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Michael Grömling IW-Kurzbericht Nr. 24 19. März 2020 Zulieferstrukturen der deutschen Industrie

Vorleistungen aus dem In- und Ausland machen zwei Drittel des industriellen Produktionswerts in Deutschland aus. Nach einer starken Intensivierung der internationalen Arbeitsteilung in den 1990er Jahren ist die Produktionsstruktur der deutschen Industrie seitdem weitgehend konstant. Eher zeigt sich seit der globalen Finanzmarktkrise eine tendenziell rückläufige Arbeitsteilung.

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Zulieferstrukturen der deutschen Industrie
Michael Grömling IW-Kurzbericht Nr. 24 19. März 2020

Zulieferstrukturen der deutschen Industrie

IW-Kurzbericht

Institut der deutschen Wirtschaft (IW) Institut der deutschen Wirtschaft (IW)

Vorleistungen aus dem In- und Ausland machen zwei Drittel des industriellen Produktionswerts in Deutschland aus. Nach einer starken Intensivierung der internationalen Arbeitsteilung in den 1990er Jahren ist die Produktionsstruktur der deutschen Industrie seitdem weitgehend konstant. Eher zeigt sich seit der globalen Finanzmarktkrise eine tendenziell rückläufige Arbeitsteilung.

Deutschland im Vorleistungsschock

Die Corona-Epidemie belastet die deutsche Wirtschaft. Zum einen kommt es infolge der Krise in China, der globalen Ausbreitung des Corona-Virus und der deutlich nachlassenden Weltwirtschaft zu Nachfrageausfällen. Die Absage von Veranstaltungen in Deutschland verstärkt dies. Zum anderen beeinträchtigen fehlende Mitarbeiter und ausbleibende Vorleistungen die Produktionsprozesse von Industrie- und Dienstleistungsunternehmen (Grömling, 2020). Fehlende Zulieferungen werfen die Frage nach der Tragfähigkeit internationaler Wertschöpfungsketten auf. Im Fokus stehen die in hohem Maß arbeitsteilig aufgestellten Produktionsprozesse der Industrie. Es stellt sich die Frage, wie arbeitsteilig die deutsche Industrie überhaupt ist.

Determinanten der Arbeitsteilung

Industrieunternehmen bieten Kompaktgüter aus Waren und produktbegleitenden Dienstleistungen an. Wettbewerbsvorteile gegenüber in- und ausländischen Konkurrenten entstehen gerade durch diese Dienste – etwa die gemeinsame Forschung und Entwicklung von Kunde und Hersteller. Die Verbraucher in komplexen Gesellschaften fordern mit wachsendem Wohlstand differenzierte Produkte und eine höhere Serviceorientierung. Auch die Veränderungen der Produktionsweise in den Unternehmen und der organisatorische Wandel machen den Produktionsprozess dienstleistungsintensiver.

Dieser Trend hin zu Kompaktgütern bedeutet nicht, dass Industriefirmen die einzelnen Komponenten selbst erstellen. Denn neben der Strategie einer Ausweitung des betrieblichen Leistungsangebots ist zu beobachten, dass sich Industrieunternehmen auf der Produktions­ebene auf ihr Kerngeschäft konzentrieren und bestimmte Leistungen an Spezialunternehmen auslagern. Es gibt eine Vielzahl von Gründen für einen höheren Fremd­bezug von Produktkomponenten im In- und Ausland: Verfügbarkeit von Wissen, Qualitätsdifferenzen, Kostenunterschiede, Fixkostenflexibilisierung, Risikostreuung und Kapa­zitätsengpässe beeinflussen die „make-or-buy“-Entscheidung von Unternehmen.

Ausmaß der industriellen Arbeitsteilung

Arbeitsteilung kann anhand von Vorleistungsquoten gemessen werden (Grömling, 2010). Der Produktionswert eines Unternehmens oder eines Wirtschaftsbereichs setzt sich aus den eigenen Leistungen (Bruttowertschöpfung) und den Vorleistungen aus anderen Unternehmen zusammen. Ein steigender Anteil von Vorleistungen am Produktionswert kann als eine intensivere Arbeitsteilung interpretiert werden. Auf Basis nominaler Werte hatten zuletzt die Vorleistungen aus anderen Industrie- und Dienstleistungsunternehmen ein Gewicht von knapp zwei Drittel des Produktionswerts der deutschen Industrie. Nur ein Drittel der Industrieproduktion stammte 2019 aus eigener Wertschöpfung.

