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Michael Hüther in „Die Welt“ Interview 13. März 2006

„Das ist dramatisch“

Michael Hüther, Chef des Instituts der deutschen Wirtschaft, über Kinder und Konjunktur.

DIE WELT: Angela Merkel will Deutschland wirtschaftlich in den nächsten zehn Jahren an die europäische Spitze führen. Ist das angesichts der demographischen Entwicklung nicht eine Illusion?

Michael Hüther: Das wird tatsächlich schwierig. Die Fachkräfte sind heute schon knapp, etwa solche mit mathematischen oder naturwissenschaftlichen Qualifikationen. Da verlangt die Entwicklung bereits ihren Tribut. Die Verfügbarkeit von Humankapital wird sich zusehends verschlechtern und zur Wachstumsbremse. Die Geburten von heute bestimmen den Prozess auf anderthalb bis zwei Jahrzehnte - da lässt sich nichts mehr im Nachhinein revidieren. Die Ergebnisse aller Reformanstrengungen in diesem Bereich werden erst mit der Verzögerung von frühestens einer halben Generation sichtbar. Das ist dramatisch, wir laufen in eine Schere hinein.

WELT: Sind also die familienpolitischen Maßnahmen von Ministerin Ursula von der Leyen vergebene Liebesmühe?

Hüther: Nicht ganz. Frauen bekommen im Durchschnitt erst im Alter von über 28 Jahren ihr erstes Kind. Da ist das Elterngeld ein richtiger Anreiz, um gegenzusteuern. Verkürzte Ausbildungszeiten könnten darüber hinaus den so genannten Lebensstau - die Phase also, in der junge Menschen die Weichen für ihre Zukunft stellen - entzerren. Klar ist, dass wir die Lebensarbeitszeit hochfahren und die Wochenarbeitszeiten höher ansetzen müssen. Jede Familienpolitik ist ohne wachstumsorientierte Politik zwecklos.

WELT: In so unterschiedlichen Volkswirtschaften wie Frankreich, Großbritannien und Schweden sind die Geburtenzahlen deutlicher höher als bei uns. Woran liegt das?

Hüther: In diesen Gesellschaften sind Kinder eine größere Selbstverständlichkeit. Typisch deutsch ist wohl der Begriff der "Rabenmutter": Die Verbindung von Berufsleben und Erziehung wird noch immer nicht als normal angesehen. Außerdem betreibt Frankreich eine dezidierte Bevölkerungspolitik und stellt seine Familien finanziell besser.

WELT: Die Demographen werfen den Ökonomen vor, sie hätten die demographische Entwicklung verschlafen und sträflich ignoriert. Trifft Sie dieser Vorwurf?

Hüther: Grundsätzlich schon, vor allem hat meine Zunft das Demographieproblem zu lange auf die Finanzierbarkeit der sozialen Sicherungssysteme verengt. Dabei ging unter, dass die Bevölkerungsentwicklung ein Wachstumsproblem und letztlich auch ein Gerechtigkeitsproblem mit sich bringt. Permanent schrumpfenden Gesellschaften haben den künftigen Generationen immer weniger zu bieten. Noch immer wird in der öffentlichen Debatte der Zeithorizont unterschätzt. Man denkt, die Bevölkerung schrumpfe bis 2030/40 und dann komme wieder alles ins Gleichgewicht. Damit müssen wir uns noch intensiver auseinandersetzen.

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