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Michael Hüther Gastbeitrag 21. Februar 2008

Empörung ersetzt die Analyse

Das Fehlverhalten von Managern darf keine schlechte Wirtschaftspolitik rechtfertigen.

Politik und Medien leben von Bildern und schlichten Botschaften. So wie zu Anfang des Jahres die Videoaufnahmen von prügelnden ausländischen Jugendlichen in der Münchener U-Bahn die Gemüter bewegten, so ist es nun das Bild des Vorstandsvorsitzenden der Deutschen Post beim Abgang zum Verhör bei der Steuerfahndung. Auf einmal wird alles andere beiseitegeschoben, die Erregung ist groß. Eine gewaltige Dramatisierung wird inszeniert. Der Kampf der Guten gegen die Bösen wird zum alles bestimmenden Thema. Es gibt nur noch Schwarz oder Weiß.

Die Reaktionsmuster waren in beiden Fällen ähnlich. Die Nähe zu Wahlterminen mit zu erwartendem engen Ausgang befördert eine Überhöhung, die nicht weit vom Staatsnotstand entfernt ist. Politiker fordern reflexartig die Verschärfung von Gesetzen – ob bei der Sanktionierung von Gewalt durch Jugendliche oder bei der Bestrafung von Steuerhinterziehern. Der nüchterne Blick auf Fakten, die Voraussetzungen und das Umfeld der Fehlentwicklung ist verstellt. Wer nach dem Gesetzgeber ruft, der verallgemeinert und verliert die Fähigkeit zur Differenzierung.

Offenkundig besteht auch gar nicht der Wunsch, differenziert die Realität zu erfassen. Es ist so viel einfacher und pflegt die gesunden Vorurteile, wenn man Unternehmer allgemein als Raffkes kategorisiert, wenn man Transferempfänger als Schmarotzer, ausländische Jugendliche als notorische Gewalttäter oder Politiker als Maximierer ihres individuellen Nutzens abstempelt. Auch wenn manche Akteure uns das glauben machen wollen – eine solche Skandalisierung löst kein einziges Problem, aber sie kontaminiert den öffentlichen Raum, und sie schadet der Gemeinschaft.

Dabei ist es'ja nicht so, dass wir keine ernsthaften Probleme hätten. Die Konjunktur schwächelt, die Risiken nehmen zu. Wir müssen uns fragen, ob genug Vorsorge für Krisen geleistet wurde – beispielsweise durch eine klar am Standortwettbewerb orientierte Wirtschaftspolitik. Jetzt seien all die wichtigen Fragen nicht mehr angemessen zu beantworten, so hören wir meist halböffentlich von Politikern. Die Wirtschaft habe ihren Kredit verspielt, weitere Rücksichtnahme könne nicht erwartet werden. Jetzt werden die Karten neu gelegt.

Da muss die Frage erlaubt sein, ob sich durch den Verdacht auf Steuerhinterziehung bei einem Unternehmensführer ökonomische Befunde und wirtschaftspolitische Erkenntnisse verändern. Ist es nicht mehr richtig, dass die Reformen der letzten Jahre am Arbeitsmarkt eindrucksvolle Wirkungen entfaltet haben? Hat sich die Notwendigkeit der Haushaltskonsolidierung verflüchtigt? Ist die Lissabon-Agenda plötzlich erledigt? Gibt es nun neue Argumente für die Lohnrunde? Ernsthaft wird niemand diese Fragen bejahen wollen. Dann aber sollten gerade wir Ökonomen unbeirrt und selbstbewusst klarmachen, was notwendig ist. Das bedeutet nicht, den Ärger über Fehlverhalten zu verdrängen und die Notwendigkeit sauberer Aufklärung zu verneinen. Die Gesetze sind klar, und Straftatbestände sind unmissverständlich zu sanktionieren. Dann sollte es aber auch möglich sein, nüchtern die Frage nach den Ursachen zu stellen. Seit den finanzpsychologischen Studien von Günter Schmölders kennen wir die Begriffe der Steuermentalität und der Steuermoral. Dafür sind neben allgemeinen in der Gesellschaft verbreiteten Einstellungen auch die Steuerpolitik und das Steuersystem selbst bedeutsam.

1999 sind in einer Studie für den Bund der Steuerzahler die verheerenden Wirkungen einer unsystematischen und komplizierten Steuerpolitik auf deren Bewertung durch die Bevölkerung und damit auf die Steuermoral ermittelt worden. So sollte sich der Steuergesetzgeber ernsthaft fragen, welchen Beitrag er zur Verbesserung der Steuermoral leisten kann. Ausgeschöpft ist das Potenzial bei weitem nicht. Ein Steuersystem, das so intransparent und so kostenträchtig ist wie das unsere, kann den Anspruch einer fairen Besteuerung nicht erfüllen. Dies gilt ebenso für eine Grenzabgabenquote von nahe 50 Prozent schon bei mittleren Einkommen.

Sicherlich wird die öffentliche Debatte noch eine Weile benötigen, um zu einer weniger aufgeregten Einschätzung zu gelangen. Dabei werden uns die Suche nach Vorbildern und das Klagen über deren Fehlen begleiten. Schon in diesen Tagen fällt die Larmoyanz auf, mit der das Versagen der Wirtschaftseliten beklagt wird.

Aber wozu benötigen wir Vorbilder? Äußert sich darin das begründete Gefühl, dass Regeln alleine das Zusammenleben gerade in der Massengesellschaft nicht angemessen ermöglichen können? Oder ist es eher der Versuch, in anerkannten Vorbildern Entlastung und Exkulpation für das eigene (Fehl-) Verhalten zu finden?

Die freie Gesellschaft setzt verantwortungsfähige Mitglieder – mündige Bürger – voraus. Dazu gehört die Einsicht, dass es jenseits der Ordnung aus Verfassung und Gesetzen auch ein gesellschaftliches Einverständnis darüber geben muss, was sich im Miteinander gehört und was nicht. Liegt nicht hier das Problem tiefer verankert, das wir am aktuellen Fall der Steuerhinterziehung erfahren? Ist es nicht diese Ausprägung von Gemeinsinn, die knapp geworden ist?

Dann sollten wir über die Sekundärtugenden reden, die von jenen diskreditiert wurden, die nun moralisch selbstgewiss auf andere zeigen. Wenn eine Gesellschaft schon dabei mehr und mehr versagt, wird es kaum gelingen, die große Moralanforderung zu erfüllen. Da ist die Marktwirtschaft ehrlicher, sie nimmt die Menschen, wie sie nun einmal sind – fehlerhaft. Gute Regelwerke sparen Moral. Vorbilder werden benötigt. Doch aus der Verantwortung für die Gesellschaft ist niemand entlassen.

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