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Michael Hüther auf manager-magazin.de Interview 11. Juni 2013

"Der 70er: Jahre

Die Wahlversprechen der Parteien bedrohen die deutsche Wirtschaft, sagt IW-Direktor Michael Hüther auf manager-magazin.de. Am Tag der deutschen Industrie geht der Ökonom mit der Politik hart ins Gericht. Vom Hochwasser könnte eine Branche sogar noch profitieren, meint Hüther.

Herr Hüther, in Deutschland stehen ganze Landstriche unter Wasser. Wichtige Bahnverbindungen sind lahmgelegt. Hat eine solche Katastrophe für die betroffenen Anwohner auch Auswirkungen auf Deutschlands Wirtschaft?

Keine Frage, ein derart verheerendes Naturereignis trifft Tausende Menschen sehr hart. Allerdings ist das Hochwasser von den wichtigen Industriezentren Deutschlands an Rhein und Ruhr weit entfernt. Die Kernindustrie bleibt also weitgehend verschont.

Die Wassermassen beschädigen allerdings die ohnehin lädierte Infrastruktur in den Gebieten. Ganz zu schweigen von den Wohnhäusern, die wieder instand gesetzt werden müssen. Die SPD fordert bereits sieben Milliarden Euro Fluthilfe.

Wirtschaftlich gesehen könnte das Hochwasser sogar positive Effekte haben. In Japan nannte man das den Kobe-Effekt, als nach dem Erdbeben die Wirtschaft relativ schnell wieder ansprang. Im zweiten Halbjahr werden die Bauinvestitionen im öffentlichen und privaten hierzulande einen zusätzlichen Schub bekommen. Der Sektor hat sich ohnehin stark gezeigt und im ersten Quartal mit dafür gesorgt, eine Rezession in Deutschland zu verhindern.

Müssen die Wachstumsprognosen revidiert werden?

Nein. Das Hochwasser wird den Konjunkturtrend nicht über den Haufen werfen. Das IW erwartet für dieses Jahr ein BIP-Wachstum von 0,7 Prozent und 1,5 Prozent für 2014. Viel wichtiger ist der Welthandel. In den USA sehen wir einen leichten Aufwärtstrend. Die Entwicklung in China ist dagegen mit vielen Fragezeichen versehen. Immerhin stimmen uns die Indikatoren für die ersten Monate des zweiten Quartals optimistisch.

Stichwort China: Die EU verhängt Strafzölle gegen chinesische Solarprodukte. China erwägt im Gegenzug Strafen für Wein aus Europa. Sogar die deutsche Autoindustrie zittert. Steuern wir geradewegs in einen Handelskrieg zu oder sind das alles nur Drohgebärden?

Es sind weit mehr als nur Drohgebärden. Nach dem Scheitern der Doha-Runde befinden wir uns ohnehin in einem kritischen handelspolitischen Umfeld. Die Tendenz zu Regionalismus und bilateralen Abkommen ist ganz klar vorhanden. Dabei muss allen Beteiligten klar sein: In einem Handelskrieg gibt es keinen Gewinner, sondern nur Verlierer.

Der BDI fürchtet bereits um eine Million Arbeitsplätze. Ist die Angst berechtigt?

Eine weitere Eskalation würde Deutschland eher treffen als andere europäische Länder. Wenn die Premium-Autohersteller in den Streit hineingezogen werden, kann das ganz erhebliche Konsequenzen haben.

Warum konnte sich die Bundeskanzlerin, die sich gegen Strafzölle ausgesprochen hatte, in Brüssel nicht durchsetzen?

Die Deutschen haben bei diesem Thema viel zu spät Stellung bezogen und ihre Position nicht energisch genug vorgebracht. Jetzt ist es wichtig, eine Vertrauensbasis zu den Chinesen aufzubauen, um langfristige Strafzölle im Dezember zu verhindern.

Deutschland befindet sich mitten im Wahljahr. Es wird für Mindestlöhne und für Steuererhöhungen getrommelt, Managergehälter sollen gedeckelt werden, Vermögensabgaben steigen. Man kann den Eindruck gewinnen, dass ein parteiübergreifender Wahlkampf gegen die Wirtschaft geführt wird.

Jede Partei versucht sich in dieser Phase des Wahlkampfs zu positionieren. Selbst die CDU will mit ihren Versprechen dem linken Lager Stimmen abjagen. Doch ein 70er-Jahre-Wahlkampf ist jetzt absolut fehl am Platz. Wir brauchen eine klare Angebotspolitik, um die Weichen für das kommende Jahrzehnt zu stellen. Stattdessen kapituliert die Regierung vor ihren eigenen Erkenntnissen. Aktive Politik findet momentan nicht statt.

Beispiel Energiewende: Vielen Unternehmern platzt bei diesem Stichwort der Kragen. Während sich in den USA wegen der Rohstoffschwemme und niedrigen Energiekosten viele energieintensive Konzerne ansiedeln, klagt die deutsche Industrie über hohe Belastungen.

Nirgendwo in Europa - mit Ausnahme Italiens - sind die Energiekosten so stark gestiegen wie in Deutschland. Die energieintensiven Branchen investieren kaum noch. Seit zehn Jahren sind die Nettoinvestitionen rückläufig. Wir steuern auf ein erstes Problem zu. Denn der Erfolg der deutschen Industrie liegt ihrer vollständigen Wertschöpfungskette innerhalb der Bundesrepublik. Die energieintensiven Konzerne einfach auszulagern, hätte weitreichende Konsequenzen.

Und wie soll das Problem gelöst werden?

Die Energiewende muss europäisch gestaltet werden. Der Ausbau der erneuerbaren Energien muss an den Netzausbau gekoppelt sein. Zudem muss der Ausbau technologieneutral gestaltet werden. Wir stecken zu viel Geld in teure Energiequellen wie Offshore-Windenergie, Photovoltaik oder Biomasse. Ein Quotenmodell wäre wünschenswert.

Der Wahlkampf geht also an den wichtigen Politikfeldern völlig vorbei. Wo sehen Sie weiteren Reformbedarf?

Die Liste ist lang. Dazu gehört beispielsweise die Konsolidierung der öffentlichen Haushalte, die bei weitem noch nicht abgeschlossen ist und die zudem von wieder steigenden Zinssätzen bedroht ist. Auch im Bereich Humankapital gibt es trotz aller Fortschritte bei der Zuwanderung viel zu tun. Die Bildungsreformen in den Bundesländern haben nach dem Pisa-Schock an Schwung verloren. Vieles wird aus Kostengründen rückabgewickelt. Das ist der falsche Weg. Zudem braucht Deutschland endlich ein wachstumsfreundliches Steuersystem.

Von solchen Vorhaben schienen die Parteien weit entfernt zu sein.

Ingesamt muss es darum gehen, die Investitions- und Innovationsbereitschaft anzuregen. Doch davon findet sich in den Wahlprogrammen viel zu wenig.

Zum Interview auf www.manager-magazin.de

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