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Wido Geis-Thöne / Axel Plünnecke IW-Kurzbericht Nr. 45 2. Juli 2021 Familienpolitik - Erwerbstätigkeit beider Elternteile stärken

Um Familien wirtschaftlich besser zu stellen und gegen Risiken abzusichern, ist die Erwerbstätigkeit beider Elternteile hilfreich. Daher sollte die Familienpolitik die U3-Betreuung und Ganztagsgrundschulen ausbauen, die Qualität der Betreuungsangebote erhöhen und Elterngeld und Ehegattenbesteuerung weiterentwickeln.

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Familienpolitik - Erwerbstätigkeit beider Elternteile stärken
Wido Geis-Thöne / Axel Plünnecke IW-Kurzbericht Nr. 45 2. Juli 2021

Familienpolitik - Erwerbstätigkeit beider Elternteile stärken

Institut der deutschen Wirtschaft (IW) Institut der deutschen Wirtschaft (IW)

Um Familien wirtschaftlich besser zu stellen und gegen Risiken abzusichern, ist die Erwerbstätigkeit beider Elternteile hilfreich. Daher sollte die Familienpolitik die U3-Betreuung und Ganztagsgrundschulen ausbauen, die Qualität der Betreuungsangebote erhöhen und Elterngeld und Ehegattenbesteuerung weiterentwickeln.

Obwohl die Erwerbsbeteiligung von Frauen in den letzten Jahrzehnten in Deutschland stark angestiegen ist, ist sie noch immer deutlich vom Niveau der Männer entfernt. So lag der Anteil der Erwerbstätigen an den 15- bis 64-Jährigen im Jahr 2019 bei den Frauen bei 72,8 Prozent im Vergleich zu 80,5 Prozent bei den Männern (Statistisches Bundesamt, 2021a). Zudem arbeiteten 48,4 Prozent der abhängig erwerbstätigen Frauen in Teilzeit, im Vergleich zu nur 11,5 Prozent der Männer (Statistisches Bundesamt, 2021b; eigene Berechnungen). Besonders niedrig ist Teilhabe der Frauen am Arbeitsmarkt dabei in der ersten Phase nach der Geburt von Kindern, liegt aber auch noch weit unterhalb des Niveaus der Väter (Geis-Thöne, 2021), wenn diese erwachsen sind.

Zwar wünschen sich viele Mütter eine Ausweitung ihrer Arbeitszeiten (BMFSFJ, 2021), im Grundsatz entsprechen aber die Arbeitszeitmodelle unter den gegebenen Rahmenbedingungen meist ihren Präferenzen (Geis-Thöne, 2021). Die Hemmnisse für eine stärkere Erwerbsbeteiligung der Mütter liegen also zu großen Teilen außerhalb des Arbeitsmarkts. Ein zentraler Punkt ist dabei die Sorgearbeit in der Familie. Hier könnten die Mütter einerseits durch bessere institutionelle Betreuungsangebote für die Kinder, andererseits aber auch durch eine gleichmäßigere Aufgabenteilung mit den Vätern entlastet werden. Hinzu kommt noch, dass das Steuer- und Sozialversicherungssystem Anreize setzt, die einer Ausweitung der Arbeitszeit entgegenstehen (BMFSFJ, 2021).

Dabei ist es für die wirtschaftliche Stabilität der Familien heute sehr wichtig, dass beide Elternteile ein ausreichendes Erwerbseinkommen erzielen. So sind Alleinerziehende besonders häufig armutsgefährdet und die Paarbeziehungen sind in den letzten Jahrzehnten in der Tendenz instabiler geworden, was sich etwa an der bis zum Jahr 2004 gestiegenen und seitdem nur leicht rückläufigen Scheidungsrate festmachen lässt. Zudem ist der Wiedereinstieg in den Arbeitsmarkt nach einer längeren Auszeit schwierig. Digitalisierung und Dekarbonisierung dürften dazu führen, dass sich Berufe und Arbeitswelt stark verändern und nicht à jour gehaltene Qualifikationen unter Umständen entwertet werden. Dies stellt auch ein Risiko dar, wenn der bisherige Hauptverdiener gekündigt wird oder seinen Beruf gesundheitsbedingt nicht mehr ausüben kann (BMFSFJ, 2021).

