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Hans-Peter Fröhlich im Kölner Stadt-Anzeiger Gastbeitrag 26. Juli 2012

Wachsen und wohlfühlen

Die wirtschaftliche Entwicklung lässt sich nicht steuern wie ein Auto, schreibt der stellvertretende IW-Direktor Hans-Peter Fröhlich im Kölner Stadt-Anzegier. Sie braucht Menschen, die individuelles Interesse an Fortschritt haben.

Der interessierte Beobachter muss sich verwundert die Augen reiben. Vor Wochen konnte er morgens in der Zeitung lesen, dass Wachstum tunlichst unterbunden werden muss, um die Wirtschaft wieder von den Zwängen des Finanzkapitalismus zu befreien und sie auf einen menschengerechten Pfad zurückzuführen. Am Abend desselben Tages wurde er in der Hauptnachrichtensendung Zeuge, wie Politiker aller Couleur in trauter Eintracht forderten, die Rettungspakete für die unter der Finanzkrise leidenden Länder müssten dringend um eine Wachstumskomponente ergänzt werden. Wie reimt sich das zusammen?

Ein Teil des Widerspruchs erklärt sich mit der Vielschichtigkeit des Wachstumsbegriffs. Klar ist in allen Fällen nur, was wächst - nämlich die gesamtwirtschaftliche Leistung im Sinne des Bruttoinlandsprodukts. Die Wachstumskritiker sehen darin vor allem einen Güterberg. Wachstum impliziert danach, dass dieser Berg von Jahr zu Jahr größer wird, für seine Erzeugung immer mehr Ressourcen verbraucht werden und damit unweigerlich die Umweltqualität leidet. Hinzu kommt, dass nach dieser Vorstellung die Menschen nur noch Getriebene im Räderwerk der Wirtschaft sind und so auch die Lebensqualität auf der Strecke bleibt. Diese Kritik kommt seit Jahrzehnten in immer wieder neuem Gewand daher. Unlängst hat eine neue Allianz aus Deutschem Gewerkschaftsbund, Naturschutzring und Organisationen der evangelischen Kirche sie neu belebt.

Diejenigen, die in der aktuellen Wirtschaftskrise dringend Wachstumsimpulse einfordern, haben ein ganz anderes Bild vor Augen: Unternehmen schließen, Menschen verlieren ihren Arbeitsplatz, die Jugend ist ohne Perspektive. Die gesamtwirtschaftlichen Produktionskapazitäten sind unterausgelastet, die Wirtschaft bleibt weit hinter ihren Möglichkeiten zurück. Wachstum ist in diesem Fall ein Synonym für Rückkehr zur Vollbeschäftigung. Für viele Beobachter ist dabei primär der Staat gefordert, den Konjunkturmotor gleichsam mit der Handkurbel anzuwerfen und so wieder für ein allmähliches Gleichgewicht von Produktionsmöglichkeiten und tatsächlicher Produktion zu sorgen.

So unterschiedlich beide Sichten auf wirtschaftliches Wachstum sind, sie treffen sich in einem zentralen Punkt. Wirtschaftliches Wachstum ist danach ein Prozess, der gesteuert werden kann und gesteuert werden muss. Verantwortlich hierfür ist der Staat. In dem einen Fall hat er durch entsprechende Auflagen, Steuern und Regulierungen das wirtschaftliche Wachstum zu unterbinden oder mindestens zu kanalisieren. Im anderen Fall hat er als aktiver Krisenmanager für mehr wirtschaftliche Aktivität zu sorgen.

Diese Sicht ist mechanistisch. Sie verkennt, dass Wachstum das Ergebnis individuellen wirtschaftlichen Handelns in einer freiheitlichen Gesellschaft ist. Wachstum entsteht, wenn die Menschen aus eigenem Antrieb Dinge anders, besser, schöner machen wollen als bisher. Millionen von Verbrauchern, Arbeitnehmern und Unternehmern entscheiden jeden Tag darüber, ob und was da wachsen soll.

Wachstum heißt keineswegs einfach immer nur noch mehr Autos, noch mehr Urlaubsreisen, noch mehr bedrucktes Papier; das wäre reine Tonnenideologie. Wachstum bedeutet vielmehr auch: Autos sicherer und komfortabler zu machen, Urlaubsreisen mit Wellness-Angeboten zu verbinden, Fotokopien farbig auszudrucken statt schwarz-weiß. Der geniale Erfindergeist eines Steve Jobs hat der Welt das iPhone beschert - und damit einen kräftigen Wachstumsimpuls ausgelöst.

Die Triebkraft in all diesen Fällen ist nicht der Entschluss, das gesamtwirtschaftliche Wachstum steigern zu wollen. Den Millionen am Wirtschaftsleben beteiligten Menschen geht es vielmehr darum, sich ein angenehmeres Leben zu verschaffen, Einkommenschancen zu nutzen und Beschäftigungsmöglichkeiten wahrzunehmen. Insofern lässt sich Wachstum von oben weder verbieten noch verordnen. Der Staat kann allenfalls Anreize für individuelles Handeln setzen und auf diese Weise mit beeinflussen, ob und wie stark sich für den Einzelnen eigene Anstrengung zur Befriedigung seiner Wünsche und Bedürfnisse oder derjenigen seiner Mitmenschen lohnt.

Den Menschen im Namen eines paternalistischen Weltbilds die Chance nehmen zu wollen, ihren Neigungen und ihrem Einfallsreichtum nachzugehen, ist mit einer freiheitlichen Gesellschaftsordnung nicht vereinbar.

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