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Michael Hüther in der Welt Interview 30. Dezember 2009

Keine Trendwende bei den Geburtenzahlen

Die Deutschen bekommen wieder mehr Kinder. Den Bevölkerungsschwund hält das nicht auf, sagt Michael Hüther. Der Direktor des Instituts der deutschen Wirtschaft Köln warnt davor, die Folgen der Bevölkerungsalterung zu verharmlosen, fordert ein Demografieministerium – und hofft, dass das Betreuungsgeld nicht kommt.

Herr Hüther, Sie warnen vor den Folgen des demografischen Wandels. Die Geburtenraten in Deutschland erholen sich aber. Liegen Sie mit Ihren Schreckensszenarien nicht daneben?

Nein, sicher nicht. Die jüngst erschienene Studie des Max-Planck Instituts für demografische Entwicklung, auf die Sie ja anspielen und die besagt, dass alles halb so schlimm kommen wird, bewegt sich auf sehr dünnem Eis.

Die Studie basiert auf Zahlen aus der Vergangenheit, was soll daran nicht stichhaltig sein?

Richtig ist, dass die Anzahl der Kinder pro Frau in Ostdeutschland seit 1994 von 0,77 auf 1,4 Kinder gestiegen ist, und es generell einen leichten Anstieg der Geburtenrate gab. Richtig ist auch, dass Frauen erst in späterem Alter Kinder bekommen.

Das ist ja schon mal eine ganze Menge.

Beide Fakten lassen aber nicht den Schluss zu, dass eine Trendwende eingesetzt hat, die Entwicklung anhält und Frauen in Zukunft 1,6 Kinder bekommen, wie die Max-Planck-Forscher ja glauben. In diesem Szenario würde unsere Bevölkerung im Jahr 2060 im Vergleich zu heute nur geringfügig auf 74,5 Millionen schrumpfen. Diese Prognose kann als Wunschvorstellung nicht Basis politischer Entscheidungen sein.

Die Geburten haben doch angezogen, warum sollte es also nicht noch weiter nach oben gehen?

Weil besonders der Anstieg in Ostdeutschland nichts weiter ist als eine Normalisierung. Nach der Wiedervereinigung waren die Menschen stark verunsichert, jetzt glauben sie, ihr Leben wieder selbst gestalten zu können und kriegen deshalb mehr Kinder.

Die Forscher des Max-Planck-Instituts sagen, es kommt zu Messfehlern bei der Geburtrate, weil die Frauen erst in späteren Alter Kinder bekommen.

Später Kinder zu kriegen heißt ja nicht, dass es mehr werden. Solche Verzögerungen mindern zunächst die Geburtenrate und erhöhen sie dann wieder. Letzteres begründet jedoch – wie gesagt – keinen neuen Trend. Und wir sollten den Echoeffekt geringer Geburten der Vergangenheit nicht übersehen. Es fehlen uns die Mütter. Die Prognose der Max-Planck-Forscher steht auch im Widerspruch zur kürzlich erschienenen 12. koordinierten Bevölkerungsprognose des Statistischen Bundesamtes, an der das Institut im Beirat mitgewirkt hat.

Das Amt besagt, dass Deutschland 2060 rund 70 Millionen Einwohner hat. Das ist nicht meilenweit weg von den Max-Planck-Forschern.

Ja, aber die erreichen wir laut der Prognose nur, wenn jährlich netto 200 000 Zuwanderer nach Deutschland kommen. Das erfüllen wir seit längerem gar nicht. Selbst eine Nettozuwanderung von 100 000 Personen ist schon ambitioniert. 100 000 Zuwanderer jährlich netto weniger bedeutet mal eben fünf Millionen weniger Einwohner im Jahr 2060.

Warum liegen wir in Europa bei den Geburtenraten eher hinten?

Weil wir spät dran waren, eine Familienpolitik bevölkerungsorientiert zu sehen. Erst 2003 haben wir damit begonnen und dann zielstrebig sowie konsequent auf den Weg gebracht, wie 2007 das Erziehungsgeld. Das heißt aber nicht, dass wir automatisch auf eine Geburtenrate von 1,6 Kindern pro Frau kommen werden. Einstellungsänderungen brauchen einen langen Atem.

Was müsste die Bevölkerungspolitik insgesamt leisten?

