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Michael Hüther in der Böhme-Zeitung Interview 13. September 2017

„Zu viele ideologische Blockaden”

Vor der Bundestagswahl führt die Böhme-Zeitung, eine Lokalzeitung aus dem Heidekreis, Interviews mit führenden Experten zu den kommenden Herausforderungen für Deutschland. Einen Blick in die Zukunft Deutschlands als Industrie- und Wirtschaftsstandort wirft IW-Direktor Michael Hüther.

Wenn Sie heute einen Blick auf Deutschland in 20 Jahren werfen, haben Sie dann ein optimistisches, oder ein eher düsteres Bild vor Augen?

Wenn wir die Erfahrungen der letzten zehn Jahre über unsere Potenziale ernst nehmen, dann habe ich ein eher optimistisches Bild. Das heißt aber auch, dass wir in der kommenden Regierungsphase handeln müssen, und zwar insbesondere beim demographischen Übergang. Wir stehen vor der letzten Legislaturperiode, in der die demographische Entwicklung noch einigermaßen unproblematisch ist, denn wir haben weiterhin eine wachsende Bevölkerung, auch an Erwerbspersonen. Wir müssen aber dennoch nach vorne schauen, über diesen Buckel hinweg in das Jahr 2030, dann ist der letzte Renteneinstieg mit 67 durch und die Alterung verknappt das Erwerbspersonenpotenzial. Das würde Wachstum kosten. Deshalb müssen wir nun handeln und die Lebensarbeitszeit durch die Rente mit 70 sukzessive erhöhen. An die notwendige Veränderung müssen sich die Menschen aber anpassen können, deshalb muss das auch jetzt schon aufs Gleis gebracht werden. In anderen Dingen wie der Digitalisierung sind wir immerhin auf dem Weg.

Dafür scheint es bei der Infrastruktur gewaltig zu bröckeln?

Dass wir Investitionsbedarf haben und hier etwas liegen geblieben ist, ist offenkundig. Aber so dramatisch sehe ich das nicht, denn im internationalen Vergleich steht Deutschland hinsichtlich Infrastruktur und Rechtssicherheit noch immer an der Spitze. Das heißt nicht, dass wir nichts tun müssen, wir brauchen schon schlüssige Investitionspakete wie etwa bei der Bahn. Aber es relativiert die Dinge doch ein wenig. Ansonsten müssen wir im Bereich der öffentlichen Verwaltung die Kapazitäten und Prozesse in den Blick nehmen. Bei den Kooperationen mit Privaten erlebe ich zu viele ideologische Blockaden. Manches ginge schneller mit freilich klar-definierter öffentlich-privater Partnerschaft. Vor zwei Jahren haben wir den zusätzlichen jährlichen Investitionsbedarf für Energie, Breitbandausbau und Verkehr auf 12 Milliarden Euro beziffert und das für zehn Jahre. Da müsste man jetzt einen langfristigen Plan aufsetzen. Zudem halte ich es für wichtig, Ineffizienzen zu vermeiden, wie wir sie etwa in Regionalflughäfen verbaut haben, die nicht zukunftsfähig sind. Machte man aus dem Bundesverkehrswegeplan einen Bundesinfrastrukturplan, könnte man beim Trassenbau auch die Einbeziehung von Stromtrassen berücksichtigen.

Was uns direkt zur Energiewende und dem Erneuerbare-Energien-Gesetz bringt.

Die Subventionierung muss abgebaut werden. Die EEG-Umlage ist so nicht mehr tragbar, wir haben da ja schon einen hohen dreistelligen Milliarden-Betrag für die Zukunft festgelegt, der abgearbeitet werden muss, weil jeder seine Solarpanele auf dem Dach hat. Man hat ja anhand der ersten Auktionierungen gesehen, dass es ohne Subventionierung geht und sich auch Energiegenossenschaften erfolgreich beteiligen können. Hier muss mehr Markt reingebracht und die faktische Subventionierung runtergefahren werden.

Könnte ein Nachjustieren auch die AKW-Laufzeiten noch einmal nach hinten verschieben?

Da wird sich wohl nichts mehr tun. Wenn sich die Politik einmal richtig die Finger verbrannt hat, dann macht sie es nicht noch einmal. Zumindest mit dieser Kanzlerin werden wir das nicht erleben.

Wie belastend wirken sich die immer neuen Nachhaltigkeits-Vorstöße wie die aktuelle Dieseldebatte und die Quote für Elektro-Pkws aus?

