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Wido Geis / Isabel Vahlhaus IW-Kurzbericht Nr. 35 14. Juni 2018 Bedarf an arbeitsplatzbezogener Grundbildung

Viele Erwachsene sind trotz Lücken in der Grundbildung erwerbstätig. Insbesondere werden unzureichende Sprach- und Lesekompetenzen bei Beschäftigten im Helferbereich deutlich, deren Zahl mit der starken Zuwanderung weiter ansteigt. Um ihre Beschäftigungsfähigkeit vor dem Hintergrund der Digitalisierung zu sichern, sollten verstärkt arbeitsplatzbezogene Grundbildungsmaßnahmen angeboten werden.

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Bedarf an arbeitsplatzbezogener Grundbildung
Wido Geis / Isabel Vahlhaus IW-Kurzbericht Nr. 35 14. Juni 2018

Bedarf an arbeitsplatzbezogener Grundbildung

Institut der deutschen Wirtschaft (IW) Institut der deutschen Wirtschaft (IW)

Viele Erwachsene sind trotz Lücken in der Grundbildung erwerbstätig. Insbesondere werden unzureichende Sprach- und Lesekompetenzen bei Beschäftigten im Helferbereich deutlich, deren Zahl mit der starken Zuwanderung weiter ansteigt. Um ihre Beschäftigungsfähigkeit vor dem Hintergrund der Digitalisierung zu sichern, sollten verstärkt arbeitsplatzbezogene Grundbildungsmaßnahmen angeboten werden.

Obwohl sich Bildungsarmut negativ auf die Erwerbsperspektiven auswirkt (IAB, 2017), sind in Deutschland auch viele Personen mit Lücken in der Grundbildung am Arbeitsmarkt aktiv. Eine eigene Auswertung der PIAAC-Erhebung zur Untersuchung von Alltagsfertigkeiten Erwachsener aus den Jahren 2011 und 2012 (OECD, 2018) ergibt, dass 15,3 Prozent der Erwerbstätigen bei der Lesekompetenz lediglich Stufe 1 oder darunter erreichen. Das bedeutet, dass sie maximal kurze Texte zu vertrauten Themen lesen und einzelne spezifische Informationen lokalisieren können, die der Form nach identisch mit der in der Frage oder Anweisung enthaltenen Information sind. Bei 15,0 Prozent liegen die alltagsmathematischen Kenntnissen auf Kompetenzstufe 1 oder darunter. Sie können also höchstens mathematische Prozesse in geläufigen, konkreten Kontexten ausführen, die das Zählen, Sortieren, die Grundrechenarten und das Verstehen einfacher Prozentsätze umfassen.

Betrachtet man nur beschäftigte Personen in an- und ungelernten Helfertätigkeit (ISCO-88, Hauptgruppe 9), haben mit 48,8 Prozent etwa die Hälfte in mindestens einem und mit 33,9 Prozent rund ein Drittel in beiden Bereichen gravierende Lücken. Der Anteil derer mit sehr niedriger Lesekompetenz liegt hier bei 39,2 Prozent und derer mit niedriger mathematischer Kompetenz bei 43,5 Prozent. Vor dem Hintergrund der zunehmenden Digitalisierung in der Arbeitswelt steigen allerdings die Anforderungen an die Beschäftigten auch im Helferbereich. Insbesondere gilt das mit Blick auf die Kommunikationskompetenzen (Hammermann/Stettes, 2016).

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Dabei dürfte die Zahl der am Arbeitsmarkt aktiven Personen mit Lücken in der Grundbildung seit der PIACC-Erhebung mit der positiven wirtschaftlichen Entwicklung der letzten Jahre sogar noch zugenommen haben. So ist zwischen September 2013 und September 2017 nicht nur die Zahl der in qualifizierten Tätigkeiten arbeitenden sozialversicherungspflichtigen Beschäftigten um rund 1,89 Millionen auf nunmehr 25,94 Millionen gestiegen. Auch die Zahl der sozialversicherungspflichtig beschäftigten an- und ungelernten Helfer hat um 880.000 von 4,11 auf 5,00 Millionen zugenommen (Bundesagentur für Arbeit, 2018a; eigene Berechnungen). Gleichzeitig ist die Arbeitslosenquote in diesem Zeitraum von 6,6 Prozent auf 5,5 Prozent gesunken (Bundesagentur für Arbeit, 2018b).

