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Michael Hüther Gastbeitrag 27. April 2006

Euphorie allein reicht nicht!

Die große Koalition darf sich nicht allein auf den guten Konjunkturdaten ausruhen.

Konjunktur und Wirtschaftspolitik drehen sich im Jahre 2006 in auffälliger Weise gegeneinander. Während die kurzfristigen Aussichten für die deutsche Volkswirtschaft geradezu euphorisch sind, ist für das Regierungshandeln eine wirtschaftspolitische Linie nur schwer zu erkennen. Die Hoffnung auf fundierte Lösungen zu den großen Reformthemen findet seit Jahresanfang immer weniger Nahrung. Wie weit trägt angesichts dessen die gute Konjunkturlaune?

Erstaunlich ist vor allem, dass die Stimmung in der deutschen Wirtschaft sich bisher allen Belastungsfaktoren zum Trotz weiter aufhellt und auf eine kräftige Expansion schließen lässt. Gleichzeitig zur Anhebung der Konjunkturprognosen für das laufende Jahr finden sich allerdings erste Stimmen, die ein Ende des Aufschwungs in Bälde erwarten. Die Stimmung dürfte ihrem zyklischen Hoch schon sehr nahe sein, die Erwartungen sind erstmals wieder schwächer als die Lageeinschätzung. Die Kapitalmarktzinsen haben sich – wie lange erwartet – normalisiert.

Geht es uns wie im Jahre 2000, als eine starke Dynamik unter einem Gemisch aus steigendem Ölpreis, restriktiver werdender Geldpolitik; verunsicherten Finanzmärkten sowie regulatorischen Belastungen am Arbeitsmarkt zusammenbrach und eine lange Stagnation begann? Sicher, Konjunkturbewegungen wiederholen sich nicht einfach, doch deutlich wird: Es gibt keine Sicherheit des Aufschwungs, selbst wenn die Stimmung historischen Höchstwerten nahe kommt. Es bedarf immer der angemessenen wirtschaftspolitischen Begleitung.

Tatsächlich zeigen die Analysen und Prognosen zur Konjunktur, dass eine beachtliche Bewertungsunsicherheit über die Stärke der Erholung und den Stand im Konjunkturzyklus besteht. Pointiert gefragt: Hat der Aufschwung schon begonnen, oder ist er bereits vorbei? Dahinter stehen vor allem Unsicherheiten über die gewonnene endogene Kraft dieses Aufschwungs und damit über die mittelfristigen Perspektiven. Vor allem: Wie wird das Jahr 2007 mit der beschlossenen Mehrwertsteuererhöhung laufen?

Dabei bestehen angesichts der angebotspolitischen Verbesserungen und der unternehmerischen Restrukturierungen der vergangenen Jahre tatsächlich Chancen für eine längere Aufwärtsbewegung der deutschen Volkswirtschaft. Gesamtwirtschaftliche Expansionsraten von zwei Prozent im Trend sollten möglich sein. Freilich werden diese sich nicht automatisch einstellen. Noch trägt der Nachholbedarf die Steigerung der Investitionsausgaben. Es muss indes gelingen, Produktinnovationen neben den in den letzten Jahren dominierenden Prozess- und Standortinnovationen verstärkt zum Treiber der Entwicklung zu machen.

Die derzeit zu beobachtende Diffusion des Exportimpulses in die Breite und Tiefe der deutschen Wirtschaft schafft die Voraussetzung dafür, aus dem vom Ausland geborgten einen selbst tragenden Aufschwung zu machen.

Der Höhenflug des Ölpreises erweist sich dafür bislang nicht als Hemmnis. Denn die kostenseitige Belastung bei den Erzeugern der Industriewaren wird durch den positiven Handelseffekt kompensiert, der aus der die Rohstoffpreisentwicklung primär treibenden dynamischen Weltwirtschaft sowie speziell aus den Erdöl exportierenden Ländern resultiert. So ist die deutsche Wirtschaft mit ihrer Güterstruktur zugleich Nutznießer dieser weltweiten Investitionsdynamik.

Entscheidend für die Stabilität der daraus folgenden Konjunkturbewegung sind letztlich die Beschäftigungsfolgen. Ohne eine wirkliche Trendwende am Arbeitsmarkt wird die Konsumschwäche nicht zu überwinden sein. Die Lohnpolitik hat dazu in den vergangenen Jahren durch eine im gesamtwirtschaftlichen Durchschnitt moderate Anpassung der Löhne einen Beitrag geleistet. Gleichwohl gilt: Das Niveau der Arbeitskosten je Stunde ist im internationalen Vergleich unverändert hoch. Positiv sind ohne Zweifel die zunehmenden Differenzierungen in den Tarifverträgen, deren beschäftigungssichernde Wirkung ist unverkennbar. Das gilt auch für den jüngsten Abschluss in der Metall- und Elektroindustrie.

Die Mobilisierung von Beschäftigung könnte gelingen, wenn die Bundesregierung mit ihrer Deregulierungsinitiative wirklich ernst machte. Am Mittwoch hat das Kabinett zwar endlich erste Schritte beschlossen, doch viel zu zögerlich wird der im Koalitionsvertrag skizzierte Ansatz eines systematischen Bürokratieabbaus umgesetzt. Es ist gleichermaßen erstaunlich wie frustrierend, dass ein derart ideologiefreies Thema nicht leichter von der Hand geht. Ein gutes Zeichen ist das nicht.

Dabei bringt eine umfassende Deregulierungsoffensive beachtliche Beschäftigungswirkungen. Eine neue Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft Köln ermittelt für einen Umstieg auf die in den skandinavischen Ländern übliche Intensität der Regulierung auf den Produkt-, Arbeits- und Kapitalmärkten sowie bei Bildung und Innovation einen Aufbau von über vier Millionen Arbeitsplätzen in einem Anpassungszeitraum von zehn bis 15 Jahren. Es ist also der Mühe wert.

Die Chancen für einen langen Aufschwung wird man aber vertun, wenn man glaubt, mit der ausschließlichen Belastung des Konsums schon eine angebotspolitische Strategie entworfen zu haben. Es gibt keinen Grund, die Entscheidung der Politik für die Mehrwertsteuererhöhung einfach gegenzuzeichnen, wie es zunehmend geschieht. Der Druck auf die Bundesregierung, diesen Schritt zu überdenken, muss verstärkt werden, will man nicht sehenden Auges Chancen verstreichen lassen. Ökonomisch zutreffende Einsichten werden auch unter einer großen Koalition nicht falsch. Starrsinn und Handlungsschwäche sind kein guter Cocktail für einen langen Aufschwung.

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