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Jürgen Matthes IW-Kurzbericht Nr. 9 9. Februar 2023 China-Handel 2022: Ungleichgewicht und Abhängigkeit weiter verstärkt

Im Jahr 2022 hat sich der deutsche Außenhandel mit China mit voller Kraft in die falsche Richtung entwickelt. Die ohnehin hohe Importabhängigkeit ist noch deutlich größer geworden. Dagegen wuchs der Export nach China nur schwach. Das führte zu einem Rekord beim Handelsbilanzdefizit, das mit 84 Milliarden Euro sechsmal höher lag als 2019 und in dieser Größenordnung problematisch erscheint.

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Ungleichgewicht und Abhängigkeit weiter verstärkt
Jürgen Matthes IW-Kurzbericht Nr. 9 9. Februar 2023

China-Handel 2022: Ungleichgewicht und Abhängigkeit weiter verstärkt

Institut der deutschen Wirtschaft (IW) Institut der deutschen Wirtschaft (IW)

Im Jahr 2022 hat sich der deutsche Außenhandel mit China mit voller Kraft in die falsche Richtung entwickelt. Die ohnehin hohe Importabhängigkeit ist noch deutlich größer geworden. Dagegen wuchs der Export nach China nur schwach. Das führte zu einem Rekord beim Handelsbilanzdefizit, das mit 84 Milliarden Euro sechsmal höher lag als 2019 und in dieser Größenordnung problematisch erscheint.

Problematische Handelsbilanz

Schon im ersten Halbjahr 2022 zeichnete es sich ab, dass sich der Warenhandel mit China ungewöhnlich entwickelt (Matthes, 2022a). Das Handelsbilanzdefizit betrug allein in den ersten sechs Monaten über 40 Milliarden Euro und war damit außergewöhnlich hoch. Es stellte sich die Frage, ob nur zeitweilig wirkende Sondereffekte zu dieser Entwicklung beitragen, die in der zweiten Jahreshälfte wieder an Relevanz verlieren würden. Der Wert für das Gesamtjahr 2022 deutet aber darauf hin, dass es sich hier um eine längerfristige Entwicklung handeln könnte. Denn das Handelsbilanzdefizit verdoppelte sich im weiteren Jahresverlauf auf rund 84 Milliarden Euro (Abbildung).

Diese Werte wurden zuvor bei Weitem nie erreicht. Zwar war der Einfuhrüberschuss vor der Corona-Krise im Vergleich mit anderen Ländern bereits hoch. Unter Schwankungen erreichte er im Zeitraum ab 2010 aber maximal 24 Milliarden Euro im Jahr 2010, als sich der deutsche Warenhandel mit China im Rahmen eines Sondereffekts von der globalen Finanzmarkt- und Wirtschaftskrise erholte. In einzelnen Jahren danach war das Handelsbilanzdefizit zeitweise sogar nur einstellig.

Handelsbilanzsalden sollten, wenn sie in einer normalen Größenordnung sind, nicht kritisch gesehen werden. Doch die Höhe und der rapide Anstieg des Handelsbilanzdefizits erscheinen problematisch. Wenn Deutschland als starke Exportnation bei Einfuhren aus China von 191 Milliarden Euro und Ausfuhren nach China von 107 Milliarden Euro rund 80 Prozent mehr importiert als exportiert, besteht ein starkes Ungleichgewicht. Die Frage ist, ob dahinter nur vorübergehende Krisenwirkungen oder anhaltende chinesische Wettbewerbsverzerrungen stecken (Matthes, 2020).

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Divergenz bei Ein- und Ausfuhren

Das Handelsbilanzdefizit wuchs im Jahr 2022 so stark, weil die Warenimporte deutlich zulegten, das Wachstum der Warenexporte dagegen nur gering war. Die Einfuhren aus China stiegen im Jahr 2022 von einem schon hohen Ausgangswert mit 33,5 Prozent um über ein Drittel. Die Importe aus allen Ländern legten mit 24,1 Prozent auch stark zu. Hierzu trugen vor allem höhere Preise bei den Energieimporten bei, die bei der Einfuhr aus China nur eine untergeordnete Rolle spielen. Damit erhöhte sich der Einfuhranteil Chinas an allen Einfuhren weiter von 11,9 Prozent im Jahr 2021 auf 12,8 Prozent in 2022 (Abbildung).

Im Jahr 2019 lag diese Quote noch bei 10 Prozent. Der Anteilszuwachs während der Corona-Krise schien nur zeitweilig, da aus China viele medizinische Produkte importiert wurden. Doch statt erwartungsgemäß wieder zurückzugehen, stieg die Quote im Jahr 2022 weiter an. Hier könnte sich unabhängig von der Corona-Krise eine strukturelle längerfristige Tendenz etablieren.

Die deutschen Ausfuhren nach China entwickelten sich dagegen nur sehr schwach. Sie nahmen im Jahr 2022 lediglich um 3,1 Prozent zu, während die deutschen Exporte in alle Länder mit 14,1 Prozent wesentlich stärker stiegen. Somit sank der Exportanteil Chinas auf nur noch 6,8 Prozent – und lag damit sogar unter dem Wert von 2018 (Abbildung).