Eine Messung des Outsourcings auf Basis nominaler Produktions- und Vorleistungswerte kann allerdings eine eingeschränkte Aussagekraft haben (Grömling, 2010). Das ist der Fall, wenn sich die Preise für Vorleistungen und die eigene Wertschöpfung unterschiedlich ent­wickeln. So können einerseits die Preise für Vorleistungen infolge der Spezialisierung des Zulieferers niedriger sein als bei Eigenfertigung. Andererseits können stark ansteigende Rohstoffpreise die Vorleistungen verteuern. Solche Preiseffekte können das realwirtschaf­tliche Ausmaß der Vorleistungsverflechtung verzerrt wiedergeben. Die Abbildung veranschaulicht diese Effekte für die deutsche Industrie im Zeitraum 1991 bis 2019:

  • Zunächst zeigte sich in den 1990er Jahren, dass die industrielle Vorleistungsintensivierung sich auf Basis von preisbereinigten Werten – und damit die gütermäßige Arbeitsteilung – stärker erhöhte als auf Basis nominaler Werte. Die Vorleistungspreise stiegen weniger stark als die Preise für die eigene Bruttowertschöpfung und dies dämpfte die anhand von nominalen Werten gemessene Arbeitsteilung.
  • Seit dem Ende der 1990er Jahre war keine Veränderung der Vorleistungsquote auf Basis preisbereinigter Werte zu beobachten. Gemäß nominaler Werte stieg die Vorleistungsquote dagegen bis zum Jahr 2008 auf knapp 70 Prozent weiter an. Dies war in erster Linie das Ergebnis stark angestiegener Rohstoffpreise.
  • Der Anstieg der realen Vorleistungsquote während der Finanzmarktkrise 2009 erklärt sich daraus, dass die Industrieunternehmen kurzfristig – unter Anwendung von Kurzarbeit – die eigene Wertschöpfung stärker anpassten als die der Zulieferungen.
  • Die reale Vorleistungsquote geht seit der globalen Finanzmarktkrise tendenziell sogar zurück. Dieses rückläufige Outsourcing zeigt sich auch anhand der nominalen Quote, wobei sich hier auch der zeitweise starke Rückgang der Rohstoffpreise niederschlägt.
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Die stärkere internationale Restrukturierung der industriellen Produktionsprozesse in Deutschland in den 1990er Jahren kann zum einen vor dem Hintergrund der Osterweiterung der Europäischen Union gesehen werden. Zwar fand die formale Erweiterung erst im Jahr 2004 statt, ökonomisch wurde sie aber bereits zu einem großen Teil in den 1990er Jahren vollzogen. Auch asiatische Volkswirtschaften wurden durch ihre Öffnung und die Liberalisierung von Märkten stärker in die deutschen Wertschöpfungsketten eingebunden. Zum anderen gab es starke kosteninduzierte Anreize zur Produktionsverlagerung. Die erste Hälfte der 1990er Jahre war von starken Anstiegen der industriellen Arbeitskosten, von Aufwertungen der DM-Mark und Standortproblemen geprägt. Auch moderne Informations- und Kommunikationstechnologien erleichterten die räumliche Fragmentierung von industriellen Prozessen.

Um den Einfluss von importierten Vorleistungen aufzuzeigen, kann auf Input-Output-Tabellen zurückgegriffen werden. Bei diesem Rechenwerk liegen allerdings erst Werte bis 2016 vor, und zwar auf nominaler Basis. Die angesprochenen Preiseffekte können nicht isoliert werden. Außerdem ist der Zeitvergleich wegen methodischer Änderungen eingeschränkt. Gleichwohl zeigt diese Analyse, dass der Anteil der importierten Vorleistungen am Produktionswert der deutschen Industrie von 12 Prozent (1991) auf zunächst 18 Prozent (2000) und dann auf 21 Prozent (2005) anstieg. Seitdem ist er stabil. Eine Intensivierung der internationalen Wertschöpfungsketten fand seit geraumer Zeit nicht mehr statt. Der Bedeutungsgewinn der importierten Vorleistungen in den 1990er Jahren ging zulasten der inländischen Bruttowertschöpfung. Mit wenigen Schwankungen ist der Anteil der inländischen Vorleistungen seit Anfang der 1990er Jahre relativ konstant bei rund 50 Prozent des industriellen Produktionswerts.

Ausblick

Die Corona-Krise wirft die Frage nach der Tragfähigkeit dieser gewachsenen Produktionsstrukturen auf. Bislang kann über das Ausmaß von Beeinträchtigungen nur spekuliert werden. Diese steigen mit dem Grad der Abhängigkeit von Vorleistungen, fehlenden oder eingeschränkten Substitutionsmöglichkeiten, dem Ausmaß an Just-in-time-Produktion und der Wirksamkeit wirtschaftspolitischer Maßnahmen (Grömling et al., 2020). Manifestieren sich ausgeprägte Abhängigkeiten, die zu einem starken Produktionsschock führen, kann dies zu Verlagerungen zurück an den heimischen Standort oder an andere ausländische Standorte führen. Der teilweise Verzicht auf die Vorteile der internationalen Arbeitsteilung würde durch geringere Produktionsabhängigkeiten begründet werden. Effiziente Internationalisierung bewirkt aber eine Streuung von Risiken und die Verminderung nationaler Abhängigkeiten. Insofern müssen internationale Wertschöpfungsketten zwar auf ihre Tragfähigkeit überprüft, jedoch nicht generell auf den Prüfstand gestellt werden. Es ist nicht auszuschließen, dass überschaubare ökonomische Krisen als Vorwand für eine politisch motivierte Auflösung von internationaler Kooperation angeführt werden.

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