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Theresa Eyerund / Anja Katrin Orth IW-Kurzbericht Nr. 17 5. März 2019 Geschlechterrollen: In der Theorie modern, in der Praxis klassisch

Die Politik setzt zahlreiche Maßnahmen für eine höhere Erwerbsbeteiligung von Frauen und Gleichberechtigung um. Dennoch zeigt sich in Sachen Hausarbeit ein deutliches Ungleichgewicht. Der Wandel von gesellschaftlichen Normen scheint hier schneller voranzuschreiten als der Wandel von tatsächlichem Verhalten. Sogar bei denen, die ein modernes Rollenverständnis haben, putzt und wäscht meistens die Frau.

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In der Theorie modern, in der Praxis klassisch
Theresa Eyerund / Anja Katrin Orth IW-Kurzbericht Nr. 17 5. März 2019

Geschlechterrollen: In der Theorie modern, in der Praxis klassisch

IW-Kurzbericht

Institut der deutschen Wirtschaft (IW) Institut der deutschen Wirtschaft (IW)

Die Politik setzt zahlreiche Maßnahmen für eine höhere Erwerbsbeteiligung von Frauen und Gleichberechtigung um. Dennoch zeigt sich in Sachen Hausarbeit ein deutliches Ungleichgewicht. Der Wandel von gesellschaftlichen Normen scheint hier schneller voranzuschreiten als der Wandel von tatsächlichem Verhalten. Sogar bei denen, die ein modernes Rollenverständnis haben, putzt und wäscht meistens die Frau.

In den vergangenen Jahrzehnten haben sich in Deutschland die Einstellungen zu Geschlechterrollen deutlich gewandelt. Während im Jahr 1991 noch rund 17 Prozent der Aussage voll zustimmten, dass die Frau nach der Hochzeit ihre Arbeit aufgeben sollte, sind es im Jahr 2016 nur noch 7 Prozent (ALLBUS, 2016). Auch die Erwerbstätigkeit von Frauen im Alter von 15 bis 64 hat im selben Zeitraum von 61 Prozent auf 74 Prozent zugenommen (OECD, 2019). Die Allgemeine Bevölkerungsumfrage der Sozialwissenschaften (ALLBUS) mit rund 3.500 Befragten aus dem Jahr 2016 zeigt: Besonders spiegeln sich die Einstellungen bei der Aufteilung der Hausarbeit wider. Die Aussage, dass die Frau die Hausarbeit und Kinderbetreuung übernehmen sollte, auch wenn beide Partner arbeiten, lehnten etwa 75 Prozent der Befragten ab. Zwar lehnten mit 80 Prozent mehr Frauen die Aussage ab, jedoch mit 71 Prozent auch die deutliche Mehrheit der Männer. 

Ein Blick auf die tatsächliche Erledigung verschiedener Hausarbeiten in Paarhaushalten zeigt jedoch, dass hier häufig noch eine eher klassische Aufgabenteilung herrscht. Etwa 80 Prozent der Befragten geben an, die Wäsche übernehme meistens oder immer die Frau. Genau andersherum ist das Bild bei kleineren Reparaturen im Haushalt. Hier sagen 80 Prozent, der Mann führe diese meistens oder immer aus. Jeweils etwa ein Drittel teilen sich die Aufgaben Versicherungserledigungen und Putzen, wobei letzteres bei sechs Prozent der Befragten von einer anderen Person erledigt wird. Über alle vier abgefragten Tätigkeiten zusammen fiel in 42 Prozent der Fälle die Antwort „meistens die Frau“ führe diese aus. Die gemeinsame Erledigung der Aufgaben wurde nur in 23 Prozent der Fälle geantwortet.

Grundsätzlich schätzen Frauen und Männer die Aufgabenaufteilung ähnlich ein. Zwar geben mehr Frauen bei allen Aufgaben die Kategorie „meistens die Frau“ und mehr Männer bei allen Aufgaben die Kategorie „meistens der Mann“ an, jedoch sind die Unterschiede relativ gering. Die größte Abweichung besteht bei der Frage nach kleinen Reparaturen. Dort sagen 85 Prozent der Männer, diese würde meistens der Mann übernehmen, aber nur 73 Prozent der Frauen finden, dass der Mann meistens tätig wird.

