lebensarbeitszeit kein Weg vorbei. Auch höhere Steuerzuschüsse vermögen das grundlegende demografische Problem nicht zu lösen; im Gegenteil würden diese Mittel an anderer Stelle fehlen. Stattdessen sollte eine Debatte darüber geführt werden, wie Menschen bei einer steigenden Regelaltersgrenze befähigt werden können, länger berufstätig zu bleiben, auch um eigenverantwortlich vorsorgen zu können.

Zum Gastbeitrag auf focus.de

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