IW-Chef Hüther über Frühverrentung, Weiterbildung und den Erfolg der Agenda 2010
„Wir sind auf das Potenzial älterer Arbeitnehmer angewiesen“
DIE WELT: Kurt Beck und weite Teile der SPD wollen die Verlängerung des Arbeitslosengeldes I bei älteren Arbeitnehmern durchsetzen. Welche wirtschaftspolitischen Folgen hätte eine solche Reform?
Michael Hüther: Es wird einen Dominoeffekt geben, wenn sich die SPD innerhalb der großen Koalition in dieser Frage durchsetzt. Ich sage voraus, dass dann weitere Elemente der Agenda 2010 zurückgenommen werden, obwohl diese Reformen eine entscheidende Voraussetzung für den anhaltenden Aufschwung gerade mit Blick auf die deutlich verbesserte Arbeitsmarktlage sind. Es ist ein fatales Signal, dass dieser Erfolg jetzt aus parteitaktischen Erwägungen aufs Spiel gesetzt wird.
Wie steht es derzeit um ältere Menschen auf dem Arbeitsmarkt?
Deutschland hat einen gewaltigen Anstieg der Erwerbstätigenquote bei den Arbeitnehmern, die älter als 55 Jahre sind, zu verzeichnen. Im Jahre 2003 lagen wir noch bei 39 Prozent; inzwischen ist die Beschäftigungsquote auf 52 Prozent angestiegen. Kein Industrieland hat eine solche dynamische Entwicklung vollzogen. Damit wird auch die weit verbreitete These, wir hätten ein zu geringes und unveränderbares Arbeitsvolumen, das nur umverteilt werden könne, widerlegt. Denn tatsächlich ist die Beschäftigung angestiegen.
Arbeitsminister Franz Müntefering sieht das auch so. Und trotzdem ist ihm sein Parteifreund Gerhard Schröder, der die Agenda 2010 ja erfunden hat, in den Rücken gefallen.
Ich kann das Verhalten des Altkanzlers überhaupt nicht verstehen. Das ist unverantwortlich! Wir erleben doch gerade, dass die Agenda 2010 Früchte trägt! Die Entwicklung bei den älteren Arbeitnehmern belegt, dass es möglich ist, für alle Altersgruppen Beschäftigung zu schaffen, wenn man die Rahmenbedingungen nur entsprechend verändert. Fatal ist aber auch, dass die SPD ein Altersbild vermittelt, welches wir – die Bundesregierung mit ihrem Auftrag an die Altenberichtskommission – eigentlich korrigieren wollen: Alt bedeutet unproduktiv. Die Wissenschaft hat längst mit dem Vorurteil aufgeräumt, ältere Menschen seien nicht mehr zu Höchstleistungen im Stande. Gerade auch mit Blick auf die demografische Entwicklung können wir es uns nicht leisten, auf das Potenzial älterer Arbeitnehmer zu verzichten.
An dieser Erkenntnis scheint es aber nicht nur in der Politik, sondern auch in der Wirtschaft zu mangeln. Warum eigentlich?
Wir haben in Deutschland eine lange Tradition der Frühverrentung. Seit den 80er Jahren wird diese gesetzliche Regelung von den Unternehmen als Ventil zur Gestaltung des Arbeitsvolumens intensiv genutzt. Viele Firmen scheuen auch betriebsbedingte Kündigungen in dem Irrglauben, der Weg der Frühverrentung sei für sie heute noch der günstigere. Die Personalabteilungen der Firmen sind von diesem Denken nachhaltig geprägt. In den Unternehmen dominiert also faktisch die Defizit-Hypothese des Alterns. Daraus resultiert letztlich die mangelnde Bereitschaft, in die Weiterbildung älterer Arbeitnehmer zu investieren.
Die Unternehmen lassen viel Know-how brach liegen und klagen gleichzeitig über Fachkräftemangel. Ist das nicht paradox?
Es gibt in einigen, vor allem technischen Bereichen einen Fachkräftemangel, den man durch Weiterbildung allein nicht kompensieren kann. Bei den Ingenieuren fehlt etwa ein kompletter Absolventenjahrgang der Universitäten und Fachhochschulen. Insofern ist die Klage berechtigt. Andererseits ist tatsächlich festzustellen, dass so mancher Engpass in den Unternehmen heute zu beheben wäre, wenn die Unternehmen die Weiterbildung für Ältere in den letzten Jahren ernst genommen hätten. Die Unternehmen haben zu lange, zu wenig für die Mobilisierung der Beschäftigungschancen älterer Arbeitnehmer getan. Zwischen 2002 und 2006 sind die Maßnahmen sogar noch einmal zurückgegangen. Nur etwa 17 Prozent der Betriebe bieten derzeit spezielle Maßnahmen für diese Altersgruppe an. Hier muss dringend umgesteuert werden!
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