Wir haben 45 Millionen Pkws in Deutschland, davon haben zurzeit weniger als 80.000 einen Elektroantrieb. Wenn wir aus dem Individualverkehr die Emissionen reduzieren wollen, gehört der natürlich Diesel dazu. Aber das Thema ist umfassender. Ein Risikoforscher hat so schön darauf hingewiesen, dass eine Kuh mehr Stickoxide absondert als ein Pkw, insofern muss man die Hysterie auch beiseite nehmen. Man kann nicht alle 45 Millionen Autos verbieten und damit eine E-Auto-Quote durchsetzen. Da muss man halt auch einmal sagen: Leute, eure Hysterie führt zu absurden Schlussfolgerungen. Auch die Entsorgung ist noch nicht geklärt. Wenn man bei der Elektromobilität die Fragen, wo der Strom herkommt, in welcher Qualität, wie die Versorgung mit ausreichend Ladestationen gesichert wird, ernstnehmen würde, gäbe es diese Quotendebatte nicht.

Das Thema Nachhaltigkeit fördert in gewisser Weise ja auch die Innovation wie bei der Energiewende, und das ist doch dann auch ein Standortvorteil?

Schon richtig, aber es muss auch zum Standort Deutschland passen. So sind die Solarpanele nichts Besonderes mehr. In dem Bereich haben wir Entwicklungspolitik für China gemacht, nicht für Deutschland. Man sollte aufhören, bestimmte Maßnahmen mit allen möglichen Nebenargumenten zu schmücken. Ist die Energiewende denn wirklich Innovationstreiber und führt zu Beschäftigung? Wenn Sie es mal richtig rechnen, dann arbeiten im Bereich der erneuerbaren Energien aus der Energiewende heraus nicht mehr Menschen als im Erzgebirgler Weihnachtsengel schnitzen. Das ist zwar zugespitzt, aber es zeigt, dass es sich um nachgelagerte Argumente handelt. Die Energiewende selbst ist schon deshalb übersteuert, weil sie vom Thema CO2 herkommt und das ist berechtigterweise in Europa über Zertifikate mit einem marktwirtschaftlichen Ansatz ausgestattet – da brauche ich keine zusätzliche Energiewende. Man könnte jetzt mit dem Argument der Dekarbonisierung noch an den Mineralölhandel mit Zertifikaten ran, was sich dann über die Spritpreise bemerkbar machen würde. Der Spritverbrauch hängt ja mit dem CO2-Ausstoß zusammen. Das wäre also nachvollziehbar. Wenn die Politik sagte, sie wolle die Energiewende, um von den Scheichs unabhängig zu werden, dann wäre das etwas anderes, aber dann brauche ich auch nicht mit Innovation und Arbeitsplätzen zu argumentieren.

Deutschland lebt von seinen Köpfen, welche Herausforderungen haben wir im Bildungssystem, wo muss nachjustiert werden?

Das Bildungssystem ist meines Erachtens in besserer Verfassung als zu Beginn des Jahrtausends. Auf die ersten Pisa-Ergebnisse ist ja reagiert worden. Man hat allerdings in der Umsetzung der Reformen die Konsequenz und auch die notwendigen Begleitungen vermissen lassen. Das gilt für G8/G9 wie auch für die Inklusion. Das sind alles Reformen, wo man keine angemessenen Finanzmittel bereitgestellt und nicht angemessen organisiert hat. Das schlimmste, was man in Deutschland vorfinden kann, ist zurzeit die Kultusbürokratie – man hat den Eindruck, da sitzen immer noch die Leute von 1968. Wir müssen aber auch sehen: Schule muss heute viel mehr von dem leisten, was früher ganz selbstverständlich im Familienverbund stattfand. Auch das zeigt, wir sind in einer Überdehnung dessen, was Schule kann – das gehört zur Wahrheit dazu.

Und an den Hochschulen?

Die Universitäten hatten – real betrachtet – noch nie so viel Geld wie heute, was sie nicht am Jammern hindert. Man ist zudem nicht vorbereitet auf Veränderungen. So waren alle ganz überrascht, als 2008 die langdiskutierte Bologna-Reform tatsächlich kam. Jetzt haben wir das neue System und müssen damit arbeiten, auch wenn ich das Bachelor- und Mastersystem für keinen Gewinn halte, denn es hat nicht wie angestrebt dazu geführt, dass die Bachelor-Absolventen frühzeitig in den Beruf gehen, sondern lieber den Master-Studiengang direkt anschließen, und das sind zehn statt acht Regelsemester – es dauert also länger als früher. Dabei müsste man beispielsweise den Diplom-Ingenieur gar nicht aufgeben, man könnte doch auch einen achtsemestrigen Bachelor machen und hat hinterher einen Diplom-Ingenieur. Es scheitert also immer an einer Umsetzung, die dazu beitrüge, dass man mit dem neuen System richtig gut arbeiten kann.

Krisen können Volkswirtschaften zurückwerfen. Eine Reihe von Ökonomen warnt gerade von einer Nobelpreisträgerkonferenz vom Bodensee aus vor dem nächsten Crash.

