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Zeige Bild in Lightbox Diesseits von Angebot und Nachfrage
(© Foto: Frank Röder - Fotolia)
Karen Horn in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung Gastbeitrag 17. März 2011

Diesseits von Angebot und Nachfrage

Die Marktwirtschaft ist nötig, sinnvoll und wünschenswert, weil sie effizient ist und weil sie befreit – aber moralisch ist sie ein Krüppel. Mit diesem Urteil macht Wilhelm Röpke, der große Kulturpessimist unter den Ordoliberalen, eine überzogene Front auf zwischen der Wirtschaft und der Moral.

In Deutschland hat der Kulturpessimismus derzeit wieder Konjunktur. Erst kam der Schock der Finanz- und Wirtschaftskrise. Ökonomisch sind hierzulande mittlerweile alle Indikatoren wieder aufwärtsgerichtet, doch die Spuren der Systemdebatte sind trotzdem nicht getilgt, Selbstzweifel sind geblieben. Behält Marx am Ende Recht, dass der Kapitalismus an seinen eigenen Widersprüchen zugrunde gehen wird? Dann kam auch noch die Sarrazin-Debatte: "Deutschland schafft sich ab". Die abendländische Kultur sieht sich wieder einmal bedroht.

Zu den großen Kulturpessimisten gehörte einst auch der wortgewaltige Ökonom Wilhelm Röpke (1899-1966). Als jüngster deutscher Professor wurde er 1924 mit nur 24 Jahren an die Universität Jena berufen. Die Schriften dieses berühmten Mitstreiters der Ordoliberalen sind gerade unter dem Eindruck der jüngsten Krise zu neuer Popularität gelangt. In "Jenseits von Angebot und Nachfrage", seinem letzten großen Werk von 1958, zieht Röpke eine traurige Summe der intellektuellen und politischen Fehlentwicklungen sowie der daraus folgenden soziologischen und mentalen Pathologien des 20. Jahrhunderts.

Selbst in der zweiten Dekade des 21. Jahrhunderts kommt der Leser von "Jenseits von Angebot und Nachfrage" noch ins Grübeln– selbst wer mit einer optimistischeren Natur gesegnet ist als Röpke; wer ihm nicht folgen mag in dörfliche Idyllen; wer seine Klagen über den Werteverfall zu apokalyptisch findet; wer im Strukturkonservatismus einen Gegensatz zur Freiheitlichkeit wittert. Denn Röpke benennt intellektuelle Fehlentwicklungen, von denen sich die Menschheit bis heute nicht befreit hat. Er fährt eine schier erschlagende Fremdwörterliste von unvermindert aktuellen fatalen "-ismen" auf– als da wären der Utilitarismus (der Kult der Nützlichkeit), der Rationalismus (wir maßen uns an, alles planen zu können), der Konstruktivismus (wir schmähen die spontane Ordnung), der Modernismus (wir vergewaltigen auf Schritt und Tritt die Natur), der Individualismus (Vereinsamung des Menschen), der Etatismus (die Macht des Staates wächst ungebändigt).

Die Klammer um all dies bilden Ökonomismus und Säkularismus. Ökonomismus bezeichnet die Geisteshaltung, die alle Lebensbereiche wirtschaftlichen Kriterien unterwirft. Wobei Röpke freilich erkennt, dass das Urheberrecht auf eine solche moralische Entwicklung mitnichten allein der Kapitalismus erheben darf, wie man heute zu glauben meint, sondern in noch deutlich stärkerer Weise der Sozialismus. Die kulturelle Kehrseite hiervon besteht in der "erschreckenden Entchristlichung und irreligiösen Säkularisierung unserer Kultur", in der geistigen Verarmung der Menschheit.

Die Ökonomismusthese wäre schlichter Nonsens, wenn Röpke im Gegenzug dazu aufrufen würde, reale Knappheiten zu ignorieren und den Sinn des marktlichen Ausgleichs anzuzweifeln. Doch ihm war klar, dass Rechenhaftigkeit an sich nicht von Übel ist. Die Menschheit lebt in einer Welt knapper Güter und muss haushalten; das gilt im Materiellen wie im Immateriellen. Die Ökonomismusthese wäre zudem schlichtweg unzutreffend, wenn Röpke abstritte, dass die Marktwirtschaft auch moralische Werte schafft. Doch er spricht selbst von den Tugenden "der Arbeitsamkeit, der Rührigkeit, der Sparsamkeit, des Pflichtgefühls, der Zuverlässigkeit, Pünktlichkeit und Vernünftigkeit", die der Markt unterstützt, und lobt ausdrücklich diese "Mittellage" der Moral.

