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Michael Hüther im Handelsblatt Gastbeitrag 28. Januar 2010

Jede Reform gelingt oder scheitert im Konkreten

Richtige Ideen für ein besseres Bildungssystem setzt die Politik erst ansatzweise um. Teils arbeiten Länder und Kommunen gegeneinander.

Während man nach klaren Orientierungen für die deutsche Wirtschaftspolitik Vergeblich sucht, hat die britische Regierung jüngst sogar einen Vorstoß auf die europäische Ebene gewagt. Ihr „EU Compact for Jobs and Growth“ nennt für das Handeln auf der europäischen Ebene klare Prioritäten. Der Lissabon-Prozess gab der EU für die vergangene Dekade ein ambitioniertes Ziel vor, ist aber gescheitert. Der EU Compact ist, ein neuer Versuch, sich auf gemeinsame Entwicklungsperspektiven einzulassen.

Das von der Regierung Brown angebotene Konzept gibt keine gänzlich neuen Antworten. Das ist auch im Lichte der Krisenerfahrung nicht zu erwarten. Es wird aber deutlich, dass wir wieder den Mut haben müssen, uns ehrgeizige, aber ehrliche Ziele zu setzen. Anders wird eine gemeinsame europäische Sicht auf die künftigen Möglichkeiten nicht entstehen können. Dafür ist nun die richtige Zeit. Der Höhepunkt der Krise liegt hinter uns, der Krisenbekämpfung folgt die Krisenbewältigung. Fahren auf Sicht reicht nicht mehr.

Gordon Brown betont einen zweiten wichtigen Aspekt: Es bedarf einer stärkeren politischen Aneignung der großen Reformthemen und Reformpläne. Anders gewendet: Politik wird die Führungsrolle im Prozess notwendiger Reformen nur ausfüllen können, wenn sie selbst deren Inhalte entwickelt und aus Überzeugung zum eigenen Anliegen macht. Eine starke politische Aneignung ist vor allem gefordert, wenn es um Fragen von übergeordneter Bedeutung geht, die viele Verantwortlichkeiten ansprechen und deren Verknüpfung verlangen.

Solche Herausforderungen stellen sich freilich nicht nur auf europäischer Ebene. An zweiter Stelle der Prioritätenliste von Brown steht ein besseres Bildungssystem. Das richtet sich an nationale Instanzen, bei uns Länder und Kommunen. Die Bildungsreform ist seit fast zehn Jahren ein politischer Dauerbrenner, Pisa sei Dank. Doch prüft man das Erreichte an den Reformzielen, dann ist das Ergebnis wenig erbaulich. Langsam nur kommen wir voran. Man gewinnt nicht den Eindruck, dass die Politik sich das Thema wirklich angeeignet hat.

Immer noch lassen wir es zu, dass der Reformdiskurs zum ideologischen Streit verkommt. Kleinstes Karo beherrscht an vielen Stellen die politische, aber auch mediale Debatte. Da werden Mythen entwickelt und entzaubert, als ginge es um einen Glaubenskampf. Das alles führt dazu, dass wir uns verzetteln, anstatt uns auf den Kern zu konzentrieren. Da geht es um eine frühe und eine bessere individuelle Förderung, um Begabungen auch dort zu entwickeln, wo die Startbedingungen der Kinder besonders ungünstig sind. Selbstständige Schule ist dafür eines der Zauberwörter.

Dadurch soll es gelingen, die Steuerung des Bildungssystems vom Ergebnis her zu gestalten. Die Selbstständigkeit der Schule bedingt unausweichlich ihre Pflicht zur Rechenschaftslegung. Die dafür erforderlichen Bildungsstandards sind definiert und die Schulinspektionen etabliert. Die Schulaufsicht ist aber unverändert vielgestaltig. Eine selbstständige Schule hat umfangreiche Kompetenzen, einschließlich der Ressourcensteuerung. Dies setzt verlässlich verfügbare und zeitlich flexible Budgets voraus.

In der Praxis findet sich das allenfalls in Pilotprojekten wieder, etwa in Hessen. Immerhin hat die hessische Kultusministerin zum Schuljahresbeginn den Schulen die Möglichkeit eröffnet, unter bestimmten Bedingungen zehn Prozent des Personaletats frei zu verwenden, um Probleme selbstständig lösen zu können. Zugleich wurden die Budgets für Lernmittel um eine Million auf 35 Millionen Euro erhöht. Auch dies hilft, den Schulen mehr Handlungsspielräume zu eröffnen. Ein Anfang ist gemacht, auch wenn der Weg zur gelebten Autonomie noch weit ist.

Doch nun treten die Kommunen auf den Plan. So hat beispielsweise Wiesbaden jüngst versucht, die Schulbudgets für laufende Verwaltung und Ausstattung um zwölf Prozent zu kürzen. Aufgesparte Mittel, vorgesehen für größere Investitionen, sollten den Schulen genommen werden, frei werdende Sekretärinnen- und Hausmeisterstellen ein halbes Jahr unbesetzt bleiben. Wie soll dann selbstständige Schule Realität werden? Weiß die Stadtverwaltung nicht, was die Landesregierung beabsichtigt? Die duale Finanzierung der Schulen durch Land und Gemeinden ist bei fehlender gemeinsamer Perspektive nicht zukunftsfähig. Jede große Reform muss sich dem Test in konkreten Lebensumstanden stellen. Das ist in der Schulpolitik nicht anders als in der Sozialpolitik. Wenn wir versagen, dann im Konkreten. Insofern schreibt Gordon Brown mit seinem EU Compact auch an Helmut Müller, den Wiesbadener Oberbürgermeister. Antwort erwünscht.

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