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Expertin für Personalpolitik Christiane Flüter-Hoffmann
Christiane Flüter-Hoffmann in der Bergische Unternehmer Interview 12. August 2020

Homeoffice schreibt Zukunft: „Schade, dass wir nicht früher damit begonnen haben”

Die Pandemie hat das Homeoffice in Szene gesetzt. Um Abstandsregeln einhalten zu können, schickten viele Arbeitgeber ihre Mitarbeitenden an den heimischen Schreibtisch. Eine Entwicklung, die sich fortsetzen wird, ist IW-Expertin für Personalpolitik Christiane Flüter-Hoffmann, überzeugt.

Frau Flüter-Hoffmann, Corona hat dem Homeoffice einen enormen Schub gegeben. Glauben Sie, dass sich diese Entwicklung auch fortsetzen wird, wenn die Pandemie durch einen Impfstoff hoffentlich im Griff sein wird?

Ja, wir können jetzt schon sehen, dass viele Beschäftigte, die vorher noch keine Erfahrung mit dem Homeoffice gemacht haben, positiv überrascht sind, wie gut sie im Homeoffice arbeiten können, abgesehen natürlich von der Doppelbelastung durch das Homeschooling, das ja vor allem die Mütter betrifft und sie (über-) fordert. Wenn aber der Schulbetrieb regulär läuft und die Kindertagesstätten wieder ihre Betreuung aufnehmen, kann die Produktivität im Homeoffice wieder steigen.

Auch die Führungskräfte, die vorher immer gern ihre „Schäfchen um sich geschart“ haben wollten, um auch spontan einmal Arbeitsaufträge zu verteilen oder Ergebnisse abzufragen, stellen jetzt fest, dass ihre Teammitglieder auch im Homeoffice sehr gute Ergebnisse liefern. Das Vertrauen, das sie ihnen entgegenbringen, bekommen sie oft doppelt zurück. Und generell gilt: Digitales Arbeiten entwickelt sich von der Ausnahme zur Regel.

Wie entscheidend sind bei dieser Entwicklung die verstärkt entdeckten Möglichkeiten der Videokonferenz?

Das ist ein ganz entscheidender Punkt: Gerade wenn alle im Homeoffice sind, ist die Kommunikation das Wichtigste überhaupt. Hier kommt den Führungskräften eine Vorbildfunktion zu, die mit ihren Teams, aber auch mit den einzelnen Teammitgliedern in engem Kontakt bleiben sollten. Sie kennen ihre Leute meist so gut, dass sie genau wissen, wer mehr Kontakt benötigt und wer welchen Weg der Kommunikation bevorzugt. Manchen reicht ein Telefonat, andere lieben den Videochat. Grundsätzlich werden die Videokonferenzen aber auch nach Corona einen wesentlichen Beitrag zur Einsparpolitik der Betriebe leisten: Da die Technik inzwischen so ausgereift ist, dass man den Eindruck hat, die Personen auf dem Bildschirm würden mit am Tisch sitzen, überdenken viele Unternehmen ihre Dienstreise-Gewohnheiten. Sie sparen viel Zeit und Geld, indem sie mehr Videokonferenzen und weniger Geschäftsreisen durchführen. Natürlich ist der persönliche Austausch immer noch ein wichtiger Faktor beim Aufbau von Vertrauen zwischen Geschäftspartnern.

Wird das Thema Homeoffice in den Betrieben verschiedener Größe gleich gewichtet? Oder sind große Unternehmen diesbezüglich aufgeschlossener als etwa der kleinere Mittelständler?

Nun, die Ergebnisse unserer Studien für das Bundesfamilienministerium zeigen einen anderen Befund: Alle drei Jahre erheben wir repräsentativ im Unternehmensmonitor Familienfreundlichkeit, wo die Unternehmen stehen und wo sie Nachholbedarf haben. Beim Thema „Mobiles Arbeiten“ und „Telearbeit“ zeigte sich, dass es mehr eine Frage der Digitalisierung ist, ob die Betriebe diese Formen des arbeitsortflexiblen Arbeitens anbieten. Wenn ein Großteil der Geschäftsprozesse schon von analog auf digital umgestellt ist, steigt auch die Wahrscheinlichkeit, dass die Beschäftigten dort im Homeoffice arbeiten können. Eine zweite Einflusskategorie ist die familienfreundliche Unternehmenskultur. Unternehmen mit einer ausgesprochen familienfreundlichen Unternehmenskultur zeichnen sich durch drei wesentliche Kriterien aus:

  • Sie berücksichtigen die familiären Verpflichtungen ihrer Beschäftigten.
  • Sie bieten den Beschäftigten mit Familienpflichten dieselben Karrierechancen wie den Beschäftigten ohne solche Pflichten.
  • Und sie verschaffen den Beschäftigten die Möglichkeit, Einfluss auf das Angebot an familienfreundlichen Maßnahmen zu nehmen.