Heikel wird seine Analyse erst da, wo er die Marktwirtschaft als "Nettomoralverzehrer" charakterisiert. So wird sie zwar als überlegenes System bezeichnet, gleichzeitig aber ihre normative Leere bekundet und damit ihr moralischer Unwert. Die Marktwirtschaft ist nötig, sinnvoll und wünschenswert, weil sie effizient ist und weil sie befreit– aber moralisch ist sie ein Krüppel. Wie geht das zusammen?

Zu diesem bigotten Ergebnis muss Röpke allein deshalb kommen, weil er schon im ersten Schritt des Arguments die Weichen stellt und eine– überzogene, unnötige und nicht sinnvolle– Front aufmacht zwischen der Wirtschaft und der Moral, den christlichen Werten.

Das ist verfehlt. Ein solcher Ansatz berücksichtigt nicht, dass sich all diese Sphären im Individuum wie auch in der Gesellschaft überlappen, mehr noch, dass all diese Stränge in der Lebenswirklichkeit zusammenlaufen. Eine hermetische Abgrenzung ist künstlich; sie ist das Ergebnis eines zwar umfassenden, aber eben doch nicht ganzheitlichen Denkens; sie ist analytisch nicht hilfreich; sie ist politisch sogar bedenklich, weil sie den giftigen Gedanken einer Unverbundenheit der Sphären nur noch fester in vielen Köpfen verankert.

Ergiebiger wird die Beschäftigung mit Röpkes Ökonomismusthese, wenn man sie von ihrer Pauschalität befreit und sie spezifisch auf eine Geisteshaltung bezieht, die allerorten, ausnahmslos, auf strikte Rechenhaftigkeit dringt, in privaten Entscheidungen wie im öffentlichen Bereich, wobei die Maßeinheit freilich ausschließlich materiell ist und alle immateriellen Gegenposten außer Acht gelassen werden. Dann geht es um eine materialistische Verkürzung des Blicks vieler Menschen, um die Fixierung auf Pekuniäres.

Solche materialistische Kurzsichtigkeit äußert sich unter anderem in einer ungeduldigen, destruktiven Shareholder-Value-Orientierung; einem Mentalitätsdefekt, der dem Kapitalismus nicht einmal nützt, sondern ihm zuwiderläuft. Kapitalismus hat etwas mit Kapital zu tun, Sachkapital wie Finanzkapital, und insofern damit, dass Menschen sparen, investieren und Rendite abwarten. Doch unter dem Motto "Rendite jetzt" gerät aus dem Blick, dass zumeist Produktionsumwege eingeschlagen werden müssen, immaterieller Nutzen dann aber zu gegebener Zeit auch in materiellen Nutzen mündet.

Die materialistische Mentalitätsverkrümmung lastet Röpke systematisch der Marktwirtschaft an und der hier stattfindenden täglichen Einübung des Egoismus. "Gibt es einen sichereren Weg, die Seele des Menschen völlig auszudörren, als die durch unser Wirtschaftssystem geförderte Gewohnheit, unsere Gedanken ständig um Geld und Geldeswert kreisen zu lassen?" Sein Misstrauen gegenüber der mentalitätsprägenden Wirkung des Marktes kommt in seinen Auslassungen zum ansonsten so geschätzten Wettbewerb zum Ausdruck: "Ein Geist immer wacher, misstrauischer und in den Mitteln nicht wählerischer Rivalität darf nicht herrschend werden und die Gesellschaft in allen ihren Bereichen bestimmen, wenn er nicht seelenvergiftend, kulturzerstörend und schließlich wirtschaftlich zersetzend werden soll." Und Röpke zitiert aus dem Evangelium des Matthäus: ,Was hülfe es dem Menschen, wenn er die ganze Welt gewänne und nähme doch Schaden an seiner Seele?"