Da in der ALLBUS-Umfrage keine Zuordnung der Befragten zu Haushalten möglich ist, ist eine tiefergehende Analyse der Abweichungen in den Antworten und eine entsprechende Interpretation nicht möglich.

Klassische Verteilung auch bei modernem Rollenverständnis

Das Ergebnis, dass Frauen nach wie vor deutlich mehr Hausarbeit übernehmen als Männer, findet sich in verschiedenen Studien, unter anderem in der Zeitverwendungsstudie des Statistischen Bundesamtes. Auffällig ist jedoch: Auch in Haushalten von Befragten, die eine Arbeitsverteilung zulasten von Frauen ablehnten, findet nur selten eine Gleichverteilung statt. In den Haushalten, in denen eine Arbeitsteilung zulasten von Frauen abgelehnt wird, geben 18 Prozent der Befragten an, sie teilen die Wäsche hälftig auf, 37 Prozent das Putzen, 13 Prozent kleinere Reparaturen und etwa ein Drittel Versicherungserledigungen. Die Wäsche übernimmt auch bei 79 Prozent und das Putzen bei 54 Prozent dieser Befragten meistens die Frau. Reparaturen werden bei 78 Prozent meistens vom Mann übernommen, Versicherungserledigungen bei 43 Prozent.

Die Lücke zwischen Einstellungen und Verhalten überwinden

Die Ergebnisse geben einen Hinweis darauf, dass klassische Aufgabenverteilungen im Haushalt nach wie vor weit verbreitet sind, selbst wenn die grundsätzlichen Einstellungen und Werte durchaus modern und geschlechterneutral sind. Die Gründe dafür sind vielfältig. Dies kann zum einen an der häufigeren Teilzeitarbeit von Frauen liegen, die einen größeren zeitlichen Spielraum für die Erledigung regelmäßiger Hausarbeiten zulässt. Allerdings zeigt die Auswertung, dass auch von den Frauen, die in Vollzeit arbeiten, etwa 70 Prozent der Befragten angeben, dass sie meistens oder immer die Wäsche machen. Bei nur 23 Prozent der vollzeitbeschäftigten Frauen ist hier von einer hälftigen Aufteilung die Rede. Daher kann davon ausgegangen werden, dass es eine Lücke zwischen Normen und Einstellungen bezüglich Geschlechterrollen und praktisch umgesetzten Verhaltensweisen gibt.

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Eine solche Lücke zwischen Einstellungen und tatsächlichem Verhalten, ein sogenannter Attitude- oder Mind-Behavior-Gap ist in der Verhaltensökonomik in unterschiedlichen Kontexten bekannt. Mit ein Grund dafür, der in Bezug auf Geschlechterrollen ausschlaggebend sein könnte, sind unbewusste Beharrungstendenzen. Insbesondere ein Abweichen von tief verankerten und erlernten Verhaltensmustern ist sehr schwer und erfordert hohen kognitiven Aufwand. Auch die unbewusste Verbindung von Hausarbeit und Rollenwahrnehmungen sowohl bei Frauen als auch bei Männern erklärt das beschriebene Paradox (Lachance-Grzela/Bouchard, 2010).

Problematisch wird das Ungleichgewicht, wenn gesellschaftliche und politische Erwartungen wie eine höhere Vollzeiterwerbstätigkeit von Frauen umgesetzt werden, die praktische Aufgabenverteilung im Privaten daran aber nicht angepasst ist. Eine bewusste Auseinandersetzung mit der Arbeitsaufteilung und die gesellschaftliche Einordnung von Hausarbeit als tatsächliche Arbeit anstatt als Ausdruck des „Kümmerns“ können helfen, den Status quo zu überwinden und damit wiederum den gesellschaftlichen Wandel in Sachen Geschlechterrollen voranzubringen.

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In der Theorie modern, in der Praxis klassisch
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Theresa Eyerund / Anja Kathrin Orth: Geschlechterrollen: In der Theorie modern, in der Praxis klassisch

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