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IW-Direktor Michael Hüther
Michael Hüther in der Passauer Neuen Presse Interview 14. Mai 2021

„Corona-Schulden über vier Jahrzehnte tilgen”

Der Weg aus den Schulden könnte ohne Steuererhöhung funktionieren, sagt IW-Direktor Michael Hüther im Interview mit der Passauer Neuen Presse. Er spricht über die finanzpolitischen Herausforderungen nach der Bundestagswahl, Schulden und was er vom Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Klimaschutz hält.

Die neue Steuerschätzung lässt erwarten, dass wieder etwas mehr Geld in die öffentlichen Kassen fließt, wenn auch weniger als vor Corona geplant. Was bedeutet das für die Finanzpolitik? 

Der Spielraum wird enger, und das in einer Zeit, in der die Anforderungen aus mehreren Gründen groß sein werden. Der nächste Finanzminister hat im Wesentlichen vier Themen vor der Brust, die ihn herausfordern. Er muss entscheiden, wie mit der Tilgung der Corona-Schulden umgegangen wird. Es gibt Druck auf die Verwendung von Steuer-Euro in Verbindung mit der Alterung der Gesellschaft. Die Themen internationale Sicherheit und Investitionen werden ihn ebenfalls fordern. Die Steuerschätzung macht aber deutlich: Es gibt keinen Weg des leichten Herauswachsens aus den Schulden. 

Lassen sich diese großen Herausforderungen allein aus den laufenden Steuereinnahmen schultern, oder bedarf es nicht dauerhaft hoher Kredite? 

Man muss jetzt sagen, an welcher Stelle man die Schuldenbremse öffnet. Aber öffnen muss man sie auf jeden Fall. Dafür gibt es zwei zentrale Argumente. Die Corona-Schulden sind ja deshalb regelkonform möglich, damit ein Schock, wie die Pandemie, finanzpolitisch bewältigt werden kann. Daraus folgt, dass aus der Tilgung dieser Schulden kein gesamtwirtschaftlicher Schaden nach dem Schock entstehen sollte. Für mich bedeutet das: Die Tilgung der Corona-Schulden darf für sich genommen weder zu Steuererhöhungen noch zu Ausgabensenkungen führen. Insofern schlagen wir eine lange Tilgung über vier Jahrzehnte vor. Damit verbunden könnte man die zulässige strukturelle Verschuldung in der Schuldenbremse von 0,35 Prozent auf 0,5 Prozent erhöht werden. Das allerdings würde eine Verfassungsänderung nötig machen. 

Wird es ohne Steuererhöhungen gehen? 

Ja, aber nur, wenn wir beim Investieren den Mut haben, der von uns vorgeschlagenen Deutschland-Fonds-Idee zu folgen. Die wäre durchaus mit der Schuldenbremse kompatibel. Das hieße, man setzt einen solchen Fonds mit einer eigenen Rechtspersönlichkeit auf, um die notwendigen Großinvestitionen kreditfinanziert in den nächsten zehn Jahren zu bewältigen. Wenn wir das nicht machen, werden wir an Steuererhöhungen nicht vorbeikommen. Im Haushalt sehe ich nicht die Luft dafür. Denn es gibt noch genug andere Herausforderungen. Das gilt sowohl für das Thema Alterung mit einem wachsenden Zuschussbedarf des Bundes als auch die schon vor Jahren versprochene Erhöhung der Verteidigungsausgaben. 

Sind in dieser Situation nicht Inflationsraten von um die drei Prozent, wie sie die EZB erwartet, für den Finanzminister eine gute Nachricht, weil sie die Schulden entwerten? 

Das ist ja keine dauerhafte Entwicklung. Wir haben im Augenblick keine höhere Inflation, wir haben nur Teuerungsphänomene in bestimmten Segmenten, zum Teil ausgelöst durch die Pandemie. Das sehen wir im Grundstoff-, im Metallsektor, auch bei Mikrochips. Das sind aber alles keine dauerhaften Faktoren. Die wäre es nur, wenn die geldpolitischen Impulse über Lohnerhöhungen in das ökonomische System hineinwirken würde. Das aber sehe ich nicht. Die Lohnentwicklung ist nicht der große Treiber. Daher halte ich eine Inflation oberhalb des EZB-Orientierungswerts für unrealistisch.

Die Bundesregierung beschließt heute ein neues Klimaschutzgesetz. Was halten sie davon? 

Ich halte das für eine etwas übereilte Umsetzung dessen, was das Verfassungsgericht angemahnt hat. Das ist aber kein durchdachter Plan. Wir hätten natürlich mit vielem schon viel früher beginnen können, haben Zeit vergeudet. Entscheidend aber ist: Deutschland braucht Wachstum für die Dekarbonisierung. Das kommt viel zu wenig in dem Gesetz vor, ebenso wie das Thema Investitionen und der Emissionshandel. Ich will aber nicht verhehlen: Ich bin auch nicht besonders überzeugt vom Verfassungsgerichtsurteil.

Zum Interview auf pnp.de

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