Nach monatelangen Streitereien in der großen Koalition gab es gestern eine Einigung zum Lieferkettengesetz. Die gute Nachricht: Zusätzliche Bürokratie und Haftungsrisiken werden eingeschränkt. Die schlechte Nachricht: Selbst in dieser Form ist das geplante Gesetz ein Handelshemmnis, von dem auch die Entwicklungs- und Schwellenländer nicht zwingend profitieren. Es wird Zeit für eine europäische Lösung.
Lieferkettengesetz: Eine europäische Lösung ist gefragt
Das umstrittene Lieferkettengesetz soll deutsche Unternehmen dazu verpflichten, bei ihren Auslandsgeschäften und ihren Lieferanten auf die Einhaltung der Menschen- und Arbeitnehmerrechte zu achten. Das Gesetz soll noch vor der Bundestagswahl in diesem Jahr verabschiedet werden und 2023 in Kraft treten. Demnach müssen zunächst Unternehmen mit mehr als 3.000 Mitarbeitern die neuen Regelungen befolgen. Die Unternehmen müssen bei Verstößen nicht haften – stattdessen drohen Bußgelder. Doch auch ohne ein Lieferkettengesetz achten die meisten deutschen Unternehmen auf Nachhaltigkeit bei ihren Lieferanten. Eine Befragung des IW-Zukunftspanel zeigt, dass rund 60 Prozent der Unternehmen im Produzierenden Gewerbe der Nachhaltigkeit in ihren Lieferketten einen hohen Stellenwert beimessen. Kaum ein Unternehmen gab an, dass das Thema gar keine Rolle spielt.
Fortschritte nicht gefährden
Globale Lieferketten sind heute zu hochkomplexen Netzwerken geworden, deren lückenlose Überwachung nahezu unmöglich ist – und wenn, dann nur mit einem gewaltigen bürokratischen Mehraufwand. Da die zusätzlichen Kosten ausschließlich importierte Produkte betreffen, kommt es zu Handelshemmnissen. Oftmals stehen Entwicklungs- und Schwellenländer unter Verdacht, menschenunwürdig zu arbeiten. Daher wären Importe aus diesen Ländern stark betroffen, was große ökonomische Schäden sowohl für Deutschland als auch für das Ursprungsland zur Folge hätte.
Dabei haben gerade deutsche Unternehmen die Chance, heimische Standards im Ausland einzuführen und die dortigen Arbeitsbedingungen in Richtung Nachhaltigkeit zu entwickeln. Etwa ein Viertel der deutschen Warenimporte entfallen auf Länder mit einem Pro-Kopf-Einkommen von unter 12.500 US-Dollar, von den arbeits- und ressourcenintensiven Produkten sind es sogar die Hälfte. Immerhin wurden im neuen Gesetz die Kosten, die durch zusätzliche Bürokratie entstehen, auf das eigene Geschäft und direkte Lieferanten beschränkt: Fortschritte der vergangenen Jahren bei Menschenrechten, Umwelt- und Arbeitnehmerschutz werden dadurch nicht gefährdet. So ist es weniger wahrscheinlich, dass deutsche Unternehmen in andere Länder ausweichen und stattdessen etwa Raum für chinesische Firmen in Entwicklungsländern schaffen, die weniger auf Nachhaltigkeit achten.
Ein nationaler Alleingang ist suboptimal
In Brüssel wird parallel bereits an einem Gesetzesentwurf für eine verbindliche EU-Sorgfaltspflicht gearbeitet. Dabei könnten manche Punkte über die geplanten Maßnahmen des deutschen Lieferkettengesetzes hinausgehen. Deswegen stellt sich aus EU-Perspektive die Frage, weshalb Deutschland den Alleingang in einer Frage wählt, die von hoher handels- und investitionspolitischer Relevanz ist. Nicht umsonst sind hier die Kompetenzen im Binnenmarkt auf EU-Ebene angesiedelt. Die EU sollte einen gemeinsamen Weg ausarbeiten und geschlossen auftreten. Andernfalls könnten Wettbewerbsverzerrungen einzelnen EU-Ländern teuer zu stehen kommen. Bei der Ausgestaltung können sich die EU-Institutionen an der Section 307 des US-amerikanischen Tariff Act aus dem Jahr 1930 orientieren. Es darf keine flächendeckende Bürokratie entstehen, sondern nur in Verdachtsfällen ein Eingriff erfolgen. Zudem muss das Instrument zweckmäßig eingesetzt werden und darf nicht protektionistischen Zwecken dienen.
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