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Michael Hüther im SWR Interview 18. Dezember 2013

"Pläne zu Lasten der künftigen Generationen"

Der Direktor des Instituts der deutschen Wirtschaft Köln, Michael Hüther, kritisiert im Interview mit dem Südwestrundfunk die Pläne der Großen Koalition. Sie gingen „eindeutig zu Lasten der künftigen Generation.“ Anstatt die mutige Reformpolitik der Agenda 2010 fortzusetzen würden die Reformen „rück-abgedreht.“ Die vorgesehenen Mehrausgaben bei der Rente seien „eine völlig ungedeckte Rechnung“. Die Einführung eines Mindestlohns hält Hüther ebenfalls für falsch.

Herr Hüther, Sie haben den Koalitionsvertrag von Union und SPD scharf kritisiert, Sie sagen, grob zusammengefasst, das ist ein Vertrag der verpassten Chancen. Wie würde es denn besser gehen, welche Schwerpunkte müsste eine große Koalition Ihrer Meinung nach setzen?

Schwerpunkte sollte man dort setzen, wo man erkennt, dass etwas funktioniert hat. Die Koalition schreibt ja selbst in der Präambel, dass sich Deutschland in den letzten Jahren gut entwickelt hat, besser als alle anderen. Das noch nie so viele Menschen im Arbeitsmarkt integriert waren, dass aber immer noch hinreichend viele außenvorstehen. Das heißt, die Aufgabe besteht darin, diese zu integrieren. Und wenn gleichzeitig gilt, dass dieses in den letzten Jahren in Deutschland besser gelungen ist, muss man fragen, was hat dazu beigetragen. Es war eine Reformpolitik, die mutig war: die Agenda 2010. Danach folgend die Rente mit 67, der ganze Bereich der Sozial- und Arbeitsmarktpolitik. Auf der anderen Seite ein Lohnpolitik, die seit 1997 von beiden Sozialpartnern vernünftig auf Beschäftigungsorientierung eingerichtet war und schließlich Unternehmen, die im internationalen Wettbewerb ihre Chancen gesucht haben, um dann hier Beschäftigung und Arbeit und Einkommen zu ermöglichen. Für diesen Dreiklang finde ich in diesem Koalitionsvertrag nichts - die Reformen werden eher rückabgedreht. Es ist in der Summe ein Koalitionsvertrag, der die Vergangenheit prämiiert, der Gegenwartskonsum ermöglicht, aber keine Zukunftsinvestitionen. Er geht eindeutig zu Lasten der künftigen Generation.

Schauen wir noch einmal kurz auf die Rentenpolitik. Die viel kritisierte Mütterrente soll die Leistungen für ältere Mütter an die für jüngere Mütter zumindest annähern – das ist ja im Prinzip ein Schritt in die richtige Richtung.

Die Mütterrente kann man ja noch als wünschbar beschreiben. Aber auch hier ist das Argument, das angeführt wird, nicht wirklich überzeugend. Die jetzige Regelung, 1992 beginnend, hat zu tun mit der damaligen Rentenreform, die den Jüngeren, den künftigen Rentenbeziehern, vor allen Dingen Rentenkürzungen verursacht hat. Das war die einzige ausgleichende Maßnahme, die in einem Umlageverfahren auch berechtigt ist. Es gibt aber keinerlei Gerechtigkeitsdefizite zu den Älteren, denn die mussten auch diese Rentenkürzungen, die 1992 beschlossen wurden, nicht entsprechend tragen. Insgesamt muss man sehen, dass diese gesamten Maßnahmen – Mütterrente, Lebensleistungsrente, Rente mit 63, Angleichung Ost-West-Renten – Nettokosten von 12 Milliarden Euro im Jahr 2030 begründen und damit dann auch einen Beitragssatz von 23 Prozent. Nach Gesetzeslage darf er aber 22 Prozent nicht übersteigen. Was also tun? Im Koalitionsvertrag gibt es dazu keine Antwort – eine völlig ungedeckte Rechnung.

Das Thema Mindestlohn wird weiter heiß diskutiert. Die Mehrheit der Deutschen wünscht sich einen Mindestlohn – die Mehrheit der Wirtschaftswissenschaftler warnt aber davor, dass Arbeitsplätze verloren gehen könnten bzw. werden. Wenn es so kommt, hätten wir einige Arbeitnehmer, die mehr Geld verdienen, und einige, die weniger verdienen, nämlich gar nichts mehr. Macht das volkswirtschaftlich Sinn oder ist das riskant?