Solche Unternehmen mit einer familienfreundlichen Unternehmenskultur bieten auch signifikant häufiger das Angebot des Homeoffice an als Unternehmen ohne diese Rahmenbedingungen.

Welche Vorteile sehen Sie für die Unternehmen, die ihren Beschäftigten die Möglichkeit des Homeoffices dauerhaft einräumen?

Aus den verschiedenen Studien kennen wir die wichtigsten Vorteile aus Sicht der Unternehmen: den Beschäftigten mehr Flexibilität verschaffen, damit sie Beruf und Familie oder Ehrenamt gut vereinbaren können. So steigt die Arbeitszufriedenheit der Beschäftigten, ihre Loyalität und ihre Produktivität. Aber es sollte kein ausschließliches Arbeiten von zuhause sein, sondern der persönliche Austausch mit dem Team und den Führungskräften ist auch wichtig zur Entwicklung von neuen Ideen und Projekten. Manche Arbeitswissenschaftler können sich sogar vorstellen, dass Büroflächen künftig überwiegend für den persönlichen Austausch von kleinen oder größeren Teams gestaltet werden und dass die eigentliche Arbeit am Computer nur noch außerhalb der Bürogebäude stattfindet. Den Begriff eines Einzelbüros oder eines einzelnen Arbeitsplatzes in einem Bürogebäude gäbe es dann nicht mehr. Aber das ist Zukunftsmusik.

Wahrscheinlich wurde jetzt ad hoc mancher Küchen- oder Esstisch zum Homeoffice umfunktioniert. Braucht es für langfristige Heimarbeit nicht andere Strukturen?

Natürlich spielt die Ergonomie auch im häuslichen Arbeitsbereich eine wichtige Rolle. Wer immer gekrümmt über seinem Notebook auf der Couch hockt, wird bald schon seinen Rücken unangenehm bemerken, wenn er keine Ausgleichsübungen macht. Wir appellieren hier an den gesunden Menschenverstand, der auch im häuslichen Umfeld dafür sorgen sollte, dass ein Computerarbeitsplatz so gesundheitsförderlich wie möglich eingerichtet sein sollte. Die Beschäftigten sollten ein Eigeninteresse daran haben, sich dementsprechend verantwortlich zu verhalten. Seitdem im Dezember 2016 die Arbeitsstättenverordnung reformiert wurde und jetzt auch für die Telearbeit gilt, müssen beispielsweise Telebeschäftigte in ihrer häuslichen Umgebung dafür sorgen, dass die Tastatur so eingerichtet ist, dass sie ihre Hände davor ablegen können. Vieles ist dort sehr kleinteilig geregelt. Es erstaunt, wie wenig Eigenverantwortung den Beschäftigten zugetraut wird. Generell hat der Arbeitgeber die gesetzliche Verpflichtung, die Telearbeitsplätze nach den Vorgaben der Arbeitsstättenverordnung einzurichten: Büromöbel müssen beispielsweise ergonomisch angepasst, der Raum groß genug und die Beleuchtung ausreichend sein.

Welche Rolle spielt das Angebot von Tätigkeiten im Homeoffice für die Rekrutierung neuer Fachkräfte und Spezialisten?

Das Angebot von Flexi-Modellen ist bei der Rekrutierung immer ein großer Pluspunkt. Viele Bewerber fragen auch explizit danach oder bewerben sich grundsätzlich nur bei solchen Arbeitgebern, die ihnen auch die Möglichkeit geben, ortsflexibel zu arbeiten. Angesichts der höheren Mieten in den Ballungsräumen ziehen viele Beschäftigte lieber in das günstigere Umland, und wenn sie dann durch weniger häufiges Pendeln Zeit und Geld sparen können, ist dies ein großer Vorteil.

