Die Große Koalition lege eine gewisse Nachlässigkeit in Fragen der Wirtschaftspolitik an den Tag, kritisiert IW-Direktor Hüther im Interview mit dem Deutschlandradio Kultur. Sie müsse sich aber um Zukunftsfragen kümmern.
IW: Chef kritisiert Wirtschaftspolitik der Bundesregierung
Tut diese Regierung, diese CDU-geführte Regierung, zu wenig für die Wirtschaft?
Eindeutig ja. Es entsteht der Eindruck, dass man in einer Situation, in der alles irgendwie läuft, niemanden darauf hinweisen will, dass man gerade jetzt wieder weiter Vorsorge treffen muss. Denn die Erkenntnis ist ja doch, die Fehler macht man eigentlich nie in der Krise, sondern die Fehler werden dann gemacht, wenn es einem gut geht, wenn man nachlässig wird, wenn man meint, man könne sich zurücklehnen. Und so ein bisschen ist diese ganze große Koalition von dieser Haltung geprägt. Gelegentlich kommen da mal ein paar erhellende Hinweise, aber in der Summe ist es eine Politik, die bisher nicht auf die Frage eingeht, wie Wachstum entsteht.
Sie sagen das so etwas lapidar, dass es gerade mal gut läuft, aber vielleicht ist das ja gerade der Kernpunkt, dass man sagen kann, für die Wirtschaft muss man im Moment nicht so viel tun, denn der Standort, der ist stark, im europäischen Vergleich, international lässt es sich wirklich sehen. Die Wachstumsraten sind immer noch ganz anständig. Gleichzeitig haben wir das Problem der sozialen Kluft, dass offenbar viele Menschen auch dazu getrieben hat, diese Regierung, wie sie ist in dieser Konstellation, mit diesem Ergebnis auch zu wählen.
Man kann sicherlich nicht ausblenden, dass das, was diese große Koalition macht, auch vor dem Hintergrund der globalen Wirtschafts- und Finanzkrise 2009 fortfolgende steht. Und da steht natürlich die Wahrnehmung, auch die berechtigte Wahrnehmung, auch die Kränkung der Gesellschaft über eine Wirtschaft, die das Versprechen nicht mehr eingelöst hat. Trotzdem sehen wir auf der anderen Seite, die Beschäftigung ist so hoch wie nie, 43 Millionen, die sozialversicherungspflichtige Beschäftigung ebenfalls. Die Inklusion in Arbeit ist erfolgreicher als je zuvor in diesem wiedervereinigten Deutschland gelungen, und die Reallöhne steigen auch wieder. Und es gilt im Übrigen, dass seit 2005 die Verteilungsrelation bei der Einkommensschichtung nicht weiter auseinandergehen. Also man kann auch auf diese Dinge hinweisen, dass wir eine gute Ausgangssituation haben, aber gleichzeitig gilt, die Dinge fallen natürlich nicht vom Himmel. Da ist vorgeleistet worden. Da ist in Unternehmen vorgeleistet worden, da haben sich die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer eingebracht, und die Politik hat ja auch in den vergangenen Jahrzehnt ihren Beitrag geleistet. Das ist auch überhaupt nicht zu leugnen. Nur im Augenblick fragt man, was heißt das denn in die Zukunft hinein? Wir stehen in einem dramatischen demografischen Wandel. Das ist kein Schrecken, aber doch eine Herausforderung. Wir werden weniger, wir werden älter, wir werden unterschiedlicher. Das wird nur noch so mitgeführt. Eine zentrale Frage. Die zweite ist die der Infrastruktur, auch der Energieversorgung. Da wird viel rumgehampelt, aber nicht wirklich gehandelt.
Nun sind ja die zentralen Projekte, die Sie kritisieren, die auch andere aus der Wirtschaftsseite kritisieren, Rente mit 63, Mindestlohn, die Mietpreisbremse, jetzt möglicherweise auch die Frauenquote, erst mal Kernprojekte der Sozialdemokraten gewesen. Man könnte sagen, der Union kann man das gar nicht unbedingt anlasten. Oder ist auch die Union schon infiziert, sozialdemokratisiert?
Die Schwäche einer Partei in einer Koalition oder die Unprofiliertheit hat ja meistens eine Vorgeschichte. Die Union ist ja nicht mit einem überzeugenden wirtschaftspolitischen Profil in die Bundestagswahl 2013 hineingegangen. Und insofern muss man sich dann auch nicht wundern, wenn so was rauskommt. Die Mütterrente ist die Forderung der Frauenunion in der CDU gewesen, die sich durchsetzen mit dem fragwürdigen Argument der Ungerechtigkeit – da ist wirklich keine Gerechtigkeitslücke. Und auf der anderen Seite konnte dann die SPD die Rente mit 63 installieren. Beides zusammen ist nach dem Motto, wenn wir uns sozusagen das nicht wegargumentieren, dann addieren wir es einfach. Das ist wirklich keine Politik, die jemanden überzeugt, und ich kenne auch keine, weder Fachleute in der Gerontologie, der Alternswissenschaft, in der Sozialwissenschaft, in der Ökonomie, die bei Lichte besehen das als einen Beitrag zur Besserung des Standortes begreifen können.