Eine solche Aussage halte ich für so richtig wie falsch. Selbstverständlich gehört zu ökonomischen Systemen, die nicht zentral gesteuert werden, die Krise dazu. Die Krise ist die Bereinigung eines natürlichen Stockens in innovationsgetriebenen ökonomischen Prozessen. Während hierarchische, also zentralwirtschaftliche Systeme wie die sozialistische Planwirtschaft regelmäßig implodieren, hat Marktwirtschaft immer auch mit dem Risiko der Krise zu tun. Da kann man zwar durch Lernprozesse und neue Kontrollmechanismen gegenhalten, aber gerade auf den Finanzmärkten haben wir zur Kenntnis zu nehmen, dass die Innovationskraft schneller ist als die Regulierungsfähigkeit. Deshalb braucht man ja auch eine starke Finanzaufsicht.

Haben wir bei der Fiskalpolitik noch eine offene Baustelle?

Wir haben in einigen Ländern bei der Finanzpolitik immer noch einen weiten Weg vor uns. Italien etwa ist nun einmal ein Krisenland und hier ist die Situation kritischer als bei den Griechen, wo die Anpassungen laufen. In der Währungsunion haben wir die entscheidenden Lektionen gelernt, nämlich dass es einer ergänzenden Bankenunion bedarf, nicht lediglich einer Fiskalunion. Es war wichtig, die Banken ein Stück weit wegzurücken von der Staatsfinanzierung.

Der Ökonometriker und Nobelpreisträger Daniel McFadden sagte, dass jene Ökonomien am besten abschneiden werden, die besonders freiheitlich aufgestellt seien. Kann Deutschland mit seinem Berg von Bürokratie, Quoten und Emmissionsregelungen hier künftig Probleme bekommen?

Die deutsche Wirtschaftspolitik ist – abgesehen von der Energiepolitik – in vielen Bereichen weniger interventionistisch als die französische oder jene in den USA. Freiheit ist schon richtig, aber man braucht auch einen gesellschaftlichen Ausgleich, eine balancierte Gesellschaft. Deutschland ist hinsichtlich der Einkommensverteilung deutlich ausbalancierter als die britische, die französische und die amerikanische Volkswirtschaft und erst recht als die chinesische. Wenn es also darum ginge, müssten wir ganz düstere Aussagen über China machen. Deutschland ist also im Prinzip für die Zukunft gut aufgestellt, wenn man ein paar Übertreibungen mal rausnimmt, wie im Energiebereich.

Müssen wir da denn noch nachjustieren?

Wir haben doch schon einen Sozialhaushalt, der 30 Prozent des Bruttoinlandsprodukts einmal umwälzt und seit 2005 eine Stabilisierung aller Verteilungsindikatoren, zudem den Höchststand der Beschäftigung bei stabilem Anteil des Normalarbeitsverhältnisses Wo soll da noch Handlungsbedarf sein? Nein, wir müssen uns jetzt die konkreten Problemzonen im Einzelnen ansehen, bei Langzeitarbeitslosen im Hartz IV-Bereich. Aber im Großen müssen wir vorausblickend vor allem in Bereichen wie dem Bildungssystem handeln.

Die Digitalisierung verändert ja bereits unsere Arbeits- und Ausbildungswelt, so werden Kfz-Mechaniker kaum noch ausgebildet, sondern Kfz-Mechatroniker. Was wird sich da noch tun in den kommenden 20 Jahren?

Einerseits haben wir durch das duale Ausbildungssystem ein Element hoher Flexibilität geschaffen, die Ausbildung passt sich im praktischen Bereich dem Bedarf an. Das haben andere Volkswirtschaften nicht. Wer sich nur zwischen Studium und ungelernter Arbeit bewegt, ist weniger flexibel, das sieht man an den USA, die ganze Bevölkerungsgruppen, etwa den klassischen Fließbandarbeiter nicht mitnehmen können in die technologische Zukunft von Arbeit und Produktion. In der digitalisierten Industrie sind wir in Deutschland also ganz gut aufgestellt.

Was sind zusammenfassend also unsere größten Chancen und Risiken für die kommenden Dekaden?

Das größte Risiko liegt, abgesehen von möglichen politischen Krisen, darin, dass wir das verplempern, was wir uns bereits erarbeitet haben, nämlich eine entwicklungsfähige, wettbewerbsfähige Wirtschaft mit hoher Beschäftigung und geringen Abstiegsängsten. Das sollten wir nicht durch Übermut oder Bequemlichkeit gefährden. Wenn wir wieder eine Regierung bekommen wie die letzte, die dann erst die Rente mit 63 und dann die Mütterrente will sowei den Breitbandausbau versemmelt, dann wäre das kein guter Start. Die Chancen liegen eigentlich darin, dass wir zurzeit die besten Aussichten haben, die wir eben nicht gefährden dürfen.

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