Auch hier gilt aus dem zu lernen, was in den letzten Jahren in Deutschland gelungen ist, nämlich vor allen Dingen die Einstiegsmöglichkeiten für Personen mit Hindernissen, mit Hemmnissen, mit schwieriger Erwerbs- und Bildungsbiografie zu verringern und ihnen einen Einstieg in den Arbeitsmarkt zu ermöglichen. Man muss sehen, jemand der lange aus dem Arbeitsmarkt heraus war, der vielleicht keine Ausbildung hat, der wird nicht mit dem Einkommen einsteigen können, was man sich gerne wünscht. Das wird jetzt verändert, die Einstiegshürde wird erhöht. Statt zu fragen, was kann denn getan werden, um diese Brücke breiter und stabiler zu machen und vor allen Dingen, daran anschließend die Aufstiegsperspektiven zu erhöhen, das sind ja die eigentlichen zentralen Fragen, die uns drücken. Dieses Mindestlohnthema ist im Grunde zu einem Symbol für Parteipositionierung geworden – vorbei an irgendwelcher realen Betrachtung der Situation. Denn die 8,50 Euro fallen vom Himmel, die werden jetzt zur Heiligkeit erklärt, müssen kommen, ohne dass man fragt, was heißt das wirklich. Es wird Beschäftigungsverluste geben – insgesamt bedeutet es aber auch eine Infragestellung der Tarifautonomie, weil natürlich den Tarifverhandlungspartnern für ein Jahr durch das Ergebnis dieser Mindestlohnkommission eigentlich ein Lohnerhöhungsspielraum vorgenannt wird. Also man merkt eigentlich schon, in der Umsetzung wird es dann sehr unhandlich und man sieht, es passt gar nicht so einfach, wie alle denken, ins deutsche System. Wir sind nicht Großbritannien, wir haben eine funktionierende Tarifautonomie, wir haben kooperative Sozialpartner, die lösen das im Prinzip. Man muss fragen, was will man hier? Das passt nicht wirklich.

Aber, wir haben natürlich nicht überall funktionierende Tarifverträge. Ist es für eine Gesellschaft akzeptabel, Menschen zu haben, die für sehr, sehr wenig Geld hart arbeiten. Und ist es für eine Gesellschaft akzeptabel, wenn Unternehmen diese Regelung – früher Kombilohn, jetzt Aufstocker – bewusst ausnutzen?

Man kann ja auch eine Gegenfrage stellen: Ist es für eine Gesellschaft akzeptabel, wenn diese Personen alle arbeitslos sind? Es wird immer so getan, als gäbe es einen Vergleich zwischen dieser Beschäftigung und einer viel besser bezahlten anderen Beschäftigung für diese Personen. Dann hätten sie diese Beschäftigung. Natürlich gibt es immer auch Mißbrauchserscheinungen. Das mag so sein. Aber wir haben gar keinen Hinweis darauf, dass es flächendeckend so ist. Wir reden über eine Situation der Aufstocker, für die das wirklich relevant ist, die alleinstehenden Personen. Bei Familien sind Sie dann sehr viel schneller bei höheren impliziten Mindestlöhnen, die bei 10, 11 Euro liegen. Bei den Alleinstehenden sind das unter einem halben Prozentpunkt oder noch weniger. Es ist also im Grunde von der Quantität her nicht wirklich bedeutend. Gleichermaßen gilt, nur 18 Prozent der Personen, die einen Stundenlohn unter 8,50 Euro haben, sind armutsgefährdet. Dafür gibt es aber Systeme, die das entsprechend in den Griff nehmen. Sie müssten vielen anderen, die dann in der Summe darunterfallen, natürlich auch, um sie aus der Unterstützung des Arbeitslosengeldes II herauszunehmen, eine Mindestarbeitszeit aufdrücken. Denn wenn einer 8,50 Euro oder 10 Euro verdient, hat aber nur 15 Stunden, dann hat er trotzdem möglicherweise einen Anspruch auf Arbeitslosengeld II. Insofern ist das Aufstockerthema aus meiner Sicht völlig überbetont und wird in einer Weise diskutiert, wie es der Realität nicht Rechnung trägt.

