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Hubertus Bardt in der Frankfurter Allgemeine Zeitung Gastbeitrag 1. Juni 2023

Grüne Transformation: Vergünstigter Industriestrom als Chance für den Standort

Klarheit über das Preisniveau der Zukunft haben wir erst, wenn es für viele energieintensive Unternehmen zu spät ist, schreibt IW-Geschäftsführer Hubertus Bardt in einem Gastbeitrag für die Frankfurter Allgemeine Zeitung.

Trotz gelegentlicher Forderungen haben es Industriestrompreise in der Vergangenheit nicht in konkrete Vorschläge der Bundesregierung geschafft. Und das, obwohl Deutschland seit Jahren ein im internationalen (auch im europäischen) Vergleich hohes Strompreisniveau hat, immer wieder auf Sonderregeln zugunsten der Industrie in anderen Ländern verwiesen wird und obwohl die energieintensive Industrie seit Längerem nicht mehr genug investiert, um den eigenen Kapitalstock aufrechtzuerhalten. Der Bedarf an wettbewerbsfähigen Strompreisen besteht also schon geraume Zeit.

Dass administrierte Preise für die Industrie mit spitzen Fingern angefasst werden, hat gute Gründe. Schließlich wird damit in die freie Preisbildung eingegriffen – zugunsten bestimmter Unternehmen und zulasten anderer Verbraucher, Erzeuger oder Steuerzahler. Staatliche Zusatzlasten für die energieintensive Industrie wurden gesenkt – beispielsweise bei der EEG-Umlage oder der Energiebesteuerung, der Marktpreismechanismus wurde jedoch nicht angepasst.

Nach den dramatischen Energiepreissteigerungen des vergangenen Jahres wird nun aber auch in der Bundesregierung über günstige Industriestrompreise nachgedacht. Als Übergangsinstrument könnten diese eingesetzt werden, um bestimmten Unternehmen den Weg in eine wettbewerbsfähige, dekarbonisierte Energieversorgung zu ermöglichen. Der reduzierte Strompreis sollte für die Zeit gelten, die erforderlich ist, um etwa die eigene Stromversorgung durch den Bau von Windparks zu guten Teilen auf klimafreundliche Quellen mit niedrigen laufenden Kosten umzustellen.

Damit wäre auch eines der Probleme eines solchen Instruments adressiert: Es soll keine permanente Förderung sein, sondern eine zeitlich definierte Maßnahme, die den Übergang ermöglichen soll. Deshalb will man sich im Wirtschaftsministerium bei der Festlegung eines "Brückenstrompreises" daran orientieren, welche Preise für erneuerbaren Strom in der EEG-Förderung und in langfristigen bilateralen Verträgen schon heute aufgerufen, aber auch langfristig erwartet werden.

Kürzlich wurde an dieser Stelle von den Ökonomen Axel Ockenfels und Achim Wambach (F.A.Z. vom 22. Mai) argumentiert, diese Brücke führe ins Nichts. Es sei unklar, ob auf der anderen Seite wirklich eine wettbewerbsfähige Energieversorgung stehe. Weder sei gesichert, dass ein erneuerbares Energiesystem Preise produziert, die nicht per se ein Standortnachteil für energieintensive Produktion sind (von Standortvorteilen traut man sich in diesem Zusammenhang ja kaum noch zu sprechen), noch seien ein international einheitliches Ambitionsniveau im Klimaschutz und damit vergleichbare CO2-Preise absehbar.

Das stimmt, aber darauf können wir nicht warten. Wir müssen davon ausgehen, dass wir global weiterhin sehr unterschiedliche Ambitionsniveaus im Klimaschutz und damit unterschiedliche CO2-Preise auf Strom haben werden. Mit dieser staatlich verursachten Marktverzerrung müssen wir also weiterhin umgehen – bisher ist dies zumindest durch die kostenlos zugeteilten Zertifikate im europäischen Emissionshandel für Industrieunternehmen leidlich gut gelungen. Und natürlich wissen wir letztlich auch nicht, ob es wirklich gelingt, mit einem auf erneuerbaren Energien basierenden Stromsystem so kostengünstig zu sein wie nötig. Auch wenn dies aufgrund der deutlich geringeren laufenden Erzeugungskosten erneuerbarer Energien im Vergleich zur fossilen Stromerzeugung eine wesentliche Annahme der Energiewende ist, werden andere Länder bessere Standortbedingungen für günstige, klimafreundliche Energie haben.

Aber sind dies Gründe, heute nichts zu tun? Klarheit über das Preisniveau der Zukunft haben wir erst dann, wenn es für viele energieintensive Unternehmen zu spät ist. Die stillgelegte Aluminiumproduktion zeigt deutlich, wie eng es angesichts des hohen Abstands zu Preisniveaus an anderen Standorten heute schon ist. Und eine breit angelegte Elektrifizierung gelingt nur mit verträglichen Stromkosten. Ein Industriestrompreis bietet zumindest die Chance, dass eine Brücke in eine unbekannte Zukunft gebaut und genutzt werden kann, wenn die Anreize stimmen.

Der europäische CO2-Preis allein wird es nicht richten – zumindest nicht in der gewünschten Form. Unternehmen haben immer auch die Möglichkeit, ihre Kapazitäten an anderen Standorten auszulasten oder zu erweitern und auf die notwendigen Investitionen im Inland zu verzichten. Damit ist nicht nur im Regelfall kein Klimaschutz verbunden, sondern es droht eine Schwächung der heimischen Wohlstandsbasis. Wenn Länder, die dies beobachten, sehen, dass sie sich zwischen Klimaschutz und industriebasiertem Wohlstand entscheiden müssen, wird das oft zulasten des Klimas gehen.

Deutschland darf mit seiner Politik kein abschreckendes Beispiel werden, sondern muss zeigen, dass Klimaschutz und industrielle Produktion kein Widerspruch sein muss. Eine klar begrenzte Unterstützung in der Transformation erscheint neben der CO2-Bepreisung unumgänglich und wird in einzelnen Fällen schon praktiziert. Ein Industrie- oder Transformationsstrompreis ist ein kritischer Eingriff in die Preisbildung – und trotzdem gibt es gute Gründe, diese Brücke ins Unbekannte zu bauen.

Zum Gastbeitrag auf faz.net

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