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Michael Hüther im manager-magazin Interview 1. April 2009

Von Steigbügelhaltern und Sachwaltern

Michael Hüther fordert im manager-magazin, die Verantwortung der eigenen Zunft für die Finanzkrise aufzuarbeiten. Der IW-Direktor spricht über die Folgen der Zahlengläubigkeit, die Aversion der Deutschen gegen Wettbewerb und die Führungsschwäche der Kanzlerin.

Herr Professor Hüther, Sie haben die Finanz- und Wirtschaftskrise jüngst als "Waterloo der Ökonomik" bezeichnet. Wie waren die Reaktionen der Kollegen? Sind Sie nun der Nestbeschmutzer der VWL?

Nestbeschmutzer ist glaube ich ein falsches Bild. Die Volkswirtschaftslehre muss sich als Akteur in diesem Kontext genauso befragen lassen und sich selbst befragen, wie das die Banker, die Aufsicht, die Regulierer oder die Ratingagenturen tun müssen.

Und das ist unter den Wirtschaftswissenschaftlern so Konsens?

Es gibt immer welche, die von der Überlegenheit des eigenen Wissens geprägt sind, aber insgesamt wurde meine Kritik positiv aufgenommen. Ich habe ja auch gar nichts gegen die formalen und mathematischen Ansätze in der Ökonomik, da gibt es viel Gutes.

Sie werfen den stark formal arbeitenden Ökonomen vor, zu sehr Naturwissenschaftler sein zu wollen. Was stört Sie daran?

Sie finden heute eine Methodengläubigkeit, die verkennt, dass ein ökonomisches System immer wieder erratische Impulse erfährt, weil in ihm Menschen aus ihren Präferenzen und Gefühlslagen heraus handeln. Die Ökonomik ist eine Wissenschaft vom sozialen Handeln des Menschen. Und dieses entzieht sich eben häufig der formalen Darstellbarkeit.

Würden Sie so weit gehen, dass die Zahlengläubigkeit einiger Wirtschaftsforscher sogar Steigbügelhalter für die nun zusammengebrochenen Geschäftsmodelle der Finanzindustrie, speziell des Investmentbankings war?

Sicherlich gibt es eine Parallelität im Grad der eigenen Überhöhung. Zudem haben sich beide Bereiche in der Interaktion gegenseitig vorangetrieben. So haben sich die Banken zum Beispiel relativ naiv auf Risikomodelle verlassen, die mit begrenzten historischen Datenreihen versucht haben, Dinge abzubilden. Gefehlt hat aber der Mut zu einer qualitativen Bewertung der Modelle. Es ist halt nicht immer alles nur schwarz oder weiß, null oder eins.

Sie sprechen sich für eine Rückbesinnung auf die Ordnungsökonomik eines Walter Eucken aus. Professor Ritschl von der London School of Economics zum Beispiel hält Euckens Ordnungstheorie für einen bereits bis zum Ende abgeschrittenen Sonderweg, der sich als "steril" und für das ökonomische Denken "unfruchtbar" erwiesen hat.

Ich halte Albrecht Ritschl für einen der besten Wirtschaftshistoriker, den wir haben, aber seine Theorie vom Sonderweg ist nicht überzeugend. Es sind ja aus der Ordnungsökonomik heraus viele Anregungen für andere Stränge der Volkswirtschaftslehre erfolgt. Auch wenn sich heute vielleicht die Sprache geändert hat, geht es im Prinzip immer noch um dieselben Themen.

Die Abwrackprämie wird aufgestockt, die Rettung von Opel wird zum Wahlkampfthema und das Wort Enteignung geht vielen derzeit ziemlich leicht über die Lippen. Woher schöpfen Sie Ihre Zuversicht für eine Renaissance von Eucken?

Es ist schon eigenartig. Auf der einen Seite haben wir das, was in der Krise notwendig ist, weil wir einfach eine keynesianische Situation erleben, in der man Keynes' Instrumentenkasten öffnen muss. Gleichzeitig haben wir aber auch eine politisch und öffentlich geführte Diskussion, die sehr deutlich wahrnimmt, dass das nicht so ganz dauerhaft sein darf. Jetzt wo wir wirklich Defizite fahren müssen, diskutieren wir viel schärfer die Konsolidierungsnotwendigkeit als in der ersten Hälfte des Jahrzehnts. Das zeigt schon eindeutig Lernprozesse, dass wir den Staat wieder in Normalordnung bringen müssen.

