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Michael Hüther im Kölner Stadt-Anzeiger Interview 28. Juli 2012

"Köln müsste das Hoch im Westen sein"

Michael Hüther, Direktor des Instituts der deutschen Wirtschaft Köln, fordert im Interview mit dem Kölner Stadt-Anzeiger eine Debatte über die Frage, was kommunale Daseinsvorsorge bedeutet.

Herr Hüther, Köln hat im aktuellen Haushalt ein Defizit von mehr als 200 Millionen Euro. In der mittelfristigen Finanzplanung sieht es auch nicht viel besser aus. Sind große Kommunen wie Köln strukturell unterfinanziert?

Nein. Es gibt sicher Kommunen, die aufgrund ihrer Wirtschaftsstruktur und ihrer regionalen Lage erkennbare Probleme haben. Das kann man nun für Köln nicht behaupten.

Warum nicht?

Köln hat ein Potenzial von mehr als einer Million Einwohner. Die Wirtschaftsstruktur ist eine gesunde Mischung von Industrie und modernen Bereichen wie Dienstleistern, Universitäten, Forschungseinrichtungen. Und Köln hat ja auch keine demografischen Probleme. Wir reden hier nicht von Hoyerswerda, wo die Bevölkerung bis 2030 noch mal um 20 Prozent abnehmen wird.

Wo liegt denn dann das Problem? Warum bekommt die Stadt ihren Haushalt nicht in den Griff?

Man muss sich fragen, welche Leistungen eine Kommune noch bereitstellen kann und muss. Das ist eine Debatte, die heilsam durch die gegenwärtige Diskussion um den Schuldenabbau ausgelöst wird. Wir müssen fragen, was heißt im 21. Jahrhundert Daseinsvorsorge? Das ist eine Debatte, die eine Kommune viel besser führen kann als ein Land oder der Bund. Man kann über die Marke Köln oder das Image der Stadt diskutieren, aber man muss ebenso eine Debatte über die Frage initiieren: Was wollen wir eigentlich, was erwarten wir von einer Kommune?

Was ist für Sie Daseinsvorsorge?

Die ursprüngliche Idee ist ja die: In einer Zeit, in der die Menschen immer weniger auf individuelle Ressourcen in ihrer Lebensumgebung zurückgreifen können, muss es eine Kompensation durch den öffentlichen Dienstleister geben. Wenn ich das auf die heutige Lebenssituation beziehe, gehören zur Daseinsvorsorge vor allem die Infrastruktur und die Bildung.

Was ist dann beispielsweise mit den Stadtwerken? Gehören die dazu?

Ich bin nicht der Meinung, dass Stadtwerke komplett den Kommunen gehören müssen, weil es letztlich um Marktleistungen geht, die man auch im Wettbewerb beziehen kann.

Düsseldorf hat die Stadtwerke verkauft. Inzwischen hat man den Eindruck, dass die Stadtspitze zu der Einsicht kommt: Die Kuh, die man melkt, sollte man nicht schlachten.

Man kann Kühe nur dauerhaft melken, wenn man ihnen eine umzäunte Wiese zur Verfügung stellt und den Rasen selbst düngt. Ich meine damit beispielsweise das Mehrwertsteuerprivileg, das kommunale Einrichtungen haben. Sie müssen als privater Akteur in der Müllentsorgung oder in anderen Bereichen der Versorgungswirtschaft erst mal 19 Prozent Effizienzgewinn realisieren, weil in diesen Bereichen immer noch unter dem alten Begriff der Daseinsvorsorge akzeptiert wird, dass Kommunen hier eine Freistellung von der Mehrwertsteuer haben. Mit Wettbewerb hat das nichts zu tun. Kommunale Leistungsverantwortung setzt nicht kommunale Produktion voraus.

Also sollte Köln zum Beispiel seine Müllabfuhr oder Teile des öffentlichen Nahverkehrs frei ausschreiben?

Ja. Das sind Wege, die andere Städte schon gegangen sind. Die Kommunen können ja die Leistungsqualität steuern, indem sie sich mit den Partnern ins Benehmen setzt. Das setzt natürlich die Fähigkeit voraus, solche Verträge zu schließen. Deshalb ist es so interessant, mit Köln und Düsseldorf zwei verschiedene Modelle vor Augen zu haben.

Warum steht Köln nach jedem Konjunkturzyklus mit einem höheren Schuldenstand da? Warum wird ein Aufschwung nicht zum Sparen genutzt?

Wenn das so offenkundig nicht gelingt trotz eines historischen Höchststands bei den Steuereinnahmen, muss gefragt werden, ob der konsumptive Anteil der Ausgaben im Stadthaushalt noch zu rechtfertigen ist, denn das ist ja der wesentliche Teil der Daseinsvorsorge.

Wenn Sie Kölner Oberbürgermeister wären, was würden Sie tun, um von diesem Defizit herunterzukommen?

Ich würde prüfen, ob die Haushaltsstruktur stimmt und einen Vergleich mit anderen großen Kommunen anstellen. Dann würde ich die Pro-Kopf-Einnahmen und -Ausgaben vergleichen und analysieren, welche strukturellen Unebenheiten es gibt. Daraus müsste sich ein globaler Weg ableiten, der in der Frage mündet, wie viel bekommen die einzelnen Dezernate? Wie viel bleibt übrig für das Soziale? Was kann man an freiwilligen Leistungen machen? Was haben wir an besonderen kommunalen Investitionen im Vergleich zu anderen Kommunen? Man müsste sich eine Benchmark setzen und fragen: Wo sind wir auffällig?

