Im Bund-Länder-Streit um die Übernahme der Corona-Kosten steht IW-Direktor Michael Hüther auf der Seite der Bundesländer. Für den Bund sei es einfacher mit den Corona-Schulden umzugehen, sagt er im Interview mit ntv.de.
Corona-Kosten: „Für den Bund ist es leichter, sich zu verschulden”
Der Bundestag wird in dieser Woche aller Voraussicht nach die Schuldenbremse aussetzen und neue Schulden in Höhe von fast 180 Milliarden Euro beschließen. Muss man sich angesichts dieser Zahl Sorgen machen?
Nein, wegen der Neuverschuldung müssen wir uns keine Sorgen machen - Sorgen machen müssen wir uns angesichts der Pandemie. Dass darauf reagiert wird, auch fiskalpolitisch, ist angemessen. Das ist auch in der Schuldenbremse so angelegt: Für Naturkatastrophen oder andere außergewöhnliche Notsituationen sieht Artikel 115 des Grundgesetzes ausdrücklich Freiräume vor.
Auch wenn die sogenannten November-Hilfen noch nicht überall angekommen sind, könnten sie bis zu 15 Milliarden Euro kosten. Bei den Dezember-Hilfen rechnet die Bundesregierung mit bis zu 20 Milliarden Euro. Dazu kommt neben Milliarden für TUI, für die Lufthansa und für die Kurzarbeit noch ein Einbruch bei den Steuereinnahmen. Wie lange hält der Staat das durch?
Das alles wird ja getan, weil wir davon ausgehen, dass wir im Laufe des Jahres 2021, auch infolge der Impfkampagne, zu einer Normalität zurückkehren werden. Auf dem Weg dahin wollen wir möglichst wenig Unternehmen verlieren, die nur wegen dieser Pandemie in eine Existenzkrise geraten sind. Deswegen sind die Hilfen richtig und wichtig.
Dass der Staatshaushalt durch die aktuelle Neuverschuldung nicht nachhaltig unter Druck gerät, liegt an der Konsolidierungspolitik der letzten zehn Jahre mit einer Minderung der Schuldenstandsquote um 20 Prozent - einerseits, weil mit der Arbeitsmarktdynamik der letzten Jahre neue Jobs mit guten Löhnen entstanden sind, andererseits infolge der sinkenden Zinsen. Wir hatten 1996 eine gesamtstaatliche Zins-Steuer-Quote von knapp 16 Prozent. Heute liegen die Zinsausgaben bei 4 Prozent des gesamtstaatlichen Haushalts. Der Druck ist bei weitem nicht so, wie wir das aus der Erinnerung der 1990er Jahre mit uns tragen. Deswegen können wir damit auch umgehen. Die Zinsen liegen real und nominal bei null. Wenn es wieder ein normales Wachstum gibt, selbst wenn es nur ein Prozent ist, können wir aus diesen Schulden herauswachsen, aus konjunkturellen Gründen freilich ohne Hast, das heißt langsamer als nach der Finanzkrise.
Wie sicher kann man sein, dass die Zinsen nicht steigen?
Man muss fragen, woher der niedrige Zins kommt. Der niedrige Zins ergibt sich aus einer Situation am Kapitalmarkt, die vor allem durch die Demografie geprägt ist: Alternde Gesellschaften sparen mehr. Das führt dazu, dass es einen Sparbedarf gibt, also eher einen Kapital-Überhang als Kapital-Knappheit. In Zeiten von Kapital-Überhang wird der Zins dort bleiben, wo er derzeit ist.
Und wann ist wieder mit stabilem Wachstum zu rechnen?
Wir gehen davon aus, dass sich die gesamtwirtschaftliche Lage ab dem Frühjahr oder Frühsommer nächsten Jahres wieder deutlich dynamisch zeigen wird. Dafür sprechen ein paar Potenzialfaktoren. Einmal die Binnenwirtschaft: Wir hatten in diesem Jahr bei den privaten Haushalten eine unfreiwillige Ersparnis, weil wir beispielsweise zu Ostern nicht in den Urlaub fahren konnten und insgesamt zurückhaltend waren. Bei einem stabilen Umfeld wird es da zu einem nachholenden Konsum kommen.
Zweitens haben wir im dritten Quartal 2020 eine dynamische Entwicklung bei den Exporten gesehen. Dieser Außenbeitrag ist deutlich positiv gewesen, und das in einer Situation, in der die Weltwirtschaft noch überwiegend in Restriktionen festhing. Wenn die Weltwirtschaft durch das Impfen auch insgesamt stärker geöffnet wird, gibt es auch von dort eine unterstützende Entwicklung. Zu erwarten ist daher ein Wachstum von vier bis viereinhalb Prozent im nächsten Jahr, danach in einer Größenordnung, wie wir sie aus den vergangenen Jahren kennen. Die Bäume werden nicht in den Himmel wachsen, aber wir werden innerhalb des nächsten Jahres zu einer normalen Situation zurückkehren.
Zur Finanzierung der Corona-Schulden werden unterschiedliche Vorschläge diskutiert, etwa Steuererhöhungen, Einsparungen oder ein Lastenausgleich wie in der Frühphase der Bundesrepublik zur Finanzierung der Folgekosten des Krieges. Was halten Sie davon?