Auch hier gab es während der Corona-Krise, als sich China im Jahr 2020 schneller erholte als andere Länder, einen Anteilsanstieg. Dieser erwies sich jedoch – anders als bei den Importen – als temporär. China fällt mit dieser schwachen Ausfuhrentwicklung sogar von Rang 2 auf Rang 4 der wichtigsten deutschen Exportpartner.

Temporäre oder dauerhafte Effekte?

Aus derzeitiger Perspektive fällt es nicht leicht, die ungewöhnliche Außenhandelsentwicklung zu bewerten.

Einerseits könnte sie auf temporäre Sondereffekte zurückzuführen sein. Immerhin war China im Jahr 2022 im Zuge der Corona-Krise von gravierenden Lockdowns betroffen. Erst am Jahresende kam es unvermittelt zum Schwenk von einer Zero-Covid-Politik zu einer Zero-Caution-Politik. In der Folge wird Chinas Wirtschaft, die im vergangenen Jahr nur mit rund 3 Prozent wuchs, wieder etwas stärker Fahrt aufnehmen. Dies könnte dazu beitragen, dass der Importdruck in Deutschland im Vergleich zu 2022 etwas abnimmt, weil chinesische Firmen stärker auf den Weltmarkt drängen, wenn die heimische Wirtschaft schwächelt. Wenn in diesem Jahr wieder mehr in China selbst verkauft werden kann, wird möglicherweise weniger nach Deutschland exportiert.

Andererseits könnten auf der Importseite auch dauerhafte Faktoren wirken und weiter Bestand haben. Chinas Wirtschaft bietet günstig an – auch weil dort umfassend subventioniert wird (Matthes, 2020). Wenn hierzulande der Wettbewerbsdruck wegen der anhaltend hohen Energiepreise steigt und die Margen der deutschen Firmen schrumpfen, wachsen die Anreize, billigere chinesische Vorprodukte statt teurere europäische oder deutsche zu kaufen.

Einzelne Unternehmensbeispiele deuten zudem darauf hin, dass chinesische Lieferanten auch deshalb gegenüber deutschen zum Zuge kamen, weil sie weniger von Lieferproblemen betroffen waren. Die Lieferkettenengpässe dürften zwar nicht dauerhaft sein, aber wenn einmal ein Wechsel des Lieferanten erfolgt ist und dessen Leistung stimmt, dürfte es für das deutsche Unternehmen schwer werden, den deutschen Kunden wieder zurückzugewinnen. Wie weit solche Einzelbeispiele zu verallgemeinern sind, ist derzeit kaum zu sagen.

Auch die schwache Entwicklung der deutschen China-Ausfuhren könnte temporäre Gründe haben, zum Beispiel durch die Auswirkungen der Corona- oder Energiekrise. Zudem schwanken die Veränderungsraten der China-Exporte üblicherweise nennenswert. Doch auch hier sind dauerhaft wirkende Faktoren nicht auszuschließen. Zwei Gründe tragen hierzu bei:

  • Deutsche Tochterunternehmen in China wollen zunehmend mehr Geschäftstätigkeiten nach China verlagern. Das gilt auch für die Zuliefer- und Vorleistungsebene in China, auf die deutsche Firmen in ihren Exporten stark ausgerichtet sind (Busch et al., 2023). Hier übt die chinesische Regierung zudem politischen Druck darauf aus, dass deutsche Firmen stärker chinesische Unternehmen als Lieferanten einbinden, um so auch den Transfer von Wissen und Technologie zu beschleunigen. Sollten deutsche Firmen den chinesischen Markt tatsächlich weniger durch Exporte, sondern mehr durch Produktion vor Ort bedienen, würde sich das für sich genommen in einer anhaltend schwächeren Exportentwicklung niederschlagen.
  • Ganz generell wirkt die chinesische Wirtschaftsstrategie mittelfristig darauf hin, weniger zu importieren. Die Dual-Circulation-Strategie und die Made-in-China-2025-Strategie haben das explizite Ziel, China autarker zu machen. Setzt die chinesische Führung diese Ziele erfolgreich um, beeinträchtigt dies zukünftig deutsche Exportmöglichkeiten.

Möglicherweise signalisieren die Daten von 2022, dass diese beiden Faktoren zu wirken beginnen – und in Zukunft auch anhalten werden. Es ist aber noch zu früh, hier eindeutige Schlüsse zu ziehen.

Mehr Konkurrenzdruck und Abhängigkeit

Eindeutig ist jedoch, dass der hohe Importanstieg im Jahr 2022 zum einen den Konkurrenzdruck für deutsche Unternehmen, die mit chinesischen Firmen im Wettbewerb stehen, erhöht hat. Inwieweit dies zusätzlich zu den Belastungen der deutschen Wirtschaft durch Energiekrise und Lieferkettenengpässe ins Gewicht fällt, ist derzeit schwer zu beurteilen.

Zum anderen macht der Importsog Deutschland noch abhängiger von China als Lieferanten (Matthes, 2022b). Die China-Strategie der Bundesregierung wird sehr wahrscheinlich unter anderem die Kernforderung enthalten, aufgrund gestiegener geopolitischer Unsicherheiten kritische Abhängigkeiten zu verringern. In der Tat geben auch viele Unternehmen an, dass sie ihre China-Abhängigkeiten verringern wollen (Baur/Flach, 2022). Die Zahlen sprechen derzeit allerdings eine andere Sprache.

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