Wir dürfen Schrumpfung und Alterung der Bevölkerung nicht voneinander isolieren. Die Frage der Geburten kann nicht vom Verlauf des längeren Lebens getrennt werden. Demografiepolitik muss beides in den Blick nehmen. Wie kann es gelingen, das längere Leben auch im hohen Alter mitverantwortlich für die Gesellschaft zu führen?

Sie meinen, sie werden länger arbeiten müssen.

Ich halte die Mitverantwortung vor allem für eine ethische Frage. Aber klar: Die Rente mit 67 darf und wird nicht das Schlusswort sein. 70 Jahre halte ich für realistisch. Unsere heutige Rentnergeneration ist die bestausgebildete, die es je gab.

Was bedeutet das konkret für Unternehmen?

Beispielsweise altersgemischte Teams. Junge Mitarbeiter können viel von der Erfahrung und den besonderen Fähigkeiten der Älteren lernen. Die Chemie- und Stahlbranche haben das Thema mit ihren Demografie-Tarifverträgen schon weit oben auf der Agenda.

In vielen Unternehmen suchen Sie nach älteren Mitarbeitern allerdings vergebens.

Es stimmt, dass ältere Arbeitnehmer in Belegschaften oft unterrepräsentiert sind. Das haben wir durch die lange Zeit geltenden Vorruhestandregeln ja auch so gewollt – was ein großer Fehler war.

Die Unternehmen haben die Älteren aber auch oft nicht mitgenommen, besonders in den Bereichen mit einer rasanten technischen Entwicklung. Wie wollen Sie das in unserer schnelllebigen Zeit ändern?

Sie unterschätzen die Leistungsfähigkeit Älterer. Wenn ein Unternehmen dem Arbeitnehmer über seine gesamte Erwerbstätigkeit hinweg Angebote zu Weiterbildung und Gesundheit macht, wird dies dazu führen, dass er länger arbeiten kann. Im Jahr 2000 haben unter 40 Prozent aller 55- bis 64-Jährigen gearbeitet, heute sind es schon 53 Prozent. Das zeigt doch, dass es geht. Die Messlatte sollte aber die Schweiz sein, wo über 70 Prozent in diesem Alter noch arbeiten.

Weiterbildung schön und gut, aber die Jungen werden in unserer Arbeitswelt immer stärker beansprucht. Können sie da auch noch länger arbeiten?

Die starke Beanspruchung ist sicher ein Problem, deshalb sind auch nicht nur die Unternehmen in der Pflicht, junge Eltern zu entlasten. Familienpolitik funktioniert nicht ohne Bildungspolitik. Viele Eltern kennen die Problematik, wenn ihr Kind die Schule wechseln soll. Es nützt berufstätigen Eltern nichts, wenn Ganztagsbetreuung im Kindergarten besteht, das zweite Kind aber um 13 Uhr aus der Schule kommt, weil es nicht länger bleiben kann.

Sehen Sie die Politik bei diesen Fragen auf einem guten Weg?

Bei Kinderbetreuungsangeboten sind wir ja noch in der Lieferpflicht, die gesteckten Ziele bis 2013 zu erreichen. Es wird weitere gute Vorschläge geben. Das Saarland etwa denkt über ein Pflichtkindergartenjahr vor der Grundschule nach. Das alles darf aber nicht durch Instrumente wie das Betreuungsgeld wieder ausgehebelt werden.

Sie lehnen das Betreuungsgeld ab?

Vom Ergebnis ja. Es hat – wie eine ZEW-Studie zeigt – fatale Signalwirkungen. Es wird Mitnahmeeffekte geben und dazu führen, dass die Erwerbstätigkeit junger Mütter zurückgeht.

Lässt es sich noch verhindern?

Ich glaube schon. Das Betreuungsgeld ist eine Zumutung für die FDP, große Teile der CDU und ich schätze auch für die neue Familienministerin. Aber selbst in der CSU ist es umstritten. Am Ende werden sich die im Koalitionsvertrag vereinbarten Zumutungen der jeweiligen Parteien gegenseitig aufheben. Zumal es um viel Geld geht.

Tut die aktuelle Regierung Ihrer Ansicht nach genug für die demografische Entwicklung im Land?

Im Koalitionsvertrag hat das Thema Demografie keinen eigenen Abschnitt, es findet sich unter der Überschrift Senioren. Zwar will die Regierung eine Demografie-Kommission einrichten, aber ich verstehe nicht, warum sie das Thema nicht auf Ministeriumsebene gehoben hat wie die Finnen. Ich hätte aus dem Familienministerium ein Demografieministerium gemacht.

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