Der Mangel an qualifizierten Arbeitskräften lähmt die deutsche Wirtschaft. Besonders betroffen sind Berufe in den Bereichen Sozialarbeit, Erziehung und Pflege. Zudem fehlt viel Personal im Handwerk und bei IT-Experten. Auffällig ist, dass die Berufe mit dem größten Fachkräftemangel ein sehr ungleiches Geschlechterverhältnis unter den Beschäftigten aufweisen.
Die Berufe mit den aktuell größten Fachkräftelücken
Institut der deutschen Wirtschaft (IW)
Der Mangel an qualifizierten Arbeitskräften lähmt die deutsche Wirtschaft. Besonders betroffen sind Berufe in den Bereichen Sozialarbeit, Erziehung und Pflege. Zudem fehlt viel Personal im Handwerk und bei IT-Experten. Auffällig ist, dass die Berufe mit dem größten Fachkräftemangel ein sehr ungleiches Geschlechterverhältnis unter den Beschäftigten aufweisen.
Der Fachkräftemangel in Deutschland nimmt seit Jahren zu. Nachdem die Corona-Pandemie ihn im Jahr 2020 zeitweise abgeschwächt hat, steigen die Engpässe seit dem Wiederaufschwung im vergangenen Jahr wieder deutlich an. Aktuell liegt die Fachkräftelücke im 12-Monats-Durchschnitt von Juli 2021 bis Juli 2022 für qualifizierte Arbeitskräfte über alle Berufe hinweg bei 537.923 Stellen. Sie beschreibt die offenen Stellen, die rein rechnerisch nicht besetzt werden konnten, da es keine passend qualifizierten Arbeitslosen für sie gab.
Einige Berufe stechen beim Fachkräftemangel deutschlandweit am deutlichsten hervor. Unter den zehn Berufen mit den größten Fachkräftelücken sind fünf dem sozialen beziehungsweise dem Gesundheitssektor zuzuordnen. Dazu zählt die Berufsgruppe der Sozialarbeit und Sozialpädagogik, in der es im Jahresdurchschnitt 2021/2022 die größte Fachkräftelücke gab (Abbildung). Der Fachkräftemangel an sozialpädagogischen Expertinnen und Experten erreicht inzwischen einen traurigen Rekord: Von den bundesweit knapp 26.500 offenen Stellen gab es für knapp 20.600 keine passend qualifizierten Arbeitslosen – so groß war der Mangel nie zuvor. Diese Fachkräfte fehlen beispielsweise bei der Berufseinstiegsbegleitung, in der Schulsozialarbeit, in Jugend-, Kinder- und Altenheimen oder in der Suchtberatung, also überall dort, wo Menschen persönliche Begleitung für die Lösung sozialer Probleme benötigen. Tätigkeitsfelder, die in der Corona-Pandemie noch wichtiger geworden sind. Fast genauso groß war die Fachkräftelücke mit knapp 20.500 Stellen, die rein rechnerisch nicht besetzt werden konnten, bei den Erzieherinnen und Erziehern. Auch hier erreichte der Fachkräftemangel einen Rekordwert. Zudem finden sich die Alten- und Krankenpflege sowie Physiotherapie in der Liste der Berufe mit dem zuletzt stärksten Fachkräftemangel.
Mit der Bauelektrik, der Sanitär-, Heizungs- und Klimatechnik sowie der Kraftfahrzeugtechnik finden sich drei Handwerksberufe unter den Top Ten, in denen ebenfalls akuter Personalnotstand herrscht. Im Jahr 2021 fehlten insgesamt über 87.000 Handwerkerinnen und Handwerker (Malin / Hickmann, 2022). Viele dieser Berufe sind hoch relevant für die Gestaltung der Energie- und Klimawende, etwa für die Installation von Solaranlagen oder die Optimierung von Heizungsanlagen.
Aber auch in der IT ist die Fachkräftelücke groß: Mit über 13.600 Stellen, die nicht besetzt werden konnten, hat der Fachkräftemangel bei Informatikexpertinnen und -experten ebenfalls ein Rekordniveau erreicht. Zudem ist die Stellenbesetzung hier am schwierigsten. Denn obwohl es Berufe mit größeren Fachkräftelücken gibt, können in der Informatik anteilig die meisten Stellen nicht besetzt werden – für neun von zehn offenen Stellen gab es zuletzt bundesweit keine passend qualifizierten Arbeitslosen (Stellenüberhangsquote). IT-Expertise wird zur Gestaltung des digitalen Wandels in fast allen Bereichen von Wirtschaft und Verwaltung dringend benötigt.