Das Thema Enteignung haben Sie damit aber noch nicht vom Tisch.

Hier sehe ich einen gewissen Missgriff. Dass wir bei der HRE in einem Dilemma stecken, ist unstreitig. Der Staat ist mit hohen Beträgen engagiert und hat sich gleichzeitig international verpflichtet, keine systemrelevante Bank in die Insolvenz gehen zu lassen. Was aber auch aus der Eigenverantwortung der Bundesregierung heraus bei der Bilanzsumme und der Vernetzung der Bank gar nicht passieren darf. Und alle, die da sagen, lass' doch mal die HRE in die Insolvenz gehen, kann ich nicht verstehen. Wir können uns ja alle anschauen, wie das bei Lehman war.

Dennoch ist mir ein bisschen schnell auf den Zug Enteignung gesprungen worden. Bevor mit jemandem gesprochen wurde, war bei Steinbrück schon von Enteignung die Rede. Meiner Meinung nach bietet aber bereits das Kreditwesengesetz der Bafin die Möglichkeit, bei einer Bank, die faktisch insolvent ist, die Geschäftsführung ab- und einen Sonderbeauftragten einzusetzen, um genau das zu tun, was man jetzt über den Enteignungsweg versucht. Der Vorteil wäre hierbei, dass die Aktionärsrechte - wenn zurzeit auch wertlos - erhalten blieben, ohne für die Unternehmenssteuerung wirksam zu sein. Ich habe also nicht den Eindruck, dass alle Möglichkeiten sorgfältig ausgeschöpft wurden.

Woran liegt das? Ist der Kontakt zwischen Politik und Wissenschaft abgerissen?

Hüther: Da bin ich ehrlicherweise überfragt, aber vielleicht ist es für den einen oder anderen Akteur attraktiv, mit einem solchen Thema in den Wahlkampf zu gehen.

Ohne Ihrer Zunft zu nahe treten zu wollen, hat man zuletzt auch von vielen Nichtökonomen wie zum Beispiel dem Philosophen Peter Sloterdijk sehr gute Beiträge zur Krise gelesen. Verlieren die Ökonomen die Deutungshoheit?

Lotto-Jackpot: "Es ist meine feste Überzeugung, dass es eine tief sitzende Aversion gegen die Markt- sprich Wettbewerbswirtschaft gibt"

Eine Gefahr besteht da schon, vor allem weil diese Krise recht schnell emotionale Reaktionen auslöst. So habe ich zum Beispiel Anfang des Jahres einen Vortrag über die Zeit vom Ende des Weltwährungssystems von Bretton Woods bis zur Subprime-Krise gehalten und wurde dafür kritisiert, dass ich ja gar nichts über die Gier sagen würde. Dabei hat es nun mal nichts mit der Gier zu tun, was sich in der Nachfolge vom Ende von Bretton Woods ereignete. Die emotionale Entrüstung macht es sehr schwer, mit Sachargumenten durchzukommen. Zusätzlich macht sich eine Diktion breit, dass es sich bei der Krise um Marktverwerfungen und Marktversagen handele, dabei ist es zum Teil ein Ordnungs- und damit Politikversagen. Wir haben eine Mischung aus individuellem Fehlverhalten und Systemversagen. Das muss man nur deutlich sagen, und dann wird man die Deutungshoheit auch nicht verlieren, zumal sich die Emotionalisierung auch wieder legen wird.

Ist das Verhältnis zur Gier bei den Menschen nicht eh ein etwas zwiespältiges, wenn sich bei großen Jackpots vor den Lotto-Schaltern 40 Meter lange Schlangen bilden und gleichzeitig bei vielen Schadenfreude aufkommt, wenn ein zuvor erfolgreicher Unternehmer pleitegeht?

Es ist meine feste Überzeugung, dass es eine tief sitzende Aversion gegen die Markt- sprich Wettbewerbswirtschaft gibt. Denn das Prinzip des Wettbewerbs ist ja, dass ich ständig etwas anderes machen muss, weil jemand anderes etwas anderes macht. Die meisten sind aber Anpasser im Wettbewerb und nicht die Verursacher des Wettbewerbs. Sie müssen also ständig reagieren, und das ist vielen unangenehm. Dass dies ein Ausdruck einer Freiheitsordnung ist, wird dann nicht wirklich mehr im Kontext gesehen.

Wie kommt es, dass derzeit Begriffe wie Freiheit und offene Märkte so diskreditiert sind?