Es ist historisch völlig verfehlt, die Corona-Pandemie mit der Situation nach dem Zweiten Weltkrieg zu vergleichen, als der Kapitalstock zerstört war, als das Land zerstört war, die politischen Systeme nicht funktionierten und zudem noch ein moralischer Bankrott zu erklären war. Heute haben funktionierende Systeme, und die Schuldenbremse sieht ja auch einen Tilgungsplan vor, den wir auf zwanzig oder dreißig Jahre strecken können, so dass es weder zu Steuererhöhungen noch zu Ausgabensenkungen kommen muss. Wer jetzt mit Lastenausgleich, Vermögensabgaben oder massiven Ausgabenkürzungen hantiert, der baut eine Drohkulisse auf, derer es nicht bedarf, die sogar schädlich ist.
Sehen Sie auch Branchen, die bleibende Schäden davontragen werden?
Bleibende Schäden werden Branchen davontragen, die ohnehin einen negativen Trend hatten. Der Druck auf den stationären Einzelhandel ist ja nicht erst durch die Pandemie entstanden. Da wird es sicherlich Struktureffekte geben. Auch in Bereichen, in denen die Politik besonders lange Schließungen verordnet hat, wie im Hotel- und Gaststättengewerbe, werden sicher einige Marktteilnehmer verschwinden, zumal gerade Gaststätten häufig eine geringe Eigenkapitaldecke haben. Eine Branche, die arg gebeutelt ist, ist der Luftverkehr - hier gab es ja schon Insolvenzen. Ich denke aber, dass die Stabilisierung der Lufthansa gelingen kann und dass dort bis 2025 eine Normalisierung eintreten wird.
War die am 1. Juli in Kraft getretene und bis zum 31. Dezember befristete Mehrwertsteuersenkung aus Ihrer Sicht sinnvoll? Und sollte sie verlängert werden?
Die Senkung der Mehrwertsteuer war sinnvoll. Studien von uns und vom Ifo-Institut haben gezeigt, dass Preise gesenkt und der Konsum dadurch belebt wurde. Aber Konjunkturpolitik soll Impulse setzen, deshalb muss sie auch befristet bleiben. Zudem kommen mit Beginn des neuen Jahres erhebliche einkommensteuerliche Entlastungen gerade im unteren und mittleren Einkommensbereich, etwa durch den Wegfall des Solidaritätszuschlags und die Anpassung des Grundfreibetrags. Auch deshalb muss die Mehrwertsteuersenkung nicht verlängert werden.
Bundesländer und Bund streiten derzeit darüber, wer für die noch gar nicht beschlossenen Januar-Hilfen aufkommen soll. Unterm Strich werfen sich beide vor, die Leistung des anderen nicht genug zu würdigen. Wer hat Recht?
Die Frage ist, wer mit den Corona-Schulden besser umgehen kann. Für den Bund ist dies einfacher. Aus folgendem Grund: Der Bund kann die Corona-Schulden als außergewöhnliche Belastung identifizieren und kann die Tilgung über Kredite finanzieren, ohne die Steuer zu erhöhen oder die Ausgaben zu senken. Diese Möglichkeit haben die Bundesländer nicht. Corona-Schulden, die bei den Bundesländern auftauchen, müssen über Ausgabenkürzungen oder Steuererhöhungen bereinigt werden, weil die Länder keine strukturelle Verschuldungsmöglichkeit haben. Die bisher vorliegenden Tilgungspläne sind untereinander nicht abgestimmt: Sachsen-Anhalt scheint seine Corona-Schulden in drei Jahren tilgen zu können, Thüringen muss sie aufgrund seiner Verfassung in fünf Jahren tilgen, in Sachsen sind es sechs und in Nordrhein-Westfalen sind es fünfzig Jahre. Da gibt es eine Schieflage. Deswegen ist es nach meinem Dafürhalten wichtig, die Corona-Schulden auf gesamtstaatliche Ebene zu bündeln - also beim Bund.
Der bayerische Ministerpräsident Markus Söder will die Corona-Maßnahmen in seinem Bundesland in dieser Woche verschärfen, hält an den geplanten Lockerungen zu Weihnachten aber fest. Ist das die richtige Strategie?
Man muss immer wieder daran erinnern, warum wir das eigentlich tun: Wir versuchen, etwas zu verhindern, was moralisch und ethisch herausfordernd ist, nämlich Triage-Entscheidungen im Krankenhaus. Das konnte bisher vermieden werden, und das ist auch gut so. Mit den aktuellen Maßnahmen haben wir erreicht, dass die Infektionszahlen einigermaßen stabilisiert wurden. Die Forderung nach einem harten Lockdown ist schnell erhoben, aber wir haben einen anderen Verlauf als andere Länder. Zugleich denke ich, dass es in der Weihnachtszeit keine Lockerungen geben sollte, denn da sind ohnehin Ferien. Ökonomisch hätte ein Verzicht auf die Weihnachtslockerung weniger negative Effekte, könnte aber eine dritte Welle verhindern. Ich würde also eher für eine Stabilität der Regelungen plädieren, um dann auch schneller wieder herauszukönnen.
Zum Interview auf n-tv.de
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