1. Home
  2. Presse
  3. In den Medien
  4. Der Bauplan der Generation Lego
Michael Hüther Gastbeitrag 7. September 2006

Der Bauplan der Generation Lego

Ohne eine klar erkennbare Rangfolge in der Wertediskussion verlieren wir uns in bequemer Beliebigkeit.

Die jetzt in der Verantwortung stehende Generation trägt viele Signaturen zeitgeistigen Ursprungs. Das Etikett "Generation Lego" verweist auf eine in der Regel weiter zurückliegende Lebenserfahrung, die gleichwohl nicht minder prägend war: den spielerischen Umgang mit dem Lego-Baustein. In den fünfziger Jahren hatte dieses Spielzeug seine Erfolgsgeschichte begonnen, die vor allem darin begründet war, dass der Legostein in beliebiger Weise stabil kombiniert und doch wieder gelöst werden kann. Der Universalstein lässt alles zu, Ergebnisse sind jederzeit revidierbar. Passt ein Baustein unten nicht, dann kommt er halt nach oben.

Mitunter drängt sich einem der Eindruck auf, dass die nicht selten bis zur Beliebigkeit überdehnte Flexibilität unserer politischen und wirtschaftlichen Eliten etwas mit dieser nahezu kollektiven Urerfahrung zu tun hat. Selbst bei der Strukturierung unserer Wertegerüste scheint dies der Fall zu sein. Anders kann man folgende Passage aus der kürzlich von der CDU-Vorsitzenden gehaltenen Grundsatzrede zur Programmdiskussion kaum erklären: "Freiheit, Gerechtigkeit und Solidarität – das sind unsere drei Grundwerte, und für mich gibt es keine Hierarchie unter diesen Grundwerten. Sie bedingen einander."

Wie typengleiche Legosteine lassen sich danach Freiheit, Gerechtigkeit und Solidarität kombinieren – je nach Lage und je nach Publikum werden die Steine dabei neu sortiert und wieder umgesteckt. Zwar wird in der Rede das Freiheitsverständnis besonders erwähnt und so Freiheit als "Freiheit zu etwas" näher bestimmt, doch ändert dies nichts an dem als hierarchiefrei und damit als beliebig qualifizierten Verhältnis der genannten. Werte zueinander. Wie soll daraus Orientierung für die zentralen, in der Rede benannten Politikbereiche erwachsen? Wir nehmen uns die Freiheit der Beliebigkeit, und wir drohen so der Freiheit verlustig zu gehen.

Es hilft nichts, wir müssen den Mut aufbringen, Klarheit über die Ordnung der Werte zu schaffen. Insofern ist die angelaufene programmatische Debatte in nahezu allen Parteien als wichtiger Katalysator zu begrüßen. Dabei sollten uns auch gedankliche Unscharfen zunächst nicht irritieren. Sorge müsste aber bereiten, wenn es auch am Ende keinen Konsens über eine Wertehierarchie gäbe. Die "Generation Lego" steht vor der großen Herausforderung, die Bequemlichkeit des Unverbindlichen aufzugeben.

Unsere Gesellschafts- und Wirtschaftsordnung basiert auf dem Bekenntnis zur Freiheit, freilich einer Freiheit in Verantwortung. Welchen Sinn hätte Gerechtigkeit, wenn sie ohne Freiheit wäre? Welcher Gerechtigkeitsbegriff ließe sich formulieren, wenn er nicht auf dem Grundsatz der Freiheit beruhte? Welche Legitimation erhielte die Forderung nach Solidarität, wenn sie gleichwertig zur Freiheit wäre? Welche Konsequenzen ergäben sich aus dem Grundsatz der Solidarität, wenn er nicht dem Gedanken der Subsidiarität nachfolgte? Die drei Werte bedingen sich, keine Frage, doch die Qualität der Beziehungen kann ohne festen Anker nicht geklärt werden.

