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(© Foto: Maryna Pleshkun. - Fotolia)
Karen Horn in der Neuen Zürcher Zeitung Gastbeitrag 27. Juli 2010

Geld stinkt nicht

Ein altes Sprichwort stand im Mittelpunkt einer interdisziplinären Tagung über Geld, Kultur und Werte. Unterschiedliche Deutungen waren dazu zu hören.

"Pecunia non olet", sagt das lateinische Sprichwort: Geld riecht nicht. Doch ist das, was im Geiste der protestantischen Ethik sozialisierte Zeitgenossen aus ihm herauslesen, zutreffend? Nämlich dass das Geld, nach dem man strebt und das man sein eigen nennen darf, legitim und nützlich ist und also nicht "stinkt"? Dass der, der es erwirbt und mehrt, Respekt verdient? In der Öffentlichkeit ist diese Meinung immer schwerer zu vermitteln in einer Zeit, in der an Finanzmärkten so gigantische wie irreale Werte entstehen und zerbersten, wo Managersaläre und Boni die Bodenhaftung verlieren. In einer Zeit, in der "eine erfolgreiche PR-Kampagne" schon die Frage nachhaltig unterdrückt, ob entsprechendes Fehlverhalten strafrechtlich zu ahnden sei, wie der Münchner Strafrechtslehrer Bernd Schünemann an einer interdisziplinären Tagung der Aktionsgemeinschaft Soziale Marktwirtschaft am Cornersee über den Zusammenhang von Geld, Kultur und Werten klagte: Zumindest hier stinke sehr wohl etwas.

Die Finanzkrise sei hingenommen worden wie eine Naturkatastrophe, dabei sei sie reines Menschenwerk– mit Zügen "global organisierter Kriminalität". Aber es werde nicht ermittelt. Die Verantwortlichen hätten ihre qualifizierte Prüfungspflicht bewusst verletzt; in vielen Fällen liege der objektive Tatbestand der Untreue mit Vorsatz vor. Wenn ein Bankier Risiken sehe und hinnehme, ohne sie abzusichern, dann handele er vorsätzlich zum Schaden der Anleger. Dass freilich die Grenze zwischen gutem Glauben und bösem Vorsatz unscharf ist, dass nur eindeutige Formen des Vorsatzes leicht nachweisbar und justiziabel sind, guter Glauben aber schwer widerlegbar ist, blendete Schünemann aus. Einen wichtigen Punkt hatte er indes in der Feststellung, dass der Staat, wenn er eine Insolvenz verhindert, auch den Insolvenz-Straftatbestand und die hieran anknüpfende strafrechtliche Verfolgung der Übeltäter unterbindet. Hier macht sich der rettende Staat zum Komplizen: Der Fisch stinkt vom Kopfe her.

"Pecunia non olet": Für den Tübinger Literaturwissenschafter Jürgen Wertheimer dürfte dieser Satz, den einst Kaiser Vespasian zur Rechtfertigung seiner Latrinensteuer gesagt haben soll, bloß einem Beleg für die frühkapitalistische Dekadenz, des alten Rom gleichkommen. Er sah im Geld eine sündhafte Erfindung, die den Charakter des einzelnen Menschen ebenso pervertiere wie das Wesen der Gesellschaft. Besonders klar beobachte man das an den Finanzmärkten. Die Börse sei eine "Ersatzarena der Affekte", in der Menschen ihre Jagd- und Beuteinstinkte auslebten, ähnlich wie im Theater und im Bordell, gerade so, wie es Honoré de Balzac und Emile Zola in ihren Romanen dargestellt hätten. Das Gefährliche daran liege in der Umwertung der Werte, die in einer derart ökonomisierten Gesellschaft nicht ausbleibe, rief Wertheimer und verwies abermals auf ein fiktionales Werk – auf die Figur des Gordon Gecko aus dem Film "Wall Street", der postuliert, das Beste am Menschen sei die Gier.

Doch bevor man derart alles in einen Topf wirft und verdammt, das Geld, den Reichtum, die Börse und die Spekulation, gilt es wohl erst einmal zu klären: Was ist das eigentlich, das Geld, jene "pecunia"? Ähnlich wie die Sprache sei das Geld ein Ergebnis der kulturellen Evolution, eine spontane institutionelle Schöpfung der Menschheit, erklärte Michael Wohlgemuth vom Walter-Eucken-Institut in Freiburg im Breisgau. Es sei ein Hilfsmittel, das Transaktionskosten senke, ein Numeraire, ein Mittel für den Tausch und die Wertaufbewahrung. Denn Geld erleichtert das Tauschgeschäft, weil es das Angewiesensein auf verderbliche Gegengaben beendet: Mindestens insofern gilt also "Pecunia non olet". Münz- und Papiergeld, erreichen Gültigkeit durch Deckung mit realen Werten, zum Beispiel mit Edelmetallen, oder per hoheitliches Dekret ("fiat") — was ihm nach Hans-Christoph Binswanger von der Universität St. Gallen gleichsam sakralen Charakter verleiht. Das Geld beflügele den Preismechanismus, betonte Wohlgemuth– und Preise seien Signale, die Märkte koordinierten und neues gesellschaftliches Wissen entstehen müssen, ganz so, wie es der Ökonom und Sozialphilosoph Friedrich August von Hayek in seiner Theorie von der Wissensteilung beschrieben habe.

Die eleganteste Herleitung aber, warum das Geld tatsächlich nicht stinkt, lieferte Joachim Zweynert vom Wilhelm-Röpke-Institut in Jena. Er baute die logische Brücke zur Moral. Ohne einen moralischen Grundkonsens der Menschen sei Austausch auf anonymen Märkten nicht möglich. Wie Adam Smith gezeigt habe, ergebe sich ein solcher moralischer Grundkonsens einer Gesellschaft aus dem Spiegel, den die Menschen in ihrer Interaktion einander immer wieder vorhielten. Dabei sei indes die Moralität der Menschen gegenüber Nahestehenden größer als gegenüber Fremden. Je größer diese Kluft sei, desto weniger eng vernetzt, desto weniger ausdifferenziert, desto primitiver sei die jeweilige Gesellschaft.

Im gesellschaftlichen Zivilisationsprozess, der die Binnen- und die Außenmoral der Menschen einander angleiche, spiele das Geld, das Transaktionskosten senke und Beziehungen neutralisiere, eine entscheidende Rolle. Nach Georg Simmel bringt es "das Entfernteste näher, um den Preis, die Distanz zu den Nächsten zu erweitern". Abstrakte sachliche Dependenz trete an die Stelle einengender persönlicher Abhängigkeit. Das Diktum von Adam Smith, die Arbeitsteilung sei nur begrenzt durch die Größe des Markts, konnte Zweynert also ergänzen: Das Ausmaß der generalisierten Moralität, das über die Größe des Markts entscheidet, wird nur begrenzt durch die Reichweite der Interaktion– und für diese ist das Geld als technisches Hilfsmittel entscheidend. "Geld ist die Voraussetzung generalisierter Moralität"– oder eben: Pecunia non olet.

Karen Horn leitet das Berliner Hauptstadtbüro des Instituts der deutschen Wirtschaft Köln.

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