Diejenigen, die für diese Kategorien geworben haben, haben das häufig nur schlagwortartig getan. Durch die schablonenhafte Aussage, Deregulierung sei per se gut, wurde das Thema leider oft sehr undifferenziert verhandelt. Damit wurde der Eindruck erweckt, dass man jeglichen Rückzug des Staates gutheiße. So wurde gar nicht mehr bei jenen hingehört, die sagten, dass man zum Beispiel die Finanzaufsicht und die Finanzmarktregulierung nicht im Wettbewerb gestalten könne. Damit wurden Kritikern natürlich Angriffspunkte geliefert.

Die diese im Umfeld des G20-Treffens dieser Tage massiv vortragen werden. Was erwarten/befürchten Sie von der Zusammenkunft der Mächtigen in London?

Ich befürchte kein Scheitern, weil ich denke, dass die Voraussetzungen gut sind, zu einem Konsens zu kommen. Vor allem nach den jüngsten Äußerungen der amerikanischen Administration. Timothy Geithners Reformperspektiven der amerikanischen Finanzaufsicht sind ja nicht mehr weit von unseren Ansätzen entfernt. Oder nehmen Sie die britische Finanzaufsicht FSA, die unter der Regierung Blair immer gezügelt wurde. Dessen Nachfolger Gordon Brown hat nun zugegeben, dass dies ein Fehler war. Gerade die beiden angelsächsischen Länder haben begriffen, dass wir eine ganz andere Aufsichtsnotwendigkeit haben. Es ist ja nicht mit Regulierung allein getan, Regulierung funktioniert in diesem Markt nur, wenn ich auch eine Aufsicht habe, weil es eben nicht um Straftatbestände geht, sondern um richtige Anreizstrukturen. Das Arbeitspaket ist schon im vergangenen November recht umfänglich und angemessen definiert worden. Daher bin ich da recht gelassen und eher positiv gestimmt.

Und wie sieht die Finanzwelt von morgen aus?

Sie wird vielleicht langweiliger, solider und ich denke auch nachhaltiger, weil die Eigenkapitalunterlegung stärker gefordert und die Optimierung der Eigenkapitalnutzung deutlich begrenzt werden wird. Zusätzlich gibt es einen Trend zur Transparenz und Standardisierung von Produkten, da sich zu komplizierte Angebote nicht mehr verkaufen lassen werden. Außerdem sehe ich eine Renaissance der klassischen Bankbeziehung, in der Bank und Markt als zwei Wege der Unternehmensfinanzierung nicht gegen-, sondern miteinander arbeiten.

Der Finanzmarktvordenker Avinash Persaud hat jüngst davor gewarnt, sich bei der Beantwortung der Krise nur auf einen Weg als Allheilmittel zu verlassen. Schließlich sei es die Uniformität des Denkens und Handelns gewesen, die diese Krise ausgelöst habe. Teilen Sie seine Angst vor neuen Lemmingen?

Nein. Die Ähnlichkeit der Akteure wird künftig zum Glück darin bestehen, dass sie diesen Unsinn nicht mehr machen, also keine Papiere mehr kaufen, die sie nicht verstehen, und keine Risikomodelle benutzen, deren Interpretation sie nicht beherrschen.

Also keinen Wettbewerb der Regulierungen?

Die Grundidee, dass künftig kein Finanzsektor mehr außerhalb der Aufsicht sein darf, um eine Regulierungsarbitrage zu verhindern, muss weltweit eine feste Komponente werden. Es hilft nicht, wenn sie irgendetwas regulieren, die Marktteilnehmer aber ausweichen können. Genau bei den Ausweichreaktionen hat es ja in der Vergangenheit ein Parallelverhalten gegeben - mit den bekannten schlimmen Folgen. Wenn ich diese Ausweichreaktionen unmöglich mache, laufen eben nicht alle in die gleiche Richtung. Eine gut gemachte Regulierung führt dazu, dass die Diversifizierung der Strategien auch zunehmen kann.

Zuletzt haben viele Ihrer Kollegen die Prognosen für die Wirtschaftsentwicklung nochmals gesenkt. Wie lautet Ihre aktuelle Schätzung?

