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Michael Hüther Gastbeitrag 27. November 2008

Analyse statt Ideologie

Wir brauchen jetzt Entlastungen und keinen Wahlkampf über Steuersenkungen.

Krisenzeiten bieten oft Überraschendes und Unerwartetes. Zugleich lässt sich während Krisen schärfer und eindeutiger erkennen als sonst, ob es gelingt, jenseits von Vorfestlegungen, Ideologien und politischen Überzeugungen sachlich zu entscheiden. Aktuell gibt es dafür Anschauungsunterricht: die Reaktion der Wirtschaftspolitik auf Rezession und Weltfinanzkrise. Während die drohende Zerrüttung des Finanzsystems schnell, zügig und im Grundsatz sachgerecht von der Bundesregierung beantwortet wurde, fällt ihr dies mit Blick auf die Rezessionsgefahr offenbar schwer.

Kann es sein, dass die Finanzmarktkrise mangels eines vorliegenden ökonomischen Masterplans ein unvoreingenommenes Handeln ermöglicht hat, die Rezession sich aber auf dem verminten Gelände ökonomischer Glaubenssätze bewegt und deshalb einer angemessenen Reaktion entzieht? Eine solche Frage mögen viele als Provokation empfinden, schließlich hatten wir uns in den Positionen der Nachfragepolitik und der angebotsorientierten Wirtschaftspolitik gemütlich eingehaust.

So haben wir uns daran gewöhnt, Ökonomen und Politiker der einen oder der anderen Schule zuzuordnen. Nun staunen wiederum viele, wie scheinbar unverrückbar fixierte Institutionen wie der Sachverständigenrat oder auch das Institut der deutschen Wirtschaft Köln in dieser Zeit nachfragepolitische Maßnahmen präferieren. Diejenigen, die noch vor kurzem die Angebotsorientierung als ewig gleiche Melodie der Fantasielosigkeit und Langeweile gedeutet haben, schütteln nun den Kopf über einen als Wetterwendigkeit diffamierten Realitätssinn. Doch Wirtschaftspolitik hat sich nicht an ideologischen Positionen zu orientieren, sondern am gesamtwirtschaftlichen Befund.

Die in dieser Woche vorgestellte IW-Herbstumfrage hat deutlich gemacht, dass sich die begonnene rezessive Anpassung zunächst verschärft fortsetzen wird. 2009 wird ein insgesamt unerfreuliches Jahr werden. Die seit dem Spätsommer massiv und seit dem Herbst dramatisch einbrechenden Auftragseingänge machen eine Neubewertung der gesamtwirtschaftlichen Aussichten unausweichlich. Die Anpassungsfähigkeit der Produktionsseite wird überdehnt. Vor diesem Hintergrund sind Maßnahmen zur Stabilisierung der Nachfrage angezeigt.

Diese Argumentation ist der angebotsorientierten Wirtschaftspolitik nie fremd gewesen, sie ist nur in den Hintergrund getreten, weil die realen Probleme der letzten Jahrzehnte überwiegend andere waren oder bei weitem nicht die Dimension der jetzigen Krise erreichten. Offenkundig hat sich die Politik nach langem Lernprozess so sehr angebotspolitisch positioniert, dass jetzt die Kraft zur Differenzierung fehlt. Dabei hat Finanzminister Steinbrück ja durchaus recht mit dem Hinweis, dass man gegen eine Rezession nicht „anfinanzieren“ könne. Das propagiert indes auch niemand.

Wohl aber kann es gelingen, durch schnelles, transparentes und massives Handeln rezessive Entwicklungen abzufedern und deren gesamtwirtschaftliche Kosten zu begrenzen. Derzeit geht es darum, die im Sinkflug befindlichen Erwartungen zu stabilisieren, um dadurch die Grundlage für neue Möglichkeiten und für neue Perspektiven zu schaffen.

Dies wird aber mit Einmalmaßnahmen wie den durch die Gazetten geisternden Konsumschecks ebenso wenig gelingen wie mit staatlichen Investitionsgroßprogrammen, die auf die Schnelle nicht zu realisieren sind.

Warum hat die Bundesregierung, wie in der Haushaltsdebatte sichtbar wurde, Angst vor Steuersenkungen? Traut sie den Bürgern so wenig? Sieht sie alle Dämme gegen neue gruppenspezifische Sonderwünsche im Hinblick auf zusätzliche Ausgaben brechen? Erwartet sie, dass künftig eine ambitionierte Konsolidierung des Haushalts nicht mehr gelingen wird? Solche Befürchtungen sind nicht unplausibel. Dennoch darf die Angst vor dem Denkbaren nicht den Weg zum Notwendigen verstellen. Die Regierung, gerade diese mit ihrer breiten parlamentarischen Basis, darf sich der Verantwortung nicht entziehen.

Eine Senkung der Einkommensteuerlast durch eine Abschaffung des Solidaritätszuschlags und eine Tarifglättung im unteren Bereich um insgesamt 25 Mrd. Euro kann zwei offene Flanken schließen und die Regierung sogar stärken: gegenüber Sonderwünschen einzelner Branchen oder Interessen ebenso wie gegenüber den unmoralischen Ansinnen mancher europäischer Freunde. Völlig zu Recht lehnt Berlin es ab, Sondermittel für die EU bereitzustellen. Aber nichts ist falsch an einer europäischen, besser noch internationalen Parallelisierung der Konjunkturstützung. So lassen sich Sickerverluste vermeiden.

Bundeskanzlerin und Finanzminister lehnen Steuersenkungen auch wegen der daraus folgenden Defiziterhöhung ab. Das ist eine grundsätzlich rühmliche Haltung. Doch jetzt ist Rezession, und es muss jetzt angemessen gehandelt werden. Da führt in der kurzen Frist kein Weg an höheren Defiziten vorbei. Mittel- und langfristig muss dies nicht zur Erhöhung der Staatsverschuldung führen, wenn effektiv und schnell gehandelt wird, so dass wie bei einer Investition die spätere Schwächung wirtschaftlicher und damit steuerbarer Aktivität dadurch geringer ausfällt.

Wir laufen Gefahr, den Zeitpunkt des Handelns zu versäumen, wenn wir statt profunder Problemanalyse die Bundestagswahl 2009 zur Orientierung für die Wirtschaftspolitik heranziehen. Die Kanzlerin stellt uns einen Wahlkampf über Steuersenkungen in Aussicht.Sorry: Wir brauchen jetzt kräftige Entlastungen. Damit werden keine unseriösen, weil unerfüllbaren Versprechen über eine konjunkturelle Besserung abgegeben. Es wird aber deutlich, dass die Regierung die Rezession sachgerecht beantworten kann. Wirtschaftspolitik darf nicht zur Ideologie verkommen.

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