Die Europäische Zentralbank (EZB) hat den Leitzins um 10 Basispunkte auf ein Rekordtief von 0,05 Prozent gesenkt. Damit will sie Handlungsfähigkeit demonstrieren, wird jedoch immer mehr von den Märkten vor sich her getrieben. Der Euro-Dollar-Wechselkurs hat es ihr zwar mit einer Abwertung gedankt, aber längerfristig ist die EZB-Strategie riskant.

EZB sollte Risiken nicht ausblenden
In den vergangenen Wochen haben schlechte Konjunkturmeldungen den Druck auf die EZB erhöht, ihre Geldpolitik weiter zu lockern: Die Inflation in der Eurozone ist auf 0,3 Prozent gegenüber dem Vorjahreszeitraum gefallen und hat bereits existente Deflationssorgen weiter geschürt. Zudem sanken verschiedene Stimmungsindizes. Damit stellt sich die Frage, ob der aufkeimende Aufschwung sich durchsetzen kann. Am Finanzmarkt stiegen so die Erwartungen an die EZB immer weiter.
Einen kleinen Erfolg konnte sie mit der neuerlichen Leitzinssenkung feiern: Der Wechselkurs sank zwischenzeitlich auf unter 1,30 Dollar je Euro – eine solche Abwertung sollte helfen, die Exporte europäischer Unternehmen zu beflügeln. Zudem legte der Dax ebenfalls leicht zu. Doch es gibt auch Wermutstropfen: Denn hinter der Euro-Abwertung stehen Kapitalabflüsse aus der Eurozone in die USA, wo die Zinsen bald steigen dürften. Im Moment ist zwar auch in Europa noch viel Kapital unterwegs, doch wenn die Kapitalabflüsse weiter zunehmen, könnten hierzulande die längerfristigen Zinsen steigen, was den fragilen Aufschwung in der Eurozone weiter erschweren könnte. Denn steigende Zinsen erhöhen die Kosten für Unternehmen, sich am Kapitalmarkt zu finanzieren.
Die EZB hat am Donnerstag den Einlagenzins ebenfalls um 10 Basispunkte auf minus 0,2 Prozent gesenkt. Es bleibt abzuwarten, wie die Banken mit den gestiegenen Kosten durch den negativen Einlagenzins umgehen. Die Profitabilität vieler Banken ist im aktuellen Niedrigzinsumfeld schon gering. Eine Ausweichreaktion der Banken durch Investitionen in Hochzinsanleihen könnte aber Gefahren für die Finanzstabilität mit sich bringen.
Ohnehin sollte die EZB die mittelfristigen Risiken ihrer extremen Niedrigzinspolitik stärker berücksichtigen und nicht nur auf die kurzfristigen Probleme schauen. Zumal nicht ausgemacht ist, dass die jüngste Delle bei den Stimmungsindikatoren dauerhafter Natur ist: Gestern gab es – zumindest für Deutschland – sehr positive Nachrichten von den industriellen Auftragseingängen, die überraschend stark gestiegen sind.

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