Steuererleichterungen sind das beste Mittel gegen die drohende Rezession.
Der Staat muss gegensteuern
Der Blick auf Konjunktur und Kapitalmarkt vermittelt den Eindruck, als würde einem alles entgleiten. Nirgendwo scheint es einen Halt gegen Abwärtsspiralen zu geben, die sich noch gegenseitig verstärken. Die Börsen erproben die maximale Fallhöhe im Tagesrhythmus, unspektakuläre Informationen werden wie Offenbarungen über die Perspektiven der Realwirtschaft behandelt. Damit sieht sich die Politik der berechtigten Forderung ausgesetzt gegenzusteuern.
Die an den Märkten beliebte Formulierung, die Börse schaue immer sechs Monate voraus, ließe einen in tiefe Depression verfallen, wenn man sich nicht daran erinnerte, was die Börsen dann mit ihren Höchstständen im Januar 2008 wohl für den Sommer erwartet haben mögen. Sosehr die gegenwärtige Bewegung der Aktienkurse von Übertreibungen und Einseitigkeiten geprägt ist und wenig mit rationaler Informationsverarbeitung zu tun hat, so gilt doch, dass Sorgen über die konjunkturelle Entwicklung berechtigt sind.
Dabei wird leicht übersehen, dass der Aufschwung schon im Frühjahr auslief. Die Auftragseingänge sind seit dem ersten Quartal rückläufig. Diese Entwicklung hatte sich weitgehend unabhängig von den Umbrüchen an den Finanzmärkten im Hochsommer dramatisch verschärft. Viele Branchen sind mittlerweile betroffen.
Für die Frage, wie sehr nun die Weltfinanzkrise diese zunächst autonome konjunkturelle Bewegung verschärft, ist eine klare Antwort weder aus Erfahrung noch aus theoretischer Reflexion abzuleiten. Der Rückblick auf die letzten Jahrzehnte gibt aber Anlass zu weniger dramatischen Schlussfolgerungen. Regelmäßig sind die Effekte der Finanzmärkte auf die "reale" Wirtschaft überschätzt und deren Flexibilität ist unterschätzt worden. Allerdings überschauen wir zurzeit nicht, wie tief und wie lang die Funktionsstörung bei den Banken sein wird. Die Rekonstruktion von Vertrauen entzieht sich jeglicher Prognose.
Bezogen auf die gesamtwirtschaftliche Entwicklung haben wir es mit zwei Schwierigkeiten zu tun: einerseits mit einem angebotsseitigen Problem, das sich durch den Liquiditätsstau bei den Banken für die Unternehmensfinanzierung stellt. Darauf hat die Politik mit dem Rettungspaket angemessen reagiert. Es bleibt zu prüfen, ob gerade mit Blick auf die besondere Bedeutung des Bürgschaftsrahmens für den Interbankenmarkt nicht ein höherer Verpflichtungsgrad durch den Staat verfügt werden sollte. Zumindest wird diese Frage verstärkt auf die Tagesordnung kommen, wenn sich die Banken weiterhin so verhalten wie bisher. Andererseits haben wir es mit einer veritablen nachfrageseitigen Belastung zu tun. Der zum Teil abrupte Einbruch der Auftragseingänge wie auch erste Stornierungen bereits fixierter Bestellungen deuten eine spürbare Anpassung an. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass dies in einen Prozess kumulativ sich verstärkender Produktionsrückgänge mündet, mit deutlichen Konsequenzen für den Arbeitsmarkt und kombiniert mit einem Einbruch der Investitionen. Angesichts solcher Szenarien muss ernsthaft geprüft werden, ob die Wirtschaftspolitik etwas tun kann und – wenn ja – was.
Dabei sollte aber nicht übersehen werden, dass eine Abfederung durch den privaten Konsum zu erwarten ist. Der merkliche Rückgang des Ölpreises entlastet die verfügbaren Einkommen, insgesamt dürfte der Kaufkraftentzug im kommenden Jahr nur noch bei zwei Prozent liegen. Zudem haben die Tarifabschlüsse des Jahres 2008 im Schnitt eine Erhöhung der Tarifentgelte um 3,5 Prozent erbracht. Das jüngst gemessene Konsumentenvertrauen zeigt sich noch robust. Die Beschäftigungslage ist unverändert gut, der Beschäftigungsindex der Bundesagentur für Arbeit trotz geringerer Dynamik weiterhin positiv.
Was sollte, was kann getan werden? Konjunkturpolitische Strohfeuer wie Steuerschecks oder Ausgabenprogramme werden nicht helfen, in jedem Fall aber Steuergeld verbrennen. Selektive Maßnahmen zugunsten einzelner Branchen sind mit hohen Streuverlusten verbunden, da sie nicht nur deutschen Anbietern zugute und überdies nur völlig willkürlich zustande kämen. Davon unbenommen ist es angemessen, die ohnehin geplante Neugestaltung der KFZ-Steuer vorzuziehen. Sinnvoll und wichtig wäre es, die Investitionen durch die Wiedereinführung der degressiven Abschreibung (mit 30 Prozent) zu beleben, was rund acht Milliarden Euro pro Jahr kostet.
Der Konjunktur, die so abrupt einbricht und die die Anpassungsflexibilität der Angebotsseite zu überfordern droht, kann man am ehesten entsprechen, indem man der privaten Nachfrage schnell, deutlich und dauerhaft mehr Spielraum verschafft. In einer Phase, in der sich die verfügbaren Einkommen ohnehin günstiger entwickeln, kann über einen Verstärkereffekt auf eine kräftige Durchwirkung gesetzt werden. Denkbar ist die Korrektur des Einkommensteuertarifs durch eine Abflachung des Tarifknicks beim zu versteuernden Einkommen von 12 739 Euro um drei Prozentpunkte. Alternativ könnte der Solidaritätszuschlag abgeschafft werden. Hier wäre nur der Bund betroffen, die politische Durchsetzung deshalb einfacher. Jeweils hätten die Bürger rund zwölf Milliarden Euro mehr in der Tasche.
Die gesamte Defiziterhöhung von 20 Milliarden Euro sollte in den Jahren 2009 und 2010 zusätzlich zu den konjunkturellen Effekten auf den Staatshaushalt hingenommen werden. Per Gesetz müsste aber die Refinanzierung durch Subventionsabbau und Ausgabenkürzungen bereits jetzt verlässlich für das Haushaltsjahr 2011 festgelegt werden. Wer so handelt, der stärkt die Wachstumskräfte und nimmt auf die Konjunktur Rücksicht. Zugleich gewinnt man Handlungsfähigkeit für eine internationale Koordination zur gesamtwirtschaftlichen Abfederung. Dies ist die eigentliche Herausforderung, um wirklich effektiv zu sein.
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