Reformen haben dem Gymnasium und der Universität Schaden zugefügt. Jetzt müssen die Zustände dort verbessert werden.
Die Universitäten müssen den Zweifel lehren
Bologna, Bonn und Kopenhagen – diese drei Städtenamen stehen synonym für fundamentale Reformen, die das deutsche Bildungssystem nachhaltig verändern. Während der Bologna-Prozess durch den Streik der Studenten derzeit die Gemüter bewegt, liegt die Aufregung über die von der Bonner Kultusministerkonferenz beschlossene Verkürzung der Gymnasialzeit auf acht Schuljahre (G 8) schon etwas zurück. Auch der Kopenhagen-Prozess, der auf mehr europäische Vergleichbarkeit in der beruflichen Bildung zielt, lässt – obgleich noch im Diskussionsstadium – erste Befürchtungen und Zweifel laut werden.
Niemand wird bestreiten wollen, dass unser Bildungssystem reformbedürftig ist. Die im internationalen Vergleich eher mäßigen Ergebnisse sprechen dafür ebenso wie die demografische Entwicklung, die höhere Beteiligungsund Erfolgsquoten auf allen Bildungsstufen fordert. Auch die europäische Perspektive, Transparenz und Mobilität durch mehr Vergleichbarkeit sowie gegenseitige Anerkennung zu fördern, ist überzeugend. So weit, so gut. Doch was misslingt uns da so konsequent, dass die Glaubwürdigkeit begründeter Reformen sich so umfassend verliert?
Eine Argumentation verweist auf Umsetzungsprobleme, eine alternative auf die prinzipielle Fragwürdigkeif der eingeleiteten Veränderungen. Vermutlich haben wir es mit beidem zu tun. Die Schwierigkeiten, solche Reformen umzusetzen, bestehen offenbar durchgängig. Das achtjährige Gymnasium und die Studienreform für Bachelor und Master bedeuten oberflächlich betrachtet vor allem eine andere Zeitstruktur dieser Bildungsgänge. Verkürzung und Modularisierung sollen dazu führen, dass unsere Absolventen früher – also wie in vielen anderen Ländern eher mit Anfang 20 – dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen.
Aus Sicht der demografischen Entwicklung ist dies zu begrüßen. Denn so können wir durch eine Verlängerung der Erwerbstätigkeit den Folgen der schrumpfenden Bevölkerung entgegenwirken. Auch die Modularisierung macht in diesem Kontext Sinn, da so der Einstieg in eine lebenslange Bildungsbiografie mit wiederholt intensiven Phasen der Beschäftigung mit neuen Inhalten greifbar wird. Doch: Wer solche Reformen einleitet, der muss wissen, dass dies ohne eine entsprechende Aufstockung und Umschichtung der finanziellen Mittel und eine Entschlackung der Curricula nicht zu bewältigen ist.
Die Verkürzung von Bildungszeiten bei kaum veränderten Bildungsinhalten benötigt andere Betreuungsmuster und kleinere Lerngruppen. Erstaunlicherweise hat der in der Bildungspolitik so hoch gehaltene Föderalismus hierzu keinen positiven Beitrag geleistet.
Der Wettbewerb hat nicht zu den besseren Lösungen getrieben. Niemand war beispielsweise bereit, aus den Erfahrungen Thüringens und Sachsens – immerhin Länder mit besten Pisa-Ergebnissen – für die Einführung von G 8 zu lernen. Bemerkenswert ist immerhin die Lösung in Rheinland-Pfalz, nur für Ganztagsschulen die Umstellung auf den achtjährigen Lehrplan vorzusehen.
Die Schul- und Wissenschaftsminister, aber auch viele Universitätsleitungen haben die Größe der Aufgabe verkannt. Sie haben nachlässig und unverantwortlich gehandelt. Die heute auch aus diesem Kreis zu vernehmenden Beileidsbekundungen an die Studenten sind wenig glaubwürdig. Besonders ärgerlich wird es aber dadurch, dass zugleich sichtbar wird, wie Ignorant man mit den großen Bildungstraditionen unseres Landes umgeht. Die These, der Bologna-Prozess sei grundsätzlich und nicht bloß in seiner Umsetzung verfehlt, wird dadurch genährt.
Die mit der Gründung der Berliner Universität im Jahr 1810 und mit den Namen Humboldt, Fichte und Schleiermacher verbundene fundamentale Reform der deutschen Universitätslandschaft begründet bis heute deren Reputation. „An die Stelle eines emphatischen Wahrheits- und Weisheitsauftrags der Universität ist die Autorität des Zweifels“ gesetzt worden, beschreibt der ehemalige Präsident der Alexander-von-Humboldt-Stiftung, Wolfgang Frühwald, die Reform. Wissenschaft als methodisierten Zweifel zu verstehen bedeutet, auf die Vielfalt sowie den Widerstreit der Meinungen zu setzen. Dafür gilt es, den notwendigen Freiraum zu gewähren.
Der Blick zurück soll nicht verklären. Doch die Autorität des Zweifels ist zeitlos. Sie richtet sich auch gegen eine Gleichmacherei, die ihr Ziel der Internationalisierung des Studiums nicht zu erreichen vermag. Und sie richtet sich dagegen, den inneren Zusammenhang von Gymnasium und Universität zu verkennen. Beiden zentralen Institutionen unserer Bildungslandschaft wurde Schaden zugefügt. Ein Zurück im Grundsatz wird es aber nicht geben können, deshalb muss alles auf die Besserung der Zustände an den Bildungsinstitutionen gerichtet werden. Die Universitäten sind aufgerufen, ihre Autonomie verantwortlich auszufüllen. Da kann sich niemand in seinen Büchern verstecken, der sich Professor nennen darf.
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