Hier hat Röpke einen Punkt. Dennoch ist es bedauerlich, dass er seinen Befund zum Anlass nimmt, gegen den Markt, gegen den Mechanismus des Ausgleichs von Angebot und Nachfrage zu wettern. Die krasse Frontstellung, die er produziert, ist keinesfalls zwingend und notwendig. Nicht nur der Homo oeconomicus bewegt sich auf dem Markt. Auch alles, was der Homo sociologicus tut, der Mensch in der Gemeinschaft, und sogar der Homo religiosus, folgt der Logik des Markts. Auch die Ausformung des Moralkonsenses in der Gesellschaft ist letztlich nichts anderes als ein marktlicher Prozess, wie man seit Adam Smith und seiner "Theorie der moralischen Gefühle" weiß. Auf diesen Prozess darf man auch setzen, wenn es darum geht, Ökonomismus im Sinne eines überzogenen, pathologischen Materialismus zu korrigieren.

Der Markt ist eine Plattform, die sich dadurch konstituiert, dass Menschen in Austauschbeziehungen eintreten, ihr Handeln unbewusst koordinieren. Der Markt als Chiffre der Interaktion versinnbildlicht die Selbstverständlichkeit, dass der Mensch keine Monade ist, dass vielmehr die Aktivitäten jedes Einzelnen eingebunden sind in einen gesellschaftlichen Kontext, dass jedermann mit einem Gegenüber konfrontiert ist, dass jedes Handeln einer Reaktion ausgesetzt ist. Austauschprozesse, gleich welchen Gegenstandes, funktionieren ausschließlich auf Basis von Freiwilligkeit und Gegenseitigkeit. Gegenseitigkeit ist Erfordernis und Ergebnis der Interaktion. Das gilt im Wirtschaftlichen wie im Geistig-Moralischen. Menschen, die zueinander in Beziehung stehen, erziehen einander. In einem Prozess der Rückkopplungen zwischen den Mitgliedern der Gesellschaft entsteht sowohl der wirtschaftliche Wohlstand als auch der moralische Wohlstand der Nation – jenes Sozialkapital an gemeinsamen Werten, moralischen Überzeugungen, Konventionen, Sitten, fortgeführten und gepflegten Traditionen, das eine Gesellschaft trägt.

Wenn man diese Smithsche Brille aufsetzt, treten nicht nur die Grundstruktur und damit die wesentliche Inkonsistenz im Röpkeschen Denken klar zutage. Auch die Gegensätzlichkeit zweier Denktraditionen, der deutschen und der angelsächsischen, und, parallel dazu, der protestantischen und der katholischen, wird plastisch. Wo die Deutschen seit Martin Luther und Immanuel Kant auf die Gesinnung der Menschen fixiert sind, richten die Angelsachsen seit der schottischen Auflklärung, seit David Hume und Adam Smith, den Blick auf Institutionen und damit auf die Lebenswirklichkeit. Bis heute gelingt nur wenigen Deutschen eine saubere Differenzierung zwischen den Ansprüchen der Tugendethik und der Ordnungsethik; aus der Institutionenblindheit ihrer intellektuellen Tradition erklärt sich die mitunter penetrante Moralinsäure ihrer Ethik. Das gilt auch für Röpke. Als deutscher Ordoliberaler denkt er zwar in Regel-Systemen– aber von der blockierenden Fixierung auf das Gesinnungsethische kann er sich trotzdem nicht lösen.

Für Röpke ist die Quelle der Werte nicht die Interaktion der Menschen untereinander, wie Smith sie skizziert, sondern der Glaube an Gott. Der Verleger Martin Hoch hat Röpkes Prioritäten einst so zusammengefasst: "Das Maß der Wirtschaft ist der Mensch. Das Maß des Menschen ist sein Verhältnis zu Gott." Die materialistisch degenerierten Menschen, die Röpke vor Augen hat, besitzen kaum mehr ein Bewusstsein für kulturelle Bindungen, Bezüge und Prägungen, zu denen eine metaphysische Verankerung gehört. Sie sind Opfer des modernen Säkularismus.

