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Michael Hüther im Deutschlandfunk Interview 20. Oktober 2009

"Kein Buchtrick, sondern eine andere Organisation"

IW-Direktor Michael Hüther hat den von Union und FDP geplanten Schattenhaushalt als legitim bezeichnet. Die Alternative seien Abgabensteigerungen, die die Kostensituation der Unternehmen verschärften, den privaten Haushalten Geld entzögen und auf den einsetzenden Aufschwung drückten.

Die große Koalitionsrunde von Union und FDP kommt heute in Berlin zusammen. Seit wenigen Minuten beraten Union und FDP bereits in getrennten Vorbesprechungen. Bis Ende der Woche soll der Koalitionsvertrag stehen. Wie konsolidiert man einen Haushalt, baut also Schulden ab und senkt zugleich Steuern, verzichtet also auf Einnahmen? Das kommt eigentlich der Quadratur des Kreises nahe, geht also im Grunde nicht, es sei denn, man lässt sich so etwas einfallen, was, wie wir gerade gehört haben, zwischen Union und FDP diskutiert wird und was Sozialversicherungs-Stabilisierungsfonds genannt wird. Ein anderes Wort dafür ist eben Schattenhaushalt.

Sind die Pläne der Bundesregierung legitim, oder nicht?

Sie sind durchaus legitim. Da gibt es auch eine gewisse Tradition. Das ist an sich noch keine Begründung für so etwas, aber es gibt auch in der ökonomischen Debatte darüber schon in den 60er Jahren eine ausführliche Erörterung, ob es nicht Sinn macht, den dauerhaften Haushalt, der also die Staatsausgaben, die wir permanent zu organisieren haben, beinhaltet, trennen von einem Haushalt, der die Konturschwankungen – so hieß das damals – reflektiert und damit sozusagen diese besondere konjunkturpolitische Verantwortung deutlich macht. Insofern gibt es da auch eine ökonomische Diskussion dazu.

Was ja das Problem ist, ist, dass wenn wir die Defizite beispielsweise beim Haushalt der Bundesagentur für Arbeit– bis 20 Milliarden werden da kalkuliert fürs nächste Jahr – durchwirken ließen auf die Beitragssatzentwicklung, dann wären alle Steuersenkungen im Grunde wieder kompensiert. Denn wenn man sagt, wir machen Steuersenkungen in Höhe von vielleicht 20, vielleicht 25 Milliarden Euro und dem steht dann diese Belastung bei den Abgaben gegenüber, wäre eigentlich nichts gewonnen.

Aber es wäre doch ehrlich?

Man kann aber auch argumentieren, dass das, was im Haushalt der Bundesagentur für Arbeit vonstatten geht, nun besonders dieser Krise geschuldet ist, nichts Dauerhaftes ist, und man kann auch umgekehrt sagen, das was dann im normalen Haushalt verbleibt, das was also der Bundeshaushalt ausweist, muss sehr viel disziplinierter betrachtet werden. Denn wenn man schon sagt, die konjunkturbedingten Dinge, die krisenbedingten Dinge, die haben wir in einem Sozialversicherungs-Stabilisierungsfonds, dann heißt das aber gleichzeitig, dass der Anspruch an Konsolidierung im Resthaushalt, im Haupthaushalt sozusagen sehr viel enger zu verstehen ist, und das muss dann auch durchgedrückt werden. Da kennt man kein Vertun.

Herr Hüther, das wäre dann das Gegenteil von Verschleierung, was man ja nun den Koalitionären vorwirft.

Verschleierung kann ja nicht so leicht stattfinden. Ich meine, nur dass man es in einem einzelnen Haushalt hat, damit verschwindet es ja nicht. Es ist für alle offenbar und auch die amtliche Statistik, die beispielsweise für das Maastricht-Kriterium erhoben wird, wird das zum Staatshaushalt rechnen. Es gibt da kein Entkommen. Die Defizite, die dort jährlich zu identifizieren sind, werden in dieser Maastricht-Betrachtung mitgerechnet werden. Das kennen wir ja auch aus den anderen Sonderfonds, die es früher gab.

Wie würde man denn so einen Schattenhaushalt auf Dauer loswerden?

