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Nichts geht mehr: Die Stadtbahnen in Köln stehen still. (© Foto: GettyImages)
Hagen Lesch IW-Nachricht 19. Oktober 2020

Öffentlicher Dienst: Streiks dürfen nicht zum Selbstzweck verkommen

Ver.di und Co. bestreiken aktuell in der dritten Welle den ÖPNV und bewegen sich dabei auf einem schmalen Grat – dem zweitägigen Non-Stop-Streik fehlt die Legitimation. Er ist unverhältnismäßig und trifft vor allem Eltern und Pendler, während der Druck auf die Arbeitgeber überschaubar bleibt.

Heute hat die dritte Warnstreikwelle im ÖPNV begonnen. Damit wollen die Gewerkschaften Verhandlungen über einen bundesweiten Rahmentarifvertrag erzwingen. Zuvor wurden im Rahmen der regulären Verhandlungen des Öffentlichen Dienstes bereits Krankenhäuser, Kindergärten, Schleusen oder öffentliche Verwaltungen bestreikt. In Bochum fiel Ende September der Schulunterricht aus, weil die Reinigungskräfte und das Hausmeisterpersonal streikten. 

Das Streikrecht ist ein Grundrecht: Streiks machen nur Sinn, wenn sie einen wirtschaftlichen Schaden anrichten, das gilt auch in Zeiten der Pandemie. Bei allem Respekt: Ein Streik sollte verhältnismäßig sein und nicht zum Selbstzweck verkommen. 

Die meisten Deutschen haben Verständnis

Die Ausgangslage ist für die Gewerkschaften günstig. Vor der ersten großen Warnstreikwelle am 22. September 2020 drückten laut einer Forsa-Umfrage unter 1.000 Bundesbürgern fast zwei Drittel Verständnis und nur ein knappes Drittel kein Verständnis für den Ausstand aus. Die Erfahrungen mit vergangenen Streiks im Verkehrssektor zeigen aber: Dauern die Aktionen länger an, bröckelt die Zustimmung. Das gilt vor allem dann, wenn Streiks als unverhältnismäßig empfunden werden. Dies dürfte bei einem zweitägigen Non-Stop-Warnstreik der Fall sein. Dieser Streik ist nämlich kein Warnstreik mehr. Er gleicht in seiner Wirkung einem Erzwingungsstreik, der üblicherweise durch eine Urabstimmung demokratisch legitimiert wird. Das ist aber nicht geschehen. Dies wirft die Frage auf, ob es für die Daseinsvorsorge einen Rechtsrahmen für Arbeitskämpfe bedarf, vor dessen Konzipierung sich die Politik seit Jahren herumdrückt.

Kein echter Druck auf Arbeitgeber

Die Streikfolgen treffen Dritte – vor allem Eltern und Pendler sind Leidtragende. Der wirtschaftliche Schaden, der durch den Druck auf die öffentlichen Arbeitgeber ausgeübt werden soll, hält sich dagegen in Grenzen. Durch die Pandemie wird der ÖPNV derzeit eh weniger genutzt, sodass die streikbedingten Einnahmeausfälle kaum ins Gewicht fallen. Um echten Druck auf die Arbeitgeber aufzubauen, müssten die Gewerkschaften über einen längeren Zeitraum hinweg streiken lassen. Dann laufen sie aber Gefahr, die öffentliche Meinung gegen sich aufzubringen.

Ein Blick auf die Tarifabschlüsse anderer Branchen zeigt: In diesem Jahr war Maßhalten angesagt, ohne das übliche Säbelrasseln. Selbst in der Bauwirtschaft, die die Pandemie bisher vergleichsweise gut übersteht, gab es für 2020 lediglich eine steuerfreie „Corona-Prämie“ in Höhe von einmalig 500 Euro. Natürlich haben Krankenschwestern, Busfahrer oder Müllwerker Anspruch auf eine bessere Bezahlung. Diese muss sich aber an den finanzwirtschaftlichen Möglichkeiten ihrer Arbeitgeber orientieren. Anhaltende Streiks mindern diese Möglichkeiten, wecken bei den Streikenden aber unrealistische Erwartungen. So unpopulär es klingen mag: Systemrelevant ist in einer arbeitsteiligen Gesellschaft nicht nur der Öffentliche Dienst, dessen Beschäftigte anders als Reisekaufleute, Kellnerinnen oder Köche keinem Arbeitsplatzrisiko ausgesetzt sind. 
 

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