Bei einem bedeutenden Teil der hinzugekommenen Beschäftigten handelt es sich um Zuwanderer. Die Zahl der in qualifizierten Tätigkeiten – das sind Tätigkeiten, die in der Regel eine mindestens zweijährige Berufsausbildung voraussetzen - sozialversicherungspflichtig beschäftigten Ausländer hat zwischen September 2013 und September 2017 um 630.000 von 1,51 Millionen auf 2,14 Millionen zugenommen und die Zahl der als Helfer tätigen sozialversicherungspflichtig Beschäftigten ist um 510.000 von 790.000 auf 1,31 Millionen gestiegen (BA, 2018a; eigene Berechnungen). Damit einhergehend dürften auch die Zahl der Arbeitnehmer mit migrationsspezifischen Defiziten bei der deutschen Sprache deutlich zugenommen haben. Diese liegen  nicht unbedingt nur bei den in der PIAAC-Erhebung erfassten Lesekompetenzen, sondern unter Umständen auch bei der Sprechfähigkeit, die für jegliche Art der Kommunikation am Arbeitsplatz von großer Bedeutung ist.

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Dass dies tatsächlich der Fall ist, zeigt eine eigene Auswertung des Sozio-oekonomischen Panels (Wagner et al., 2007), in dem unter anderem Erwachsene nichtdeutscher Herkunftssprache um eine Selbsteinschätzung zu ihren Fähigkeiten in Deutsch in den Bereichen Sprechen, Lesen und Schreiben gebeten werden. Dabei reichen die Antwortmöglichkeiten von „sehr gut“ über „gut“, „es geht“ und „eher schlecht“ bis hin zu „gar nicht", wobei im Folgenden nur bei den letzten beiden Antworten von substanziellen Defiziten ausgegangen wird. Nimmt man nur das Kriterium Sprechen in den Blick, kommt man für das Jahr 2015 – aktuellere Zahlen liegen noch nicht vor – auf eine Zahl von 250.000 Erwerbstätigen mit Defiziten. Betrachtet man alle drei Sprachfertigkeiten, liegt sie bei 700.000. Dabei ist anzumerken, dass die in den Jahren 2015 und 2016 ins Land gekommenen Geflüchteten in den Zahlen noch nicht mit erfasst sind.
Neuzuwanderer nehmen mit Blick auf die Sprachkompetenzen bis zu einem gewissen Grad eine Sonderstellung ein, da sie in der Regel auch bei einem guten Ausgangsniveau zunächst noch Alltagspraxis in der deutschen Sprache erwerben müssen. Betrachtet man vor diesem Hintergrund nur Personen, die mindestens vier Jahre im Land leben, kommt man auf Zahlen von 170.000 mit Defiziten im Bereich Sprechen und 540.000 in einer der drei Sprachfertigkeiten. Nimmt man die entsprechenden Anteile an den ausländischen Erwerbstätigen mit mindestens vierjährigem Aufenthalt im Land in den Blick, so ergibt sich für die Sprachdefizite zwischen 2011 und 2015 ein Anstieg von 2,7 Prozent auf 4,6 Prozent und für die Defizite in einem der drei Bereiche von 12,7 auf 13,4 Prozent. Besonders ungünstig stellt sich die Lage dabei erneut für die in einfachen Helfertätigkeiten beschäftigten Ausländern dar. Bei diesen liegt der Anteil der Personen mit Defiziten im Bereich Sprechen im Jahr 2015 bei über 10 Prozent und der Anteil derer mit Defiziten in mindestens einem Bereich der Sprachkompetenz sogar bei gut einem Viertel.

Zusammengenommen zeigen die Auswertungen von PIAAC und SOEP, dass bei der Grundbildung von Erwerbstätigen und insbesondere bei den Sprachkompetenzen noch substanzieller Handlungsbedarf besteht. Dies gilt umso mehr, da mit der Digitalisierung auch in einfachen Tätigkeiten die Anforderungen an die Kommunikationsfähigkeit steigen werden. Einen guten Ansatz bietet hier das im Rahmen der AlphaDekade 2016-2026 vom Bundesministerium für Bildung und Forschung geförderte Projekt AlphaGrund (Arbeitsplatzorientierte Alphabetisierung und Grundbildung Erwachsener), das passgenau auf die Arbeitswelt bezogene Weiterbildungsangebote zur nachholenden Grundbildung für Beschäftigte anbietet. Arbeitsplatzorientierte Grundbildung ist für Beschäftigte ein erfolgversprechender Ansatz, die vorhandenen Potenziale besser zu erschließen und ihre Beschäftigungsfähigkeit besonders vor dem Hintergrund der Digitalisierung langfristig zu sichern.

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