Setzt sich das Homeoffice langfristig durch, werden möglicherweise weniger Büroflächen nötig. Es fallen für das Unternehmen also weniger Kosten an, auf der anderen Seite müssen wir mit größeren Leerständen bei vermieteten Objekten rechnen. Auch aus dieser Sicht ist ein großer Umbruch in der Arbeitswelt zu erwarten, oder nicht?

In der Tat hat eine aktuelle Studie aus unserem Haus gerade ermittelt, dass die Arbeit im Homeoffice nach Corona erhöht werden könnte, sodass teure Büroflächen in den Metropolen eingespart werden. Zitat meines Kollegen, Prof. Dr. Michael Voigtländer: „Die Büromieten sind nach den Personalkosten der größte Kostenblock. Je nach Aufgabenstellung und Wünschen der Mitarbeiter könnte künftig bis zu 60 Prozent der Arbeit zu Hause erledigt werden und zu enormen Einsparungen bei den Büromieten führen“. Wir sehen diesen Trend im Moment schon in San Francisco und dem Silicon Valley, wo viele Tech-Unternehmen schon angekündigt haben, dass sie den Anteil an „remote working“ erhöhen wollen: Marc Zuckerberg, der Chef von Facebook, kündigte beispielsweise Ende Mai an, dass von seinen 48.000 Beschäftigten weltweit bis zum Jahr 2030 etwa die Hälfte zumindest gelegentlich außerhalb ihrer 70 Bürogebäude arbeiten würden. Und das Wall Street Journal meldete gerade, dass Google seine 200.000 Beschäftigten, incl. der Beschäftigten in der Muttergesellschaft Alphabet, nicht nur bis Januar 2021, sondern sogar bis Juli 2021 noch von zu Hause arbeiten lassen wolle.

Gerade in Industrieunternehmen wird die Belegschaft durch die Homeoffice-Regelungen geteilt. Büroangestellte bekommen diese Möglichkeit, Menschen, die im Produktionsprozess eingebunden sind und deren Arbeitskraft physisch benötigt wird, erhalten sie nicht. Wie kann ein Unternehmen hier Unmut unter den Beschäftigten vermeiden? Muss nicht für Ausgleich, etwa bei der Arbeitszeit gesorgt werden? Denn alleine die Vorteile gewonnener Freizeit durch den Wegfall der Fahrt zur Arbeit liegen ja schon auf der Hand.

Bei den Industrieunternehmen sind manchmal nicht die Produktionsbeschäftigten die Gegner der Mobilen Arbeit, sondern die Betriebsräte, die auch die Bürobeschäftigten vertreten. Sie befürchten, dass sich die Beschäftigten zu Hause selbst „ausbeuten“, weil sie länger und mehr arbeiten als sie müssten oder weil die technische Ausstattung des Arbeitsplatzes unzureichend sei, wenn die Beschäftigten mit einem kleinen Laptop-Bildschirm auskommen müssten oder weil sie die Arbeitsschutzregelungen nicht kennen. Auch Isolation oder Entfremdung von der Firma oder den Kollegen wird oft als Argument dagegen angeführt. Aber es gibt in der Tat auch solche Unternehmen, in denen die gewerblichen Beschäftigten nach einem Ausgleich für „entgangene Telearbeit“ mit dem Vorteil eingesparter Pendelzeit und eingesparter Kosten fragen. Unternehmen finden hier meist gute Lösungen. Und nicht zu vergessen: auch in der Produktion hat die Digitalisierung schon Einzug gehalten – für die Überwachung von Produktionsabläufen ist beispielsweise vielfach keine physische Präsenz mehr nötig, sondern dies kann auch vom heimischen Computer aus geschehen.

Wäre es aus Ihrer Sicht sinnvoll, wenn es gesetzliche Regelungen zur Heimarbeit geben würde? Entsprechende Forderungen bzw. Anregungen gab es ja bereits aus der Politik.

Ja, wir haben auch die Forderungen, die Wünsche und die Absichten wahrgenommen, aber noch liegt kein Referentenentwurf eines solchen Gesetzes vor – weder zum Recht auf „Mobiles Arbeiten“ noch zum Recht auf „Telearbeit“. In verschiedenen Medien war nur