Man muss sehr klar machen, dass man im Grunde mit diesem Haushalt ein Ziel verfolgt, nämlich die Beitragssatzentwicklung – nehmen wir mal besonders die der Arbeitslosenversicherung– stabil zu halten und davon auszugehen, dass diese enorme Belastung, die für das nächste Jahr zu erwarten ist, möglicherweise auch noch für 2011, dass die dann aber in den Folgejahren durch Überschüsse im Grunde refinanziert werden muss. Das heißt, auch der Druck auf den Haushalt der Bundesagentur für Arbeit ist sehr viel deutlicher, weil ansonsten gilt ja nach Haushaltsrecht, dass ein Defizit bei der Bundesagentur vom Bund selbst durch Betriebsmittel-Darlehen und am Ende durch definitive Zuschüsse gedeckt werden muss, wenn es nicht in die Beiträge gehen soll. Das heißt, auch der Druck auf den Haushalt der Bundesagentur, in den guten Zeiten dann die Refinanzierung zu organisieren, wird durchaus höher. Mein Eindruck ist, wenn man das ordentlich macht, dann kann hier insgesamt die Disziplinierungswirkung größer werden. Gleichzeitig gewinnen wir aber Luft, kurzfristig nicht in Beitragssatzsteigungen hineinzulaufen, die dramatisch wären, weil sie die Kostensituation der Unternehmen belasten und den privaten Haushalten das Geld nehmen.

Was aber auch nicht geht ist, dass so ein Schattenhaushalt auf Dauer angelegt bleibt.

Das ist sicher richtig. Wir haben hier eine Sondersituation. Wir können nicht auf der einen Seite sagen, es ist die im historischen Maßstab größte Krise seit dem Zweiten Weltkrieg, die wir zu verarbeiten haben; dann müssen wir auch manchmal Antworten finden, die dem gerecht werden. Wir können da nicht so tun, als wenn wir das mit dem Normalinstrumentarium alles hinkriegen. Dafür steht der Finanzmarkt-Stabilisierungsfonds und ich finde, es ist auch in diesem Kontext durchaus plausibel, dass man dann Belastungen, die in der Aufschwungphase, die ja begonnen hat und die nächstes Jahr sich auch zwar fortsetzt, aber mühsam sein wird, nicht über Gebühr drücken kann.

Herr Hüther, egal wie man das Ding nun nennt: Schulden bleiben Schulden. Wäre es nicht ehrlicher, wenn insbesondere FDP und CSU vor die Wähler träten und sagten, "Sorry, wir haben vor der Wahl den Mund etwas zu voll genommen, bei der Staatsverschuldung ist kein Spielraum für Steuersenkungen"?

Es geht ja im Grunde darum, dass man insgesamt die Handlungsfähigkeit nicht aus dem Auge verliert, und es ist schon richtig, dass man diese Sonderbelastungen der Krise, die sich ja vor allen Dingen in der Arbeitslosenversicherung widerspiegeln, versucht zu glätten, dass man die nicht gerade in der Erholungsphase durchschlagen lässt. Es ist ja nichts sozusagen wegzubuchen. Das ist ja kein Buchtrick, sondern es ist eine andere Organisation und eine andere Form letztlich der Disziplinierung. Gleichzeitig muss aber auch möglich sein, dass wir in der Handlungsfähigkeit nicht aus dem Auge zu verlieren haben, dass wir auf der Steuerseite Aufräumbedarf haben. Das Steuersystem ist komplex, ist intransparent, es hat auch Ungerechtigkeiten mit den höchsten Progressionsgraden im unteren Bereich, und das ist ebenfalls auch in einer Krise immer besonders schmerzhaft. Insofern muss man einfach auch zur gewissen Zeit den Mut haben, beides zu tun.

Ich will noch mal die These deutlich machen: Mein Eindruck ist, wenn wir das sauber organisieren, ist der Druck in beiden Haushalten am Ende höher, sie zu konsolidieren.

Sie haben gerade unser Steuersystem angesprochen. Haben Sie denn den Eindruck, dass es den Koalitionären tatsächlich um eine Vereinfachung des komplexen Steuersystems geht, oder geht es erst mal nur um Steuersenkungen?

Na ja, es ist natürlich im Vordergrund das Versprechen der Steuersenkung. Die Entlastung würde sich aber letztlichauch ergeben, wenn unser System sehr viel einfacher wäre. Wir kennen das aus Vergleichen, beispielsweise bei Situationen in Unternehmen bei uns oder in den Niederlanden, wo einfach der Aufwand im Handling der Steuer entsprechend hoch ist und das auch Kapazitäten bindet. Nein: Transparenz und Vereinfachung des Steuersystems haben ebenfalls eine hohe Bedeutung und das ist natürlich mühsamer. Das können sie nicht so mal eben im Koalitionsvertrag im Detail festhalten. Ich hoffe aber sehr, dass das immer mitgedacht ist, und das, was die FDP ja vorhat mit diesem dreistufigen Tarif, steht ja auch ein bisschen synonymfür eine Steuervereinfachung. Das muss aber dann auch dahinter gemacht werden und es darf nicht im Schatten eines Tarifs das Gerümpel bleiben, was wir haben. Das ist sehr viel kleinere Arbeit, kleinteiligere Arbeit und auch sehr viel mühsamer.

Das Interview steht zum Anhören auf der Internetseite des Deutschlandfunks

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