Aber was machen Sie, wenn es selbst dann nicht reicht, wenn Sie alle freiwilligen Leistungen einstellen?

Auch Pflichtaufgaben, die mit Rechtstitel unterlegt sind, lassen sich durch die Politik verändern. Man muss sich die entsprechenden Spielräume von Jahr zu Jahr aufbauen. Es ist ja nicht so, dass Köln finanziell völlig handlungsunfähig wäre.

In Köln hat die Kultur eine starke Lobby. Muss die Politik beim Sparen Prioritäten setzen, oder ist vielleicht doch das Rasenmäher-Prinzip sinnvoller?

Der Rasenmäher ist intellektuell nicht das herausragende Instrumentarium. Das ist der Notausgang, wenn man sich nicht traut, zu differenzieren und Werturteile zu treffen.

Eine Stadt ist kein Unternehmen. Mit Sparkonzepten können Politiker keine Wahlen gewinnen.

Wenn Sie es offensiv zum Thema machen, können Sie damit auch Wahlen gewinnen. Man konnte das vor wenigen Jahren in Offenbach erleben. Dort hat der damalige Oberbürgermeister die Sanierung der Finanzen und den Umbau der Verwaltung zum Thema gemacht und danach die Kommunalwahl gewonnen.

Die Kölner CDU hatte zum Beispiel vorgeschlagen, die Anzahl der Stadtbezirke zu reduzieren, Bürgerämter zu schließen. Das hätte zur Folge, dass die Bürger weitere Wege in Kauf nehmen müssten.

Das haben die Berliner mit ihren dreieinhalb Millionen Einwohnern in den 1990er Jahren auch gemacht, und zwar radikal.

Müssen die Bürger lernen, von liebgewonnenen Gewohnheiten Abschied zu nehmen?

Genau. Die Bezirke zusammenzulegen finde ich richtig. Wir haben ein Potenzial von einer Million Bürgern, da kann man nicht in den alten Kleinbezirken bleiben. Die Verwaltung muss gemeinsam erarbeiten, was man eigentlich will. Wodurch will ich mich als Stadt hervorheben? Aber das hängt natürlich in der Luft, wenn man die anfangs angesprochene Debatte nicht führt: Was ist Daseinsvorsorge?

In Köln wird für 250 000 Euro eine Marke für die Stadt erarbeitet. Ist das nicht rausgeworfenes Geld? Die Stärken Kölns liegen doch auf der Hand.

Man braucht schon einen solchen Prozess, und das ist keine Summe, die mich besonders schrecken würde. Aber das Ergebnis muss realistisch und greifbar sein. Es darf kein Eliten-Projekt werden. Die Debatte muss in die Öffentlichkeit getragen werden. Deshalb muss es fokussiert sein und klare Kanten haben. Wenn man nur Schönwetterthemen anspricht, wird das nicht viel bringen. Dann sind die 250 000 Euro natürlich verplempert.

Wie könnte die Marke Köln denn aussehen?

Die Wissenschaftsinstitutionen der Stadt werden nicht angemessen gewürdigt. Die Universität hat nun Exzellenzstatus, das muss man für die Stadt nutzen. Das wäre auch ein Differenzierungsmerkmal etwa gegenüber Düsseldorf. Die Landeshauptstadt kann nicht in dem Maße mit wissenschaftlichen Kapazitäten argumentieren.

Mit wem müssen sich Stadt und Region eigentlich vergleichen? Reicht es, den Vergleich mit Düsseldorf anzustellen oder muss man europäisch oder sogar weltweit denken?

Man darf sich nicht auf Düsseldorf beschränken. Hamburg ist zum Beispiel ein attraktiver Vergleich. Wir haben ja nicht viele Metropolen in Deutschland, Berlin, München, eben Hamburg, den Rhein-Main-Raum - und Köln müsste eigentlich das Hoch im Westen sein. In diese Liga müsste sich Köln einreihen.

Was halten Sie von dem Begriff "Metropolregion Rheinland"?

Wenig. Wir haben gerade in einer Studie herausgefunden, dass die Zuwanderer zum allergrößten Teil in die großen Städte gehen. Wer von außen auf Deutschland schaut, der orientiert sich an den Metropolen. Er will dort auch teilhaben und erwartet dort eine offene Kultur, eine Kultur des Willkommenseins. Man kann zwar auf die Region verweisen, aber die wird nicht wahrgenommen, wenn sie keinen Namen hat.

Welchen Namen sollte sie tragen?

Sie müsste Metropolregion Köln heißen. Die Frage ist, welchen Anspruch man hat und ob man den auch zum Ausdruck bringen möchte.

Muss die Metropolregion Köln denn auch im Fußball in der ersten Liga spielen?

Das gehört irgendwie dazu. Man sieht das doch am FC Bayern München. Der Club ist auch ein Botschafter für die Metropole. Und der FC genügt dem Kölner Anspruch derzeit keinesfalls.

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