Wird das Ihrer Meinung nach zum Ende dieses „deutschen Jobwunders“ führen?

Das deutsche Jobwunder ist ja vor allen Dingen eines, was sich aus dem Geschäftsmodell erklärt. Geschäftsmodell heißt, Industrie mit Dienstleistung kombiniert sind erfolgreich auf den internationalen Märkten. Und in den letzten Jahren, das gilt auch seit 2005, ist der Anteil der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten angestiegen. Wir hatten früher über Jahrzehnte einen Rückgang dieses Anteils. Das zeigt also: Der Arbeitsmarkt funktioniert. Wen trifft das jetzt? Diese Mindestlohnregelung wird am Ende nicht die Industrie beschweren, wird auch nicht die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft beschweren. Sie nimmt aber Menschen Beschäftigungschancen, die sie sonst hätten. Das ist das, was mich betrübt, da wird so drüber hinweg gegangen mit einem einfach gesetzten Betrag. Man wird ja sehen, wie es am Ende ausbuchstabiert wird im Gesetz. Im Koalitionsvertrag stehen ja so kryptische Hinweise, das wird dann unter Berücksichtigung der Einsichten der Sozialpartner und der Betroffenen diskutiert. Man ist noch nicht einmal in der Lage gewesen, das Thema der Auszubildenden und der Praktikanten endlich zu klären. Keiner weiß, sind die jetzt drin oder sind die jetzt nicht drin. Die Kundigen, die da im Umfeld der Verhandlungen waren und sich heute als Deuter des Koalitionsvertrages verstehen, sagen, nein, nein, die bleiben außen vor. Aber es steht nirgends. Niemand kann sich darauf verlassen, man wird sehen, was das Arbeitsministerium, das den Gesetzentwurf schreiben muss, da hineinschreibt. Das wäre eine ziemlich interessante Überraschung, wenn dann die Praktikanten wieder drin wären. Denn dann würden freiwillige Praktikumsplätze kaum noch angeboten.

Schauen wir bitte kurz auf die Eurokrise. Sie war in den letzten Wochen und Monaten nicht mehr so häufig in den Schlagzeilen. Wie weit sind wir, insgesamt gesehen, bei der Lösung dieses Problems?

Wir sind in zwei Themen weit nach vorne gekommen. Das gilt einmal für die Bildung neuer Institutionen und Regeln in Europa für die Finanzpolitik. Das Stichwort „Fiskalunion“ ist im Grunde institutionell neu aufgesetzt - Stichwort „europäisches Semester“, „Fiskalvertrag“, „ESM“, die stärker verpflichtenden Maastrichter Kriterien über Two-Pack und Six-Pack, wie alle diese Regelwerke heißen. Da ist meine Einschätzung, dass wir für den Rahmen der Finanzpolitik das möglich gemacht haben, was sich im Rahmen der nationalen Verfassung als möglich erweist. Das muss jetzt angewendet und gelernt werden.

Das Zweite ist: Die realwirtschaftliche Anpassung in den Volkswirtschaften und die dortige Konsolidierungsleistung. Auch hier erkennen wir in Portugal, Spanien und Irland schon eine deutliche Verbesserung. Im Laufe des Jahres 2013, in den Quartalsraten, ist die gesamtwirtschaftliche Leistung auf den Zuwachs eingeschwenkt, auf einen positiven Trend. Der wird sich nächstes Jahr fortsetzen. Das heißt also, 2014 haben wir für alle diese Länder Zuwächse, das erste Mal nach 4 Jahren auch sehr schmerzhafter Anpassung. Damit sind wir noch nicht in der Lösung der Themen, es bleibt ein unverändert mindestens 10-jähriger Prozess. Wir haben vielleicht das erste Drittel. Aber wichtig ist, dass jetzt sichtbar wird, dass die Versuche, Wettbewerbsfähigkeit zu stärken, Haushalte zu sanieren, auch tragen. Man erkennt das schon an den realen Exportentwicklungen dieser Krisenländer, die seit 2 Jahren positiv sind und auch an der Arbeitsmarktentwicklung. Also von daher ist es ein wichtiger Punkt, dass das jetzt trägt und dadurch geht auch Druck aus dem System. Wir diskutieren das nicht mehr so intensiv, weil wir auch gemeinsam erkennen können, es bleibt schwierig, aber wir sind jetzt auf dem Weg, um den es auch gehen muss.

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