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IW-Direktor Michael Hüther
Michael Hüther in der Rheinpfalz am Sonntag Interview 9. November 2020

„Viele Geschäftsmodelle werden den zweiten Lockdown nicht überleben”

IW-Direktor Michael Hüther warnt in einem Interview mit der Rheinpfalz vor schweren Schäden für Wirtschaft und Gesellschaft. Wir müssen lernen, mit dem Virus zu leben.

Herr Hüther, Sie haben in den Tagen vor der Entscheidung für den  Teillockdown  vor nachhaltigen Wohlstandseinbußen gewarnt. Sie dürften nicht glücklich sein, dass  die Gastronomie und kulturelle Einrichtungen nun erneut dicht machen mussten.

Nun, die Entscheidung ist eine politische, der meiner Ansicht nach der Blick über den Tag hinaus fehlt. Der neuerliche Lockdown trifft Bereiche, die seit Beginn der Pandemie weit entfernt sind vom Normalbetrieb. Für viele der betroffenen Unternehmen und Selbstständigen war der erste Lockdown schon heftig. Und dieser ganze konsumnahe Sektor hat sich  über den Sommer auch nicht vollständig erholt. Deshalb muss man davon ausgehen, dass viele Geschäftsmodelle schlichtweg nicht überleben werden.

Die von der Bundesregierung versprochenen finanziellen Hilfen ändern daran auch nichts?

Diese  Zuschüsse sind sicherlich wirksam, aber unhandlich. Vor allem aber kann der Staat nicht ewig Einnahmeausfälle erstatten. Denn dass im Dezember wieder alles gut  ist, davon ist nicht auszugehen.  Stattdessen wäre eine Negativsteuer für Unternehmen  sinnvoll, also eine rückwirkende Erstattung gezahlter Einkommens- und Körperschaftssteuer früherer Jahre. Die Rückzahlungen über monatliche Erstattungen würde so zeitnah Geld in die Kassen der Betriebe spülen. Dies könnte von den Finanzbehörden auch schnell und einfach umgesetzt werden.

Wir wissen alle nicht, was noch kommt. Ist die Industrie, anders als die jetzt betroffenen Bereiche der Wirtschaft, gefeit, wenn es zu weiteren Verschärfungen käme und diese sich auch länger hinzögen?

Genau das soll mit dem Teillockdown ja verhindert werden. Neben der Hoffnung, die Anzahl der Neuinfektionen wieder reduzieren zu können, geht es bei den aktuellen Einschränkungen auch darum, die Wirtschaft ansonsten am Laufen zu halten.  Und dafür ist es eben notwendig, dass die Grenzen offen bleiben und die Lieferketten funktionieren können. Daneben müssen die Schulen und Kitas geöffnet bleiben, auch damit die Eltern, also die Beschäftigten, einsatzfähig sind.

Sie haben gerade auch von funktionierenden Lieferketten gesprochen. Zu Beginn der Pandemie gab es da doch erhebliche Probleme. Inwieweit sind hier Lehren daraus gezogen worden, um weniger von fragilen Strukturen abhängig zu sein?

Das Gros der deutschen Unternehmen war  auch schon vor der Krise so aufgestellt, dass Engpässe an einer Stelle an einer anderen kompensiert werden konnten. Das ist gut und richtig so. Probleme hatten wir zu Beginn der Pandemie vor allem da, wo es Spezialisierungen gab, etwa bei der Produktion von Masken oder auch bei einzelnen Bestandteilen für die pharmazeutische Industrie. Und wie bei der Umstellung in diesen Fällen, hat die Industrie auch in vielerlei anderer Hinsicht bewiesen, dass sie sich in der  gegebenen Situation anzupassen vermag, dass sie Engpässe oder Ausfälle relativ gut kompensieren kann. Derzeit hören wir nichts von Lieferschwierigkeiten, die zu Produktionsverzögerungen führen.

Kann man sagen, dass es jetzt  einen Riss durch die deutsche Wirtschaft gibt? Auf der einen Seite die, die vom zweiten Lockdown wieder betroffen sind, auf der anderen die, die weitermachen können.

Ich will nicht sagen, dass es einen Riss gibt. Aber ein großes Problem ist das natürlich schon. Die Schließung der Gastronomie, der Hotels und der kulturellen Einrichtungen wirkt sich ja auch auf weitere Branchen aus. Weil es keine Veranstaltungen gibt, ist etwa der gesamte Messebau betroffen, und  auch der Einzelhandel in den Innenstädten, der mit der Gastronomie und kulturellen Events normalerweise eine Symbiose eingeht, und der sowieso schon länger mit gravierenden Problemen und der Konkurrenz im Internet zu kämpfen hat. Da treffen die Pandemie und der Lockdown jetzt auf sowieso schon angeschlagene Strukturen. Aber auch etliche andere Branchen der Wirtschaft werden unter dem Lockdown leiden, wenn auch nicht so unmittelbar wie die direkt betroffenen. Nach  sehr ordentlichen Zahlen im dritten Quartal haben wir  im Oktober bereits wieder erleben müssen, dass der Schwung sowohl bei der Auslandsnachfrage als auch beim Konsum im Inland spürbar nachlässt. Und das dürfte sich zunächst einmal so fortsetzen.

