Nach langem Zögern wagt sich die Politik nun tatsächlich an eine Abmilderung der kalten Progression. Von „Steuergeschenk“ war bereits die Rede, nachdem Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble seinen Plan bei der Präsentation der Steuerschätzung vorstellte. Ein Schritt in die richtige Richtung ist das Vorhaben allemal. Allerdings ist es nicht ehrgeizig genug, um die heimlichen Steuererhöhungen der vergangenen Jahre auszugleichen, wie Berechnungen des Instituts der deutschen Wirtschaft Köln (IW) zeigen.
War es das schon?
Zum 1. Januar 2016 soll der Einkommenssteuertarif um 1,5 Prozent „nach rechts“ verschoben werden – also genau um den Prozentsatz, den das Bundesfinanzministerium als Inflationsrate 2014 und 2015 erwartet. Eine Rechtsverschiebung bedeutet, dass die steigenden Steuersätze des progressiven Einkommensteuertarifs erst bei etwas höherem Einkommen greifen. Dadurch werden die Steuerzahler ab dem kommenden Jahre etwas mehr Netto vom Brutto erhalten, allerdings ist die Anpassung des Tarifs weit davon entfernt, die gesamte Inflation seit 2010 auszugleichen – damals erhöhte der Gesetzgeber nämlich letztmalig alle Einkommensgrenzen des Steuertarifs.
Nach Schäubles Plänen, zeigt eine Berechnung des IW Köln, behält ein Lediger mit einem Bruttoeinkommen von 40.000 Euro ab Januar etwa 85 Euro mehr im Portemonnaie. Wollte der Gesetzgeber jedoch die Inflation von 2010 bis 2015 in Höhe von gut 7 Prozent ausgleichen, müssten netto rund 328 Euro mehr übrig bleiben. Ein Paar mit einem Einkommen von 60.000 Euro würde nun um 122 Euro entlastet. Für einen vollständigen Ausgleich der kalten Progression seit 2010 wären aber 428 Euro erforderlich (Grafik).
Wenn der Fiskus jetzt einen Teil seines Gewinns aus dem Zusammenspiel von Inflation und progressiven Steuersätzen an den Bürger zurückgibt, ist das zwar zu begrüßen. Es stellt sich jedoch die Frage, warum er nicht auf den gesamten Gewinn aus der kalten Progression als schleichender Steuererhöhung seit 2010 verzichtet.
Für die Zeit nach 2016 steht zudem noch in den Sternen, wie die Politik mit der kalten Progression umgehen wird. Zwar kündigte Schäuble an, auch weiterhin die Inflationsraten im Blick zu behalten und je nach Lage die heimlichen Steuererhöhungen auszugleichen. Doch den Mut zu einem „Tarif auf Rädern“ will die Politik offenbar immer noch nicht aufbringen. Solange der kalten Progression jedoch nicht per Gesetz ein Riegel vorgeschoben wird, liegt eine Abmilderung im jeweiligen Ermessen der Politik.
Erklärung: Die kalte Progression beschreibt Steuermehreinnahmen, die dem Fiskus dadurch entstehen, dass Einkommenssteigerungen die Inflation ausgleichen sollen, dabei jedoch einem höheren Steuersatz unterliegen.
Lauwarme Progression
Entlastung nach Bruttoeinkommen durch die Schäuble-Reform im Vergleich zur zusätzlichen Belastung durch die kalte Progression seit der letzten umfassenden Tarifanpassung im Jahr 2010 (jeweils in Euro pro Jahr)
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