Wir kommen mit der neuen Prognose Anfang Mai. Daher kann ich Ihnen derzeit keine konkrete Zahl nennen. Ich halte das momentan aber auch nicht für zielführend. Die Herausforderung ist vielmehr zu erklären, dass wir es für plausibel halten, dass irgendwie zur Jahresmitte die Talsohle erreicht wird. Es muss ökonomisch darum gehen, die Fallhöhe auf null zu bringen und wieder Boden unter die Füße zu bekommen. Dafür gibt es zwar eine Reihe von Argumenten, was wir aber nicht genau wissen ist, ob es Früh-, Hoch- oder Spätsommer wird. Was ich damit sagen will, ist, dass schon eine leichte Verschiebung von nur einem Monat zum Beispiel vom Juni in den Juli oder vom September in den Oktober, für den Jahresdurchschnitt beim Bruttoinlandsprodukt eine extreme Wirkung hat. Von minus 3 bis minus 5 Prozent oder noch ein bisschen mehr ist dann alles plausibel, obgleich es ökonomisch betrachtet in der Substanz nicht wirklich einen Unterschied macht, ob ich vier Wochen früher oder später die Talsohle erreiche. Daher sollte man eher das Augenmerk auf den Verlauf der Konjunktur richten, um davon abzuleiten, wie tief die Belastungen werden können. Und dann ist der Jahresdurchschnitt nur eine rechnerische Resultante, sagt aber selbst nicht sehr viel aus.

Wie am Anfang unseres Gesprächs geht es also auch hier um eine überhöhte Zahlengläubigkeit.

Richtig, wir müssen auch die Story sehen. Eine Konjunkturprognose ist eigentlich eine Geschichte, die man erzählt, und keine Zahl.

Und bald auch wieder eine Erfolgsgeschichte?

Dafür gibt es einige valide Argumente. So haben wir erkennbare Entspannungen im Finanzsystem, wir sehen es an der Zinsstrukturkurve, für China gibt es erste aufgehellte Perspektiven, und selbst in den USA sehen wir Anzeichen, die auf eine Bodenbildung hinweisen. Zudem wird auch die Geldpolitik ihre Wirkung entfalten.

2009 ist ein Superwahljahr. Der österreichische Ökonom Ludwig von Mises hat einmal beklagt, dass die meisten Politiker, statt das große Ganze im Blick zu haben, sich nur den Interessen einzelner Gruppen verpflichtet fühlen. Wie ist es mit der Qualität der politischen Kaste in Deutschland bestellt? Ist ein Volksredner der Marke Obama in Sicht?

Dafür braucht man natürlich die institutionellen Voraussetzungen. Wenn man eine Präsidialdemokratie wie in den USA hat, wo eine Person vom Volke gewählt wird und diese Legitimation entsprechend nutzt, dann hat man eine solche Figur. Bei uns gibt das schon das institutionelle Setting nicht her. Hinzu kommt, dass wirklich charismatische Personen es in einer Situation, wo große Parteien ihre Bindungswirkung verlieren, nicht mehr so leicht haben, weil sie ja auf andere Interessenneutralisierungen in mehrzahligen Koalitionen angewiesen sind. Unsere Politiker sind also eher Sachwalter von Detailinteressen, die es gilt auszutarieren. Sofern ist Frau Merkel auch ein Zeichen dieser Zeit, weil sie mehr präsidiert, als wirklich führt. Man dürfte doch von ihr erwarten, dass sie den Menschen die Krise erklärt, aber da hört man eigentlich nichts. Auch wenn eine Koalition so etwas vielleicht nicht wirklich zulässt, könnte man natürlich schon fragen, ob eine Bundeskanzlerin sich das in diesen Zeiten nicht doch rausnehmen könnte, ja sogar sollte. Aber es passt halt schon zu unserer Gemengelage in der Veränderung der Parteienstruktur.

Also die Krise als Grund zum Systemwechsel?

Letztlich geht es um die Frage, ob die Systeme offen genug sind, Alternativen zuzulassen. Ich glaube, auch unser System birgt immer noch hinreichend Überraschungen. Wie schon in der Vergangenheit wird es Personen hervorbringen, die deutlich mehr sind als Interessenverwalter. Das ist auch eine Generationenfrage, momentan sind das alles eher so Verwaltungskräfte.

Das sind hohe Erwartungen an die nächste Generation.

Ich glaube nicht an den linearen Verfall, sondern an das Bild der Kompensation und daran, dass Mangellagen immer auch wieder ihren Ausgleich hervorrufen und Anreize setzen, und dass es dann doch mit etwas mehr Kantigkeit, Klarheit und mehr Bereitschaft zum Konflikt in der Sache auch gelingt.

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