Röpkes Säkularismusthese ist weniger problematisch als die Ökonomisierungsthese. Die faktische Säkularisierung der Gesellschaft lässt sich schon an der schrumpfenden Zahl der Kirchenmitgliedschaften ablesen. Zwar ist eine Gleichsetzung von Kirchenmitgliedschaft, sonntäglichem Kirchgang, aktiver Teilnahme am Gemeindeleben, Entrichtung der Kirchensteuern auf der einen Seite und Glauben sowie Streben nach Transzendenz auf der anderen Seite nicht zulässig; ganz lässt sich eine Korrelation aber vermutlich nicht von der Hand weisen. Und beide Elemente sind für die Gesellschaft von Bedeutung.

Wer am kirchlichen Leben teilnimmt, ist Mitglied einer Gemeinschaft. Die Gläubigen eint das Bekenntnis. Wenn man wieder die Perspektive von Adam Smith einnimmt, dann wird klar, dass hier wie in allen anderen Gemeinschaften auch zwischen den Beteiligten eine Interaktion stattfindet, ein praktischer wie ein intellektueller Austausch, im Wort wie in der Tat. Hier wird die göttliche Botschaft interpretiert, an Antworten auf moralische und theologische Herausforderungen gefeilt, hier wird Nächstenliebe eingeübt, der Glaube gelebt, die Tradition weitergereicht. Dabei hält jeder jedem den Spiegel vor; jeder wird jedem zum Korrektiv.

So gerät das Gemeindeleben zum Hort der Pflege und Fortentwicklung christlicher Werte, die freilich weit über die Gemeinde hinaus ausstrahlen– und zwar in jenem Maße, wie die Gemeindemitglieder ihr Leben auch in anderen Gemeinschaften verbringen und ihre Werte in diese Sphären hineintragen, bewusst oder unbewusst. Hiervon ist die Rede, wenn die Kirchen als "Moralproduzenten" der Gesellschaft tituliert werden. In der Außenwelt perpetuiert sich derweil die Vorstellung von Religion und Kirche als Mittel und Anstalt der Moralpflege, wie die Tatsache zeigt, dass die Zugehörigkeit zu einer Glaubensgemeinschaft abendländischer Tradition in der Gesellschaft als Beglaubigung persönlicher Rechtschaffenheit gewertet wird.

Für den, der glaubt, ist sein Glaube freilich mehr als bloß eingeübte und gelebte Moral. Deswegen wird er die genannte Gleichsetzung kaum tolerieren– so, wie es natürlich auch sonst strikt zu unterscheiden gilt zwischen den verwandten, aber keinesfalls in eins zu setzenden Begriffen Transzendenz, Glaube, Religion, Kirche und Theologie. Der Münchner Kardinal Reinhard Marx weist darauf hin, dass es kaum Jesu Hauptsorge gewesen sein dürfte, unsere offene Gesellschaft mit moralischem Kitt zu versehen, sondern vielmehr "Menschen einen Zugang zu Gott zu eröffnen, die befreiende Erfahrung zu machen von einer Wirklichkeit, die größer ist als der Mensch und sich trotzdem seiner annimmt". Es geht um Transzendenz; darum, dass der Mensch über sich selbst hinausstrebt und die Eigengesetzlichkeiten der menschlichen Existenz hinter sich zu lassen sucht. Es geht darum, dass er überhaupt nach dem Höheren strebt, gleich ob fröhlich und entspannt wie der Katholik oder ernst und angestrengt an sich selbst arbeitend wie der stereotype Protestant.

Freilich ist auch dies kein Streben, das der Mensch als Einzelgänger zu entwickeln gezwungen oder imstande wäre: Den Impuls, das über uns Hinausweisende überhaupt zu suchen, schöpft der Mensch nicht nur aus sich selbst, sondern lernt es nach der Smithschen Logik wiederum im Austausch, in der Gemeinschaft mit anderen. Um mit Röpke zu sprechen, kann man sich freilich heute des Eindrucks nicht erwehren, dass es hierzulande, in einem eigentlich von abendländischer, jüdisch-christlicher Tradition geprägten Land, mittlerweile an beidem mangelt, an der gesellschaftlichen Moralproduktion im kirchlichen Verbund ebenso wie am individuellen Streben der einzelnen Menschen nach Transzendenz. Das Wertesystem der meisten Menschen speist sich heute immer weniger aus der Religion. Der Maßstab des Menschen ist nicht länger seine Beziehung zu Gott. Für das Seelenheil des Einzelnen bleibt das möglicherweise ebenso wenig ohne Folgen wie für die Wohlfahrt der Gesellschaft.