Nun gibt es bei diesem Parteitag, der morgen in Köln beginnt, der Parteitag der CDU, zwei große Streitpunkte. Einmal einen personellen Streitpunkt, über den sprechen wir gleich, und einen inhaltlichen. Da fordern die Arbeitnehmer und die Arbeitgeber, die beiden Flügel in der Union, gleichermaßen die Abschaffung der kalten Progression. Sollte die Partei aus Ihrer Sicht diesen Weg gehen, diesen Anträgen folgen?
Wenn man Wirtschaftspolitik profilieren will für eine Partei, dann hängt das ja immer an zwei Dingen. Man muss ein paar Leuchtturmprojekte haben, für die man wirklich kämpft, und ein paar Personen, die das glaubwürdig installieren können. Projekte sind ansonsten nicht zu sehen, und insofern ist ja interessant, dass diese kalte Progression auf einmal so viel Zuspruch hat. Auch die Gewerkschaften fordern das ja berechtigter Weise, und es trifft ja gerade die Facharbeiterinnen und Facharbeiter, und das Thema zu machen, vor allem in einer Zeit, wo die Inflation an sich niedrig ist, kostet im Einstieg wenig – wenn man es jetzt nicht macht, werden wir es auch künftig nicht hinkriegen. Es ist wirklich ein Preis für Fairness, den man da zahlen kann. Und deswegen, da eint sich offensichtlich auch etwas in der Union. Das wäre die Chance, eine Art Leuchtturmprojekt in der Wirtschafts- und Steuerpolitik zu definieren.
Also ich notiere schon mal, Michael Hüther empfiehlt der CDU, diesem Antrag zu folgen, die kalte Progression abzuschaffen. Zweite Frage: Empfehlen Sie der Partei auch Jens Spahn zu wählen ins Präsidium?
Ich will zu der Person im Einzelnen und kann da auch gar nichts sagen, aber dass die Union auch in der Führungsstruktur natürlich Zukunft zum Ausdruck bringen muss, indem sie auch Jüngere mit hineinnimmt, ist, glaube ich, deutlich. Und die Union hat das Potenzial, und das zu mobilisieren, schiene mir schon auch ein wichtiges Signal. Dann auch zu sagen, wo sind die Köpfe, die, jetzt mal unabhängig vom Alter, aber doch von dem Hintergrund her, auch glaubwürdig wirtschaftspolitische Themen tragen können.
Also ich höre raus, doch eine kleine Wahlempfehlung, wenn auch nicht ganz ausgesprochen. Sie dürfen das jetzt unkommentiert lassen. Ich würde gerne noch einen Aspekt ansprechen, und zwar – ich habe das für mich mal so notiert unter dem Stichwort Illusion Wirtschaftskompetenz bei der Union. Wenn wir jetzt mal wirklich zurückschauen. Es war ein gewisser Konrad Adenauer, der die sehr teure Rentenreform in den 50er-Jahren gemacht hat, die das Rentensystem sehr teuer gemacht hat. Es war ein Helmut Kohl, der nie wirklich etwas von Wirtschaft verstand, damit zum Teil auch kokettierte. Es ist jetzt eine Angela Merkel, die sich nicht besonders hervorgetan hat durch große wirtschaftspolitische Ideen. Ist es vielleicht wirklich eine Illusion, diese Wirtschaftskompetenz der Union.
Es ist vielleicht Illusion, zu glauben, dass eine Volkspartei in der Breite dies zum alleinigen Merkmal machen kann. Das ist sicherlich richtig. Und insofern sind sowohl Adenauer wie Kohl wie auch Merkel da durchaus in einer gewissen Tradition. Was aber auffällt, ist, dass in früheren Zeiten immer dann auch Köpfe daneben standen, die für diese wirtschafts- und finanzpolitische Kompetenz standen. In dem ersten Kabinett Kohl war es Gerd Stoltenberg, und es war halt zu Konrad Adenauers Zeiten Ludwig Erhard. Im Augenblick ist sicherlich Schäuble derjenige, der das alles irgendwie politisch darstellt, aber auch in einer Weise, die nach der größeren Frage, Standortsicherung, Wettbewerbsfähigkeit, wie gehe ich um mit den gesellschaftlichen Herausforderungen, die ökonomisch relevant sind, nicht derjenige ist, der da jetzt die großen Profile darstellt – kann er vielleicht auch als Finanzminister nicht. Und das ist eine Lücke.
Wer war denn der beste Kanzler aus der Wirtschaftssicht in den letzten 20, 30 Jahren. Da fällt mir dann doch wahrscheinlich eher ein Roter ein, oder?
Also Gerhard Schröder hat den Mut gehabt, gegen Umfragen eine Änderung einzuleiten, die schon so ein bisschen Mentalitätswechsel auch war. Und von der leben wir heute noch.
Nun ist Gerhard Schröder politisch gesehen Geschichte. Wenn Sie auf die heutige Bundesregierung schauen, in welchem Politiker erkennen Sie denn am ehesten ein klares wirtschaftspolitisches Profil? Bei Sigmar Gabriel?
Das Potenzial hat eindeutig, ich sage jetzt mal bewusst, das Bundeswirtschaftsministerium, auch mit dem Portefeuille, dass die Energiepolitik dazugehört. Leider ist es bislang noch so, dass man dieses Potenzial nicht in einer geradlinigen Argumentation finden kann. Eigentlich müsste man ja dann von dort Themen nach vorne treiben. Die Energiewende, das Thema der internationalen Handelsbeziehungen, TTIP – also die Linie ist noch nicht wirklich zu erkennen. Das Potenzial in den Themen wäre sicherlich da.
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