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IW-Direktor Michael Hüther
Michael Hüther auf Spiegel Online Interview 16. Januar 2019

„Unternehmer, setzt Eure Notfallpläne um!”

Ein harter Brexit ist kaum noch abzuwenden, sagt der IW-Ökonom Michael Hüther im Interview mit Spiegel Online. Daran werden auch neue Verhandlungen nichts ändern. Die deutsche Wirtschaft muss sich darauf einstellen.

Der Brexit-Deal von Theresa May ist im britischen Parlament klar gescheitert. Worauf muss sich die deutsche Wirtschaft jetzt einstellen?

Ich kann den Unternehmen nur raten: Stellt Euch auf einen harten Brexit ein, löst die Notfallpläne aus! Es gibt in der britischen Politik ja überhaupt keine Mehrheit mehr für eine bestimmte Option, sondern nur negative Mehrheiten: gegen den ausgehandelten Deal, gegen einen EU-Austritt ohne Deal, gegen ein zweites Referendum. Auch die Europäer haben klargemacht, dass es nicht mehr viel zu verhandeln gibt.

Sie sind deutlich pessimistischer als viele andere deutsche Ökonomen, die darauf verweisen, dass das britische Parlament einen harten Brexit in jedem Fall verhindern möchte.

Die Geschichte zeigt: Häufig sind Dinge geschehen, obwohl niemand sie wollte. Ich fühle mich an das Buch "Die Schlafwandler" von Christopher Clarke erinnert, der beschreibt, wie die europäischen Mächte in den Ersten Weltkrieg getaumelt sind. Was soll die EU denn tun? Mit May jetzt noch viele Wochen verhandeln, obwohl das britische Parlament völlig unberechenbar ist? Selbst wenn es zu einem Regierungswechsel käme: Auch die Labour-Partei und ihr Chef Jeremy Corbyn wissen nicht, was sie wollen. Ob es nun am Ende doch noch wie durch ein Wunder zu einem Deal kommt oder nicht: Als Unternehmer müssen Sie jetzt die Notfallpläne ziehen.

Clemens Fuest, Chef des Ifo-Instituts, fordert vehement neue Verhandlungen, weil ein harter Brexit unbedingt vermieden werden müsse. Und Ifo-Ökonom Gabriel Felbermayr appelliert sogar an die EU, das Prinzip der vier Freiheiten für den Binnenmarkt zu brechen - konkret also die Personenfreizügigkeit aufzugeben.

Wenn überhaupt, hätte das bereits in der zwei Jahre langen Verhandlungsphase geschehen müssen, aber nicht in dieser Drucksituation. Bei der Brexit-Debatte muss man als politischer Ökonom argumentieren, ökonomisches Wunschdenken hilft da nicht. Und: Die Staaten der EU haben sich diese vier Freiheiten - beim Verkehr von Waren, Dienstleistungen, Kapital und Personen - bewusst gegeben, aufgrund der historischen Erfahrungen. Diese nun in einer Nacht- und Nebelaktion einfach aufzugeben, geht an die Grundfesten der europäischen Integration. Im Übrigen: Worüber soll denn jetzt noch verhandelt werden? Die EU als Ganzes müsste ihre Position der vergangenen zwei Jahre revidieren. Ein Gewinn an Glaubwürdigkeit wäre das nicht. Wir müssen einfach irgendwann akzeptieren: Wenn die Briten austreten wollen, wollen sie eben austreten.

Welcher Schaden droht der deutschen Wirtschaft durch einen harten Brexit?

Er trägt zu der bereits prognostizierten Konjunkturabkühlung bei, die aber auch durch den Protektionismus von Donald Trump, den Handelsstreitigkeiten und der wirtschaftlichen Schwäche Chinas verursacht wird - diese Dinge sind insgesamt bedeutsamer. Wie es einzelne Unternehmen treffen wird, hängt stark von der Branche ab. Die Autobranche etwa ist zwar stark durch Zölle und drohende Lieferverzögerungen durch Grenzkontrollen betroffen. Sie wird damit aber umgehen können. Schwieriger ist das etwa in der Chemiebranche: Hier könnten Produkt-Zertifizierungen nach der EU-Chemikalienverordnung für den Import in die EU von einen Tag auf den anderen ungültig werden. Wenn ein deutscher Konzern nun eine Fabrik in Großbritannien hat, deren Produkte er in der EU weiterverarbeitet, hat er ein großes Problem.

Wie gut sind deutsche Unternehmen auf einen harten Brexit vorbereitet?

Alle Großunternehmen haben für ihre Lieferketten - und damit also auch für die mittelständischen Zulieferbetriebe - durchdeklinierte Notfallpläne, alles andere wäre ja fahrlässig. Das gilt auch für die Banken. Allerdings haben sie diese Pläne aus guten Gründen bisher nicht öffentlich gemacht. Es ist also unklar, wie die Unternehmen im Einzelnen agieren werden.

Laut Umfrage Ihres Instituts haben aber selbst viele Unternehmen, die nach Großbritannien exportieren, noch nicht vorgesorgt.

Wer ausschließlich nach Großbritannien exportiert, hat überschaubare Probleme. Dann erhöhen sich durch Zölle in der Regel nur die Preise, die die Briten zahlen müssen. 60 Prozent der deutschen Exporteure rechnen nicht mit signifikanten Effekten, nur drei Prozent befürchten spürbare Einschnitte.

Verstehen wir Sie richtig? Ein harter Brexit wäre zwar höchst bedauerlich, zumindest ökonomisch aber eigentlich nur für die Briten ein großes Problem?

Selbstverständlich wird ein harter Brexit Konsequenzen für den Standort Großbritannien haben und damit auch für britische Arbeitsplätze. Aber um ehrlich zu sein, ist das nicht das größte Problem der Briten. Das besteht nämlich darin, die Spaltung der Gesellschaft irgendwie wieder zu heilen. Die eine Hälfte wird der anderen Hälfte vorwerfen, ihr diesen Mist eingebrockt zu haben. Und die Führungsfiguren dieser anderen Hälfte - Boris Johnson, Nigel Farage - haben noch nicht mal einen Plan für ihren Brexit. Die sind ja auch jetzt alle im Gebüsch. Meine Prognose ist: Eine Versöhnung der britischen Gesellschaft ist kurzfristig schlicht unmöglich. Das erschwert heute politische Lösungen. Deshalb bringt ein Uhrenanhalten oder ein Verschieben auch wenig. Ein zweites Referendum würde deshalb ebenfalls nicht helfen, es erscheint zunehmend naiv darauf zu setzen - aus demokratiepraktischen Gründen, aber vor allem wegen der tiefen gesellschaftlichen Spaltung.

Zum Interview auf Spiegel Online.

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