Wozu bedarf es überhaupt der Letztbegründung durch die göttliche Offenbarung? Lassen sich die christlichen Werte, die Röpke nicht zuletzt als Voraussetzung einer funktionierenden Marktwirtschaft betrachtet, nicht auch anders erringen? Sind die christlichen Werte überhaupt so besonders? Hierüber gehen die Meinungen auseinander. Trotzdem sei die These gewagt, dass die Unverfügbarkeit des Lebens, die Mutter aller christlichen Werte– die den meisten Menschen heute so lieb und teuer sind, dass sie sie auch als Ungläubige erhalten wollen –, auf dem Weg der christlichen Offenbarung immer noch am unmittelbarsten und nachhaltigsten vermittelt wird. Und dann ist es ein Problem, wenn, wie Nietzsche sprach, Gott tot ist.

Mit Röpkes Ruf nach Gott, mit seinen Klagen darüber, dass der Mensch seiner Holschuld in Sachen Offenbarung nicht länger Genüge tut, hätte Adam Smith, der Agnostiker, kaum viel anfangen können– es sei denn, man begriffe auch das Streben nach Transzendenz als eine gesellschaftlich herausgebildete und eingeübte Verhaltensweise; Gott als gemeinschaftliche intellektuelle Konstruktion; die Theologie als daran anknüpfende Wissenschaft; den Glauben und die christliche Praxis als Konvention, als Standard und Referenzpunkt, der sich in einem mentalen Austauschprozess ergibt; und die Kirchen als dazugehörige diesseitige Institution.

Mit etwas Frechheit kann man das theoretisch durchaus so konzipieren, auch wenn man sich damit den Zorn der Theologen und den Vorwurf der Blasphemie einhandeln dürfte. In diesem, aber nur in diesem Sinne könnte wohl auch Smith die mit Verve vorgetragene Behauptung des Christenmenschen Röpke nachvollziehen, dass wir Gott brauchen und ohne ihn rettungslos verloren wären. In dieser Perspektive hätte indes nicht Gott den Menschen geschaffen, sondern umgekehrt erschüfe sich die Menschheit Gott. So gewendet arbeitet Röpke an der Erschaffung Gottes eifrig mit, wenn ermit Pathos die Gottlosigkeit der Moderne beklagt, auf dem christlichen Menschenbild beharrt, zum Streben nach dem Göttlichen ermutigt und nach dem "Geistig-Moralischen" ruft.

Röpke ist damit ein Moralunternehmer. Was er tut, ist nichts anderes, als sich als kreativer Produzent auf dem Markt für metaphysische Ideen und für moralische Inhalte ins Getümmel zu werfen: diesseits von Angebot und Nachfrage. Auf der Grundlage eines solchen systemisch ganzheitlichen Paradigmas fällt auch die Antwort auf einen häufig erhobenen Vorwurf leichter: dass Röpke nämlich nicht in der Lage sei, einen liberalen Ausweg aus der Misere zu weisen. Dass man zu autoritären Mitteln greifen müsste, um sich der spontanen moralischen und gesellschaftlichen Entwicklung entgegenzustemmen, die er beklagt, um jene gesunde Geisteshaltung "herzustellen" und jene Gesellschaft zu erzwingen, von denen er träumt.

Der Einwand ist berechtigt, und doch wischt er Röpkes Appelle nicht vom Tisch– wenn man sie wohlwollend versteht als ein intellektuelles Angebot, über den Sinn des Lebens, über die Bedingungen eines gelingenden Lebens, über die Gestaltung des Alltags nachzudenken. Das sind die großen Fragen der Menschheit. Sie sind es wert, dass man zu ihnen viele profunde Stimmen anhört, auch die kulturpessimistischen, wenn die Zeit es nun einmal gebietet. Abzuwehren gilt es nur die Versuchung paternalistischer Übergriffe auf andere.

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