Um beiden Elternteilen eine Erwerbstätigkeit im von ihnen gewünschten Umfang zu ermöglichen, sind passgenaue Betreuungsangebote von großer Bedeutung. Insbesondere bei den unter Dreijährigen bestehen hier noch große Lücken. So wünschten sich die Eltern zuletzt für 49,4 Prozent der Kinder im Alter unter 3 Jahren eine institutionelle Betreuung, wohingegen nur 35,0 Prozent einen Platz in einer Kita oder bei Tageseltern hatten. Hochgerechnet ergibt sich so eine Lücke von 342.000 Plätzen für das Jahr 2020. Im Jahr 2015 betrug die Lücke nur 215.000, obschon die Zahl der betreuten Kinder damals um rund ein Sechstel niedriger lag. Hintergrund für diese Verschärfung der Lage ist, dass sich immer mehr Eltern für ihre unter Dreijährigen eine Betreuung wünschen und gleichzeitig die Geburtenzahl im letzten Jahrzehnt deutlich gestiegen ist. Letzteres wird sich so allerdings voraussichtlich nicht fortsetzen (Geis-Thöne, 2020).

 

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Ein zweiter Engpassbereich sind die über den Unterricht hinausgehenden Ganztagsbetreuungsangebote für Grundschulkinder, auf die bisher in den meisten Bundesländern noch kein Rechtsanspruch besteht. Ein entsprechendes Bundesgesetz befindet sich derzeit allerdings im Gesetzgebungsverfahren. Berechnungen des BMFSFJ (2020) zufolge wurden 50 Prozent der Grundschüler im Schuljahr 2018 / 2019 in einer Ganztagsschule oder einem Hort betreut. Ein Bedarf hätte jedoch für 73 Prozent bestanden, sodass sich eine Differenz von 23 Prozentpunkten ergibt. Rechnet man diese mit der Gesamtzahl der Grundschüler hoch, kommt man auf eine Lücke von 645.000 Plätzen. Allerdings ist die Lage dabei in den einzelnen Bundesländern sehr unterschiedlich (Abbildung).

So wichtig ein ausreichendes Platzangebot für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf ist, muss auch die Qualität der Betreuung gesichert sein, damit die Eltern sie tatsächlich im für ihre gewünschte Teilhabe am Arbeitsmarkt optimalen Umfang in Anspruch nehmen. Auch ist sie für den Erfolg der frühkindlichen und vorschulischen Bildung und damit letztlich auch für die Kompetenzentwicklung und das Wohlergehen der Kinder von großer Bedeutung (Anger / Plünnecke, 2021). Eine ausreichende Personalausstattung ist hier ein entscheidender Faktor, wobei die Lage vor allem in den neuen Bundesländern mit durchschnittlich über fünf Kindern je Betreuungsperson im U3-Bereich als kritisch einzustufen ist (Geis-Thöne, 2020). Notwendig sind allerdings auch passgenaue pädagogische Konzepte und eine entsprechende Ausstattung der Einrichtungen.

Anders als das Angebot an institutioneller Betreuung liegt die Aufteilung von Erwerbs- und Sorgearbeit zwischen Müttern und Vätern grundsätzlich allein im Ermessen des Elternpaares. Jedoch kann die Politik Anreize für eine gleichere Aufgabenteilung setzen, wie sie es mit den Vätermonaten beim Elterngeld in der Vergangenheit bereits getan hat. Dass diese erfolgreich waren und sich die Erwerbstätigkeit der Mütter nach Ablauf der Elternzeit erhöht hat, zeigen Evaluationsstudien. Auch führt die Inanspruchnahme der Elternzeit dazu, dass sich die Väter stärker an der Sorgearbeit beteiligen. Dies kann langfristig einen Einstellungswandel bewirken, der wiederum eine gleichmäßigere Aufteilung von Sorge- und Erwerbsarbeit fördert. Daher sollte das Elterngeld so weiterentwickelt werden, dass eine gleichmäßigere Aufteilung der Elternzeit zwischen Mutter und Vater für Elternpaare noch attraktiver wird (BMFSFJ, 2021).

Auch wenn das Ehegattensplitting vielfach als zentrales Hemmnis für eine stärkere Erwerbsbeteiligung von Zweiteinkommensbeziehern gesehen wird, hat die Form der Ehegattenbesteuerung letztlich nur sehr geringen Einfluss auf die tatsächlichen Arbeitsanreize (Beznoska/Hentze, 2021). Dennoch könnten die Abschaffung der Steuerklassen III und V und eine neue „Standardkombination“ der Steuerklassen IV/IV mit Faktorverfahren kurzfristig ein positives Signal senden. Mittelfristig wäre bei der Ehegattenbesteuerung hingegen ein Übergang zu einem Modell des Realsplittings sinnvoll (BMFSFJ, 2021). Zudem sollte die beitragsfreie Mitversicherung nicht erwerbstätiger Ehepartner in der gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung auf den Prüfstand gestellt werden, die ebenfalls das traditionelle Rollenbild begünstigt. Auch sollte bei den Minijob-Regelungen angesetzt werden, die für die betroffenen Arbeitnehmer eine Ausweitung ihrer Arbeitszeiten unattraktiv machen können.

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