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Michael Hüther Gastbeitrag 13. Juli 2006

Die Kirche im Umbruch als Vorbild

Während es der Politik schwer fällt, konsistente Problemlösungen zu entwickeln, ist dies der EKD gelungen.

Auch wenn das Erlebnis der grandiosen Weltmeisterschaft weiterwirkt, so kehrt dennoch die Realität in unsere Wahrnehmung zurück. So tut die Politik alles, um die Stimmung zu trüben. Insofern haben wir guten Grund, nach positiven Meldungen Ausschau zu halten. Und tatsächlich: Während die Politik sich schwer tut, die Lage und ihre Bestimmungsgründe nüchtern zu ermitteln sowie konsistente Lösungsbündel zu entwickeln, ist dies dem Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) mit seinem jüngst vorgelegten Impulspapier gelungen.

Sicher, dieses Papier zu den Perspektiven der Kirche im 21. Jahrhundert markiert erst den Beginn eines intensiven Beratungsprozesses. Doch die inhaltliche Klarheit und Prägnanz zeigen, wohin eine tief gehende Erarbeitung des Befundes zu führen vermag.

„Die Herausforderungen begreifen" steht wie selbstverständlich über der Analyse, wo wir irh gesellschaftlichen Diskurs viele Kräfte hören, die schon schlichte Tatsachen negieren und Demographie sowie Globalisierung als Märchen aus interessierten Kreisen bewerten. In dem Impulspapier wird die Bevölkerungsentwicklung mit ihren Folgen für die Mitgliederzahl ebenso erörtert wie die finanzielle Vorausschau. Der "Marktverlust im Kerngeschäft der kirchlichen Amtshandlungen" wird als dramatisch beschrieben und der stark abnehmende Transfer von religiösen Traditionen in familiären Strukturen als zentrales Problem identifiziert.

Die internen Verwerfungen werden in aller Deutlichkeit benannt: die hohen Personalkosten als Ergebnis mitunter wenig weitsichtiger Personalpolitik, die sich türmenden Kosten für die Unterhaltung von Bauten mit der sich aufdrängenden Frage nach einer alternativen Nutzung von Kirchen, die klärungsbedürftige Position der Landeskirchen und deren föderale Überdehnung in 23 parallelen Verwaltungsstrukturen, das bisherige Unterlassen einer Schwachstellenanalyse kirchlicher Arbeit und die Folgen fehlenden Qualitätsmanagements vor allem des Pfarrdienstes im Zusammenspiel mit einer großherzigen Einstellungspolitik.

„Strategische Planungen und Leitungsentscheidungen brauchen eine Vision von der Zukunft": Dies gilt, man kann es kaum treffender formulieren, für alle grundlegenden Veränderungsprozesse, ob in der Gesellschaft oder in Unternehmen. Die Klärung des Leitbildes wird versucht, indem die Kernkompetenzen bestimmt werden und die Konzentration auf diesen unverrückbaren Bestand an evangelischer Identität angestrebt wird. Die häufige Beliebigkeit kirchlicher Botschaften, die Neigung zum Separatismus und Defizite gesamtkirchlicher Verantwortungsbereitschaft erforderten diesen Klärungsprozess. Unzureichend sei die Identifikation vieler Mitarbeiter und Pfarrer (!) mit den kirchlichen Kernaufgaben.

„Lernen von wirtschaftlichem Denken": Wer hätte dies als Prämisse in einem Strategiepapier der evangelischen Kirche erwartet? Dafür soll die Begründungspflicht umgekehrt werden: Nicht mehr die historische Bedeutung soll zählen, sondern die künftige. Heilige, unantastbare Organisationsstrukturen könne es nicht geben.

Unmissverständlich wird klar gemacht, dass ein Aufbruch der Kirche in das 21. Jahrhundert nur gelingen kann, wenn bei den Mitarbeitern der Vereinsamung, der Verkümmerung sozialer Fähigkeiten und dem Erlöschen der Teamfähigkeit begegnet werde. Qualitätsmanagement, laufende Fortbildung und eine intensivierte Personalentwicklung und -führung durch Neubeauftragung, Entsendung und Versetzung sollen dabei helfen.

Die Reformdiskussion in der evangelischen Kirche birgt Zerreißproben zwischen Veränderungsbereitschaft und Beharrungssehnsucht in sich. Dabei ist sie weit mehr als nur ein Spiegelbild gesellschaftlicher und politischer Debatten. Denn die Kirche muss mit ihrem missionarischen Anspruch in besonderer Weise die Beständigkeit von Grundwerten und ethischen Orientierungen leben.

Es ist ein Wandeln auf dem schmalen Grat zwischen festem Wertegerüst und notwendiger Neuerung. Dabei übersehen – gerade auch in der politischen Debatte – viele, dass die unumgängliche Offenheit nur dann nicht zur Beliebigkeit wird, wenn ein Konsens über Letztverbindlichkeiten besteht.

So wie die Kirche ansonsten Gefahr läuft, in separatistische Randgruppen zu zerfallen, so verliert die Politik den Kompass für ihren Weg. Weisung gibt hier die Ordnungspolitik mit ihrem klaren Bekenntnis zu Freiheit und Verantwortung sowie der Forderung nach Beteiligungsgerechtigkeit.

Die strategischen Überlegungen der evangelischen Kirche gehen mit einer beachtlichen inhaltlichen Neupositionierung einher. So bietet die jüngste Denkschrift des Rates der EKD "Gerechte Teilhabe" eine Analyse von Armut, die den Stand der ökonomischen Diskussion reflektiert, die Zwänge der Globalisierung thematisiert und die Chancen des Strukturwandels erkennt. Gerechtigkeit wird nicht mehr auf Verteilungsgerechtigkeit reduziert, die Bildung als wichtiger Ansatzpunkt zur Vermeidung von Armut betont. All dies macht Mut. Es zeigt, dass ideologische Verhärtungen aufzulösen sind und ordnungspolitisches Denken einziehen kann.

Gleichwohl bleibt ein langer Weg. Das wird klar, wenn man den Rücktritt des Präsidenten des Diakonischen Werkes vom 21. Juni erinnert, nachdem dieser Kürzungen bei passiven Leistungen nach Hartz IV als unausweichlich bewertet hatte. Dies war durchaus im Sinne der Denkschrift, die vor Wohlfahrtspaternalismus und Schwächung der Eigenverantwortung warnt. Zwischen Theorie und Praxis klafft mitunter auch in der Kirche eine beachtliche Lücke. Wichtig ist die Erkenntnis des notwendigen Mentalitätswandels. Wenn nur die Politik schon so weit wäre.

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