Was hätten Sie anstelle eines Teillockdowns, den Sie nicht gutheißen, denn lieber gesehen?

Nun, die Politik hat sich in einem eindimensionalen, nicht erfüllbaren Sicherheitsversprechen verfangen. Den Bürgern wird das Bild vermittelt, der Staat wisse, wie man Sicherheit schaffen kann. Und man müsse bloß auf dessen Ratschläge hören. Tatsächlich gibt es diese Sicherheit aber nicht. Wenn ich eingangs sagte, es fehle der Blick über den Tag hinaus, meine ich damit, dass man auch erkennen muss, dass dauerhaft ein immenser Schaden entsteht, wenn perspektivisch keine Rückkehr zu einem weitgehend normalen Leben zu erkennen ist. Und dieser Schaden betrifft nicht allein die Wirtschaft.

Was würden Sie also lieber sehen?

Dass wir uns in dieser Krise alle so verhalten wie in anderen schwierigen Situationen auch. Das heißt, jeder einzelne muss  etwas tun, sich der Situation entsprechend verantwortlich verhalten.   Und es muss auch klar sein, dass nicht alle Schäden vermieden oder kompensiert werden können. Der Staat ist nicht allmächtig. Im Moment hat der Schutz des Lebens oberste Priorität, aber wir müssen uns auch der Aufgabe stellen, dieses Grundrecht mit dem der Aussicht auf eine gedeihliche Entfaltung des eigenen Lebens in selbstbestimmter Weise abzuwägen. Wenn wir diese Debatte nicht führen, bestehen die Möglichkeiten des Handelns in nächster Zeit allein in unterschiedlichen Härtegraden des Herunterfahrens von öffentlichem Leben und   Wirtschaft.

Hat die Krise denn auch etwas Positives für die Wirtschaft gebracht? Als ein Beispiel wird gerne der Digitalisierungsschub genannt.

Sicher, da ist einiges passiert. Aber in vielen Bereichen hinken wir mit der Digitalisierung weiter zurück. Das Homeoffice funktioniert ganz gut, aber im Gesundheitssystem oder auch an den Schulen ist es in den vergangenen sechs Monaten nicht gelungen, die Digitalisierung voranzubringen.  Auch die Kommunen brauchen ewig. Sicher kann man nicht erwarten, dass binnen kurzer Zeit alle Lücken in der Infrastruktur geschlossen werden, aber man hätte nach dem ersten Lockdown genau diese Schwerpunkte, Gesundheitswesen und Schulen, setzen müssen. Stattdessen erleben wir jetzt, dass die Gesundheitsämter wieder schnell an ihre Grenzen gelangen. Das übrigens auch, weil bei der Corona-App nicht mutig und stringent genug agiert worden ist. Da wäre ein weitergehendes Tracking und die Pflicht, positive Testergebnisse einzupflegen, angeraten und den Datenschutz in diesem besonderen Fall hintanzustellen.

Wird sich infolge der Pandemieerfahrungen die Wirtschaft künftig vielleicht etwas mäßigen, anstatt immer nur auf Wachstum zu setzen?

Die Gesellschaft bedarf auch in Zukunft einer wachsenden Wirtschaft wollen. Die Frage ist aber, wie das Wachstum orientiert und bewerkstelligt wird. Da geht es dann um qualitative Veränderungen und Nachhaltigkeit. Wirtschaftliches Wachstums hat uns allen in den zurückliegenden Jahrzehnten eine gute Zeit beschert, wie es sie so zuvor noch nie gegeben hat. Das ist  schon ein Leitbild, darauf können wir aufbauen, nur halt nachhaltig.

Wie stehen Sie zu der Forderung von Arbeitsminister Heil, dass die Unternehmen ihre Mitarbeiter möglichst alle ins Homeoffice schicken sollen? Ist das Ihrer Meinung nach so umsetzbar?

In den Beschlüssen zum zweiten Lockdown heißt es explizit, dass die Industrie, Handwerk etc. unverändert arbeitsfähig sein sollen. Soweit möglich sollen dabei Beschäftige aus dem Homeoffice arbeiten. Das findet statt und hilft Kontakte zu vermindern. Ein Recht auf Homeoffice wäre allerdings verfehlt, da dafür die Produktionsbedingungen viel zu unterschiedlich sind.

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