Nach einem deutlichen Nachfrageabschwung während der Corona-Pandemie finden sich auch Berufskraftfahrerinnen und -fahrer wieder in der Liste der Berufe mit den größten Fachkräftelücken. Auch hier kann mit einer Verschärfung der Fachkräftesituation gerechnet werden, da die Beschäftigten überdurchschnittlich alt sind und es zudem an Nachwuchs fehlt (Burstedde, 2021).
Ein Blick auf die Beschäftigtenstruktur der zehn Berufe mit den größten Fachkräftelücken zeigt, dass alle zehn Berufe deutlich nach Geschlecht segregiert sind. Während der Frauenanteil in den fünf Berufen, die dem sozialen oder dem Gesundheitsbereich zugeordnet werden können, zuletzt sehr hoch lag, nämlich zwischen 76,6 Prozent (Sozialarbeit und Sozialpädagogik) und 86,7 Prozent (Kinderbetreuung und -erziehung), ist dies bei den anderen fünf Berufen im gewerblich-technischen Bereich genau umgekehrt. Unter den Informatikexpertinnen und -experten lag der Frauenanteil immerhin bei 19,3 Prozent. Der Anteil weiblicher Beschäftigter war mit 0,4 Prozent (Sanitär-, Heizungs- und Klimatechnik) bis 4,5 Prozent (Kraftfahrzeugtechnik) sonst aber extrem niedrig.
Bei allen zehn Berufen handelt es sich also um typische Männer- oder Frauenberufe, in denen das jeweilige andere Geschlecht nur wenig vertreten ist. Dies deckt sich mit früheren Erkenntnissen des Kompetenzzentrum Fachkräftesicherung (KOFA), die zeigen, dass „der überwiegende Teil der Stellen in Engpassberufen […] in männertypischen oder frauentypischen Berufen ausgeschrieben [wird]. Nur knapp 16 Prozent aller Stellen in Engpassberufen werden in geschlechtsuntypischen Berufen gemeldet“ (Malin et al. 2019, 4).
Während der Fachkräftemangel in den Berufen der Top Ten zum Teil Rekordniveau erreicht, wird anhand der Geschlechterverteilung der Beschäftigten deutlich, dass es bisher nicht gelungen ist sowohl Bewerberinnen als auch Bewerber im gleichen Maß für diese Berufe zu begeistern. Das kann dazu führen, dass die Neueinstellung in diesen Berufen auch künftig deutlich erschwert wird. Um Geschlechterklischees bei der Berufswahl aufzubrechen, sollte diesen möglichst bereits bei der Berufsorientierung in den Schulen entgegengewirkt werden. Die Initiative Klischeefrei verfolgt diesen Ansatz (Klischeefrei, o.D.). Unternehmen, Verbände und Innungen können dies fördern, indem sie die eigene Attraktivität als Arbeitgeber und als Branche sowie diejenige der entsprechenden Berufe bei jüngeren und älteren Zielgruppen durch gendergerechte Ansprache und Förderung erhöhen.
Um dem Fachkräftemangel allgemein entgegenzuwirken, könnte beispielweise eine bessere Vereinbarkeit von Beruf und Familie Eltern ermöglichen, mehr Stunden zu arbeiten oder früher aus der Elternzeit zu zurückzukehren (vgl. Frodermann et al., 2018). Neben dem Fokus auf noch unerschöpfte inländische Potenziale wird es im Hinblick auf den demografischen Wandel künftig jedoch auch mehr qualifizierte Zuwanderung benötigen, um den Fachkräftebedarf zu decken.
Methodische Hinweise
Von Fachkräftemangel kann gesprochen werden, „wenn das Angebot an passend qualifizierten Arbeitskräften in einem bestimmten Beruf in einer bestimmten Region kleiner ist als die Arbeitsnachfrage der Arbeitgeber“ (Burstedde et al., 2020, 6). Zur Berechnung des Fachkräftemangels werden sowohl die bei der Bundesagentur für Arbeit gemeldeten offenen Stellen als auch die registrierten Arbeitslosen genutzt. Bei den Arbeitslosen liegt eine Vollerhebung vor, während nicht alle offenen Stellen bei den Arbeitsagenturen gemeldet werden. Die offenen Stellen werden daher unter Einbeziehung von Meldequoten der IAB-Stellenerhebung hochgerechnet und um Sondereffekte der Zeitarbeit bereinigt (Methodik: Burstedde et al., 2020). Die Differenz aus offenen Stellen und Arbeitslosen ergibt dann die Fachkräftelücke. Sie beschreibt damit die Anzahl an offenen Stellen, die nicht mit passend qualifizierten Arbeitslosen besetzt werden können. Die Stellenüberhangsquote beschreibt hingegen den Anteil der Stellen, die rein rechnerisch nicht besetzt werden können, da keine passend qualifizierten Arbeitslosen zur Verfügung standen, an allen offenen Stellen für den Beruf.
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