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(© Foto: damircudic/iStock)
Michael Hüther auf Spiegel Online Interview 15. April 2017

„Verheerend für das Investitionsklima”

Was kommt nach dem Türkei-Referendum? Diese Frage beschäftigt auch deutsche Investoren. IW-Direktor Michael Hüther befürchtet nachhaltige Schäden für alle Beteiligten, wie er im Interview mit Spiegel Online erklärt.

55 Millionen Türken sind zur Abstimmung über das Referendum aufgerufen, es geht um die Demokratie. Kann Staatschef Recep Tayyip Erdogan seine schon heute große Macht durch die Einführung eines Präsidialsystems noch weiter ausbauen? Wie wenig Erdogan sich für rechtsstaatliche Prinzipien interessiert, hat er gerade mit seiner Aussage belegt, der inhaftierte deutsch-türkische Journalist Deniz Yücel werde auf keinen Fall in seiner Amtszeit freikommen.

Erdogans Aufstieg war eng mit dem wirtschaftlichen Erfolg der Türkei verbunden, für die Wachstumsraten von neun Prozent zeitweise zur Normalität gehörten. Zwar wächst die Türkei mit verringertem Tempo auch weiterhin. Doch schon der Putschversuch im vergangenen Jahr war ein schwerer Schlag für Branchen wie den Tourismus.

Im Interview betont Michael Hüther, Chef des unternehmensnahen Instituts der Deutschen Wirtschaft (IW), dass viele Probleme der türkischen Wirtschaft schon vor dem Referendum enorm waren. Danach könnten jedoch noch mehr Investoren verschreckt werden.

Herr Hüther, am Sonntag fällt in der Türkei die Entscheidung über die Einführung des Präsidialsystems. Müssen deutsche Unternehmen deswegen besorgt sein?

Noch ist ja nicht abzusehen, wie die Abstimmung ausgeht. Eine klare Mehrheit zeichnet sich weder für ein Ja noch für ein Nein ab. Für die deutsche Wirtschaft insgesamt wären die Auswirkungen, wenn überhaupt, von eher untergeordneter Bedeutung. Dafür ist der Anteil der Türkei am Handelsvolumen zu gering.

Das Handelsvolumen lag im vergangenen Jahr immerhin bei 37 Milliarden Euro. Fast 7000 deutsche Firmen sind in der Türkei aktiv.

Sie alle dürften sich aber mehr für Probleme der türkischen Wirtschaftspolitik interessieren als für den Machtumfang von Recep Tayyip Erdogan. Faktoren wie die Inflation, die seit Jahren zwischen 7,5 und 8,5 Prozent liegt, die anhaltend hohe Arbeitslosigkeit von zehn Prozent, die negative Handelsbilanz und der Rückgang der Investitionen sind viel alarmierender. Doch es gibt auch eine Verunsicherung, die durch die Äußerungen führender Politiker in den vergangenen zwei Jahren entstanden ist. Und die dürfte mit der Auszählung der Stimmen nicht verschwinden.

Warum?

Es ist ja noch nicht klar, welche Macht nach dem Referendum das Parlament haben wird und welche der Präsident. Derart schwer berechenbare Verhältnisse ziehen Investoren nicht gerade an.

In der Türkei gibt es Unternehmer, die darauf hoffen, Erdogan möge Erfolg haben, allein weil damit klare Verhältnisse entstehen.

Die wirtschaftlichen Probleme der Türkei werden nicht über Nacht verschwinden. Es ist vielmehr zu befürchten, dass Erdogan unter dem Druck, rasche Erfolge vorzuweisen, Entscheidungen trifft, die vielleicht kurzfristig etwas bewirken, langfristig jedoch eher schaden.

Erdogan hat nach dem Putsch etwa 800 Firmen im Wert von zehn Milliarden Dollar beschlagnahmen lassen. Was bedeutet das für deutsche Unternehmen?

Ob deutsche Firmen direkt von den Maßnahmen betroffen waren, weiß ich nicht. Allgemein lässt sich sagen, dass die Enteignungen sich verheerend auf das Investitionsklima ausgewirkt haben und noch auswirken werden. Davon sind deutsche Unternehmen betroffen, wenn sie in der Türkei engagiert sind. Gleichzeitig sind sie aber auch Akteure, die ihr Kapital abziehen, um es dort zu investieren, wo es ihnen sicherer erscheint.

Viele Experten fordern auch von Seiten der EU eine deutliche Reaktion. Etwa den Abbruch der Beitrittsverhandlungen und der Zollunion, oder die Einstellung der Milliardenhilfen. Das würde den Warenaustausch mit der Türkei wesentlich erschweren, oder?

Die Frage wäre, was denn der Hintergrund einer solchen Entscheidung wäre. Ein EU-Beitritt der Türkei ist faktisch ohnehin in weite Ferne gerückt, denn in bestimmten Punkten werden die Verhandlungen zwischen Brüssel und Ankara unter den gegebenen Umständen auf der Stelle treten. Deshalb wäre eine Art Strafmaßnahme durch die EU unsinnig und sogar kontraproduktiv. Der am ehesten wirksame Hebel wäre wohl, die Anpassungshilfen infrage zu stellen.

Inwieweit beeinflusst es die Geschäfte, wenn die Vertragspartner plötzlich in einem Staat leben, wo Freiheitsrechte und eine unabhängige Justiz bedroht sind?

Wenn dadurch die Vertragstreue der Geschäftspartner infrage gestellt wird, werden die Unternehmen natürlich in Mitleidenschaft gezogen - ganz gleich, ob die Partner selbst vertragsbrüchig werden oder durch administrative Rahmenbedingungen dazu gezwungen sind. Solange Rechtssicherheit herrscht, ist eine Grundlage für Handel und Investitionen gegeben. Das funktioniert ja auch in China.

Moralische Kriterien spielen also keine Rolle?

Die Moralisierung der Märkte findet über die Konsumenten im eigenen Land statt. Und über die Investoren, die darauf achten, was mit ihrem Geld geschieht. Aber für Geschäfte gelten andere Kriterien: Der Einsatz darf schlicht nicht verlorengehen. Im Übrigen halte ich Schwarz-Weiß-Malerei für unangebracht. Die Türkei ist bereits ohne Präsidialsystem keine lupenreine Demokratie, sie wird aber damit auch keine unbestreitbare Diktatur.

Das politische Ringen in der Türkei hat zu massiven Zuspitzungen geführt: Da wurden Deutsche mit Nazis verglichen und Kreditgeber mit Terroristen. Könnte das das Geschäftsklima nachhaltig stören oder glätten sich die Wogen schnell wieder?

Entscheidend ist am Ende, wie die Wirtschaftspolitik gestaltet wird. Im Verhältnis zwischen Geschäftspartnern zählt zuerst das gegenseitige Vertrauen. Reine Kampfrhetorik der Politik bleibt außen vor.

Zum Interview auf spiegel.de

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