Freiheit in Verantwortung steht in der Tradition der Aufklärung. Sie würdigt den Einzelnen nicht nur als handlungswillig, sondern auch als ethisch handlungsfähig. Mündigkeit ist ein Zutrauen, keine Zumutung. Das erfordert zugleich die Fähigkeit zur Verantwortung für das eigene Tun, andernfalls würde eine Gesellschaft durch die gegenseitige Ausbeutung ihrer Mitglieder geprägt. Da die Gesellschaft der Freien bei den Freiheitsrechten niemanden diskriminiert, setzt sie zugleich auf das Mitmachenkönnen aller, die mitmachen wollen. Partizipationsgerechtigkeit wird dadurch zwingend zur Norm der Freiheitsgesellschaft.

Die faire Chance der Teilhabe fordert zunächst ein effektives Bildungssystem, dazu eine Wettbewerbspolitik zur Sicherung offener Märkte und erst dann eine stets nur kurativ mögliche Sozialpolitik.

So strukturiert, muss sich auch Solidarität als gesellschaftliche Verantwortung für Partizipationsgerechtigkeit verstehen, und sie muss sich auf angemessene Bildungseinrichtungen beziehen, wo eine öffentliche Finanzierung gefordert ist, wie im frühkindlichen Bereich und bei allgemein bildenden Schulen. Für die Sozialpolitik besteht unverändert der Anspruch, dass dort Solidarität nur subsidiär zum Zuge kommen darf.

Die Bausteine unseres Wertesystems erweisen sich damit als unverwechselbar und klar geordnet. Diese Erkenntnis sollte aus den Programmdiskussionen der Parteien neu gerinnen. Nur ein solch festes Gerüst an elementaren Orientierungen gibt die Chance, im internationalen Standortwettbewerb, der zunehmend auch ein Wettbewerb der Wertesysteme ist, bestehen zu können.

Der fünfte Jahrestag der Terrorangriffe vom 11. September 2001 sollte uns auch daran erinnern, dass die Freiheit in vielen Regionen der Welt an Glanz verloren hat. Wie wollen wir aber überzeugen, wenn auch wir den Wert der Freiheit relativieren? Wie wollen wir im Wettbewerb der Systeme bestehen, wenn wir nicht mehr belegen können, dass die Freiheitsgesellschaft auch schwache Mitglieder in der Modernisierung am ehesten und am besten auffangen kann?

Wer seine Grundwerte relativiert, der verstellt sich den Blick auf die notwendigen Handlungsprioritäten – wie beispielhaft in der reflexartigen Ablehnung der Sachverständigenratsvorschläge zum Kombilohn durch Regierungsvertreter erkennbar -, und er verliert fundamental an Glaubwürdigkeit.

Schnell muss deshalb die Hierarchie der Werte erarbeitet werden, um für das Tagesgeschäft Orientierung zu haben. Die "Generation Lego" sollte sich erinnern, dass ohne großen Bauplan die Flexibilität im Detail wenig nützt.

Artikel im Original | PDF

Mehr zum Thema

Artikel lesen
Heimische Förderung sorgt für mehr Versorgungssicherheit
Hubertus Bardt in der Frankfurter Allgemeinen Gastbeitrag 16. Oktober 2014

Heimische Förderung sorgt für mehr Versorgungssicherheit

In der Frankfurter Allgemeinen analysiert IW-Geschäftsführer Hubertus Bardt die Versorgungssicherheit in Deutschland. Er geht der Frage nach, welchen Beitrag zur Unabhängigkeit die heimische Gasförderung leisten könnte.

IW

Artikel lesen
Knut Bergmann in Die Politische Meinung Gastbeitrag 18. Dezember 2014

Bauch schlägt Kopf

Warum es den Deutschen zu gut geht und der Wohlstand gefährdet ist – mit dieser Frage beschäftigt sich IW-Kommunikationsleiter Knut Bergmann in einem Gastbeitrag für Die Politische Meinung, einer Zeitschrift der CDU-nahen Konrad-Adenauer-Stiftung.

IW

Inhaltselement mit der ID 8880