Die Welthandelsorganisation (WTO) hat mit der Nigerianerin Ngozi Okonjo-Iweala ab dem ersten März eine neue Generaldirektorin. Möglich wurde die Personalie, nachdem die USA unter der Regierung von Joe Biden ihre Blockadehaltung aufgegeben hatten. Die Aufgabenliste der neuen Chefin ist lang, die WTO steckt in einer tiefen Krise. Fünf Aufgaben, die Okonjo-Iweala schnell anpacken sollte.
Fünf große Aufgaben für die neue WTO-Chefin
1. Die WTO-Streitschlichtung wieder funktionsfähig machen: Die USA haben die Wiederbesetzung von Schiedsexperten so lange blockiert, bis das Gremium nicht mehr handlungsfähig war. China hat dabei eine wichtige Rolle gespielt. Denn die Berufungsinstanz hatte es den USA immer schwerer gemacht, sich gegen chinesische Wettbewerbsverzerrungen zu wehren. Daher muss neben den USA vor allem China mitspielen. Die EU hat die US-Kritik aufgegriffen und schon 2018 Vorschläge gemacht, die zu einer Reforminitiative in der WTO geführt haben. Okonjo-Iweala muss diese Initiative neu beleben und so die Streitschlichtung endlich wieder ermöglichen.
2. Verhandlungen über eine Reform der Regeln für Industriesubventionen in Gang bringen: Die WTO muss die Verzerrungen des chinesischen Staatskapitalismus besser in den Griff bekommen. Bislang klaffen in den WTO-Regeln für Industriesubventionen und Staatsunternehmen große Lücken. Die USA, EU und Japan haben längst umfangreiche Reformen vorgeschlagen, China stellt sich jedoch quer. Die neue Generaldirektorin sollte konstruktive Verhandlungen über dieses Thema in Gang bringen.
3. Die WTO von innen wieder fit machen: Die WTO wird immer als mitgliedergetriebene Organisation bezeichnet – mit der Generaldirektorin und dem WTO-Sekretariat als Vermittler. Doch das Vertrauen der WTO-Mitglieder ist geschwunden. Von ihnen kommen kaum noch Initiativen, Vorschläge provozieren sofort Gegenforderungen. Zudem diskutieren WTO-Gremien selten konstruktiv und reden viel häufiger aneinander vorbei. Ngozi Okonjo-Iweala muss hier Führung beweisen, eine neue Diskussionskultur etablieren, das WTO-Sekretariat aktiver nutzen und über diesen Weg eigene Initiativen in die Diskussion einbringen.
4. Kleine Liberalisierungsschritte zur Vertrauensbildung fördern: Die WTO wird auch unter der neuen Spitze in den nächsten Jahren keine große Offensive zur Handelsliberalisierung auf den Weg bringen, dazu sind die Interessengegensätze und das Misstrauen unter den WTO-Mitgliedern zu groß. Auch die USA müssen sich an einen neuen Umgang mit der WTO erst wieder herantasten. Daher geht es für die neue Generaldirektorin darum, Bereiche zu identifizieren, bei denen die Früchte tief hängen und eine Einigung auf kleine Liberalisierungsschritte möglich ist. Nur so kann sie neues Vertrauen entstehen assen. Bei Fischereisubventionen und besseren Regeln für den Handel mit Medizinprodukten könnte sich diese Möglichkeit bieten. Dann gäbe es Hoffnung, dass sich die WTO neben der Corona-Krise auch anderen zentralen Themen widmen kann – wie beispielsweise umfassenden Regeln für den Handel mit digitalen Produkten sowie umweltfreundlichem Handel.
5. Neue Konflikte durch Grenzausgleichsmechanismen im Klimaschutz verhindern: Zwar schwenken immer mehr Staaten auf einen schnelleren Kurs in der Klimaschutzpolitik ein. Doch dabei wird das Tempo der großen CO2-Emittenten unterschiedlich bleiben, sodass die Vorreiter Wettbewerbsnachteile erleiden werden. Deshalb will die EU als Schrittmacher beim Klimaschutz einen Grenzausgleichsmechanismus einführen. Tut sie das nur von sich aus, ist Streit programmiert. Daher muss über dieses Problem in der WTO intensiv diskutiert werden, idealerweise findet sich in Genf eine konsensfähige Lösung. Andernfalls drohen intensive Handelskonflikte. Das muss Ngozi Okonjo-Iweala dringend verhindern.
Mehr zum Thema: Protektionismus eindämmen und WTO-Reform vorantreiben | Institut der deutschen Wirtschaft (iwkoeln.de)
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