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Michael Hüther Gastbeitrag 23. Februar 2006

Ein Pakt mit dem Teufel

Trotz deutlich höherer Steuereinnahmen wird das strukturelle Haushaltsdefizit kaum reduziert.

Seit Mittwoch wissen wir endlich, woran wir mit dieser Bundesregierung finanzpolitisch wirklich sind. Das Heulen und Zähneknirschen, während der Koalitionsverhandlungen mit großer Dramatik angekündigt, tritt nicht ein. Der Entwurf des Bundeshaushalts für das laufende Jahr und der Finanzplanung bis zum Ende der Legislaturperiode im Jahr 2009 bleiben den Beweis tief greifender Konsolidierung schuldig. Der bereits im Koalitionsvertrag für dieses Jahr angekündigte Bruch des Verfassungsartikels 115 führt nicht – was den Fehltritt ansatzweise erträglich machen würde – zu einem umso energischeren Defizitabbau in den Folgejahren.

Vom Zahlenwerk des Bundesfinanzministers erschreckt damit am meisten, dass für das kommende Jahr und danach eine nahezu stabile Nettokreditaufnahme geplant wird. Der Rückgang des Haushaltsdefizits gelingt vor allem mit Hilfe der Erhöhung der Mehrwertsteuer im kommenden Jahr.

Bedenkt man die bereits beschlossene Kürzung von Steuervergünstigungen und das für April avisierte Steueränderungsgesetz zur Streichung weiterer Subventionstatbestände, dann ist der Finanzplan ein konsolidierungspolitischer Offenbarungseid. Denn trotz deutlich höherer Steuereinnahmen kann das strukturelle Defizit, vom Bundesfinanzminister selbst auf 50 Milliarden Euro beziffert, kaum reduziert werden. So werden allein für dieses Jahr Erlöse aus Privatisierung in Höhe von 18 Milliarden Euro veranschlagt.

Die große Koalition kommt haushaltspolitisch genauso wenig voran wie die Vorgängerregierungen. Während zuletzt aber immerhin die Abgabenquote von fast 42,5 Prozent im Jahre 2000 auf rund 38,5 Prozent im Jahre 2005 gesenkt werden konnte, wird nun wieder an der Steuerschraube gedreht.

Die Erhöhung von Mehrwertsteuer und Versicherungsteuer sind beschlossen, die Einführung der "Reichensteuer" ist abgemacht. Die Entlastung durch einen reduzierten Beitragssatz zur Arbeitslosenversicherung bleibt wegen der verminderten Zuschüsse an Krankenversicherung und Rentenversicherung letztlich gering. Hier wird zwar gespart, aber an der falschen Stelle.

So hatten wir nicht gewettet. Viele Ökonomen – der Verfasser dieses Beitrags ebenfalls – hatten vor der Bundestagswahl mit guten Gründen für eine Senkung der Sozialbeiträge und eine Gegenfinanzierung über eine höhere Mehrwertsteuer geworben. Viele Studien belegen den positiven Beschäftigungseffekt einer solchen Umfinanzierung. Niemand war so naiv, die Gefahr zu übersehen, die sich aus der Faszination eines Vorschlags, der auch Steuererhöhungen vorsieht, für Ausgabenpolitiker ergeben könnte. Doch jetzt erweist es sich als ein Pakt mit dem Teufel.

Konsolidierungsbemühungen bei den Ausgaben sind kaum zu erkennen. Der Bundesfinanzminister und die meisten seiner Länderkollegen haben mit glänzenden Augen das Geschenk der höheren Mehrwertsteuer eingebucht.

Nun reagieren Finanzpolitiker auf solche Kritik in der Regel mit dem Hinweis, dass Ökonomen es sich mal wieder leicht machen würden. Denn die Handlungsspielräume bei den öffentlichen Ausgaben seien sehr begrenzt und eigentlich kaum noch vorhanden. Die Verantwortlichen bei Bund, Ländern und Gemeinden unterscheiden sich dabei nicht. Jeder findet in seinem Budget in beachtlichem Umfang feste Ausgabenposten, die für Einsparungen kaum Manövriermasse lassen.

Bei kurzfristiger Betrachtung ist dies auch gar nicht falsch, aber eben nur auf sehr kurze Sicht. Längerfristig sind alle Ausgabenpositionen variabel und müssen grundsätzlich zur Disposition stehen. Wer über mangelnde Spielräume klagt, der klagt über die Versäumnisse der Vergangenheit.

Die Folgen dieser Strategie, die zu einer immer stärkeren Minderung der vermeintlich einzig flexiblen Investitionsausgaben führten, beschrieb der Sachverständigenrat bereits 1982 in seinem Sondergutachten als "Konsolidierungsschäden". Waren seinerzeit vor allem Mängel in der Infrastruktur gemeint, so zeigen sich die Schäden heute als Folge jahrzehntelangen Unterlassens in Volumen und Struktur der öffentlichen Haushalte.

Gerne wird in diesem Zusammenhang, so auch vom Bundesfinanzminister, die Unterfinanzierung der staatlichen Aufgaben beschrieben. Doch damit steht er im Widerspruch zum Koalitionsvertrag, der bei den skizzierten Konsolidierungsgrundsätzen nahezu lehrbuchhaft von der Priorisierung der Ausgabenseite spricht. Ernst genommen bedeutet dies, dass alle vom Staat derzeit durchgeführten Aufgaben auf ihre Berechtigung hin überprüft werden müssen. Ist wirklich alles gut begründet eine Staatsaufgabe? Sicher nicht, so lautet die einfache Antwort. Schwer wird es freilich bei der Überprüfung im Einzelfall, da helfen, das ist einzugestehen, ökonomische Theorien nicht richtig weiter. Die allfällige Forderung nach Subventionsabbau ist zwar richtig, aber für den finanzpolitischen Alltag doch etwas begrenzt.

Mehr als jede ökonomische Theorie hilft heute die Dienstleistungsgewerkschaft Verdi. Denn der Streik wird Länder und Kommunen zu weiteren Privatisierungen drängen. Ein solcher Test auf Privatisierbarkeit ist der beste Weg, die Legitimation öffentlicher Aufgaben zu überprüfen.

Immer noch geistert in den Köpfen der Politiker der Begriff "Daseinsvorsorge", 1938 von dem Juristen Ernst Forsthoff geprägt. Über die Jahrzehnte haben sich vor allem bei Ländern und Gemeinden unter diesem Deckmantel umfangreiche wirtschaftliche Aktivitäten angesammelt. Hier besteht noch viel Potenzial für Privatisierungen. Erst wenn wir aufgabenseitig die Konsolidierung systematisch betreiben, kann sich der Pakt mit dem Teufel doch noch zu einem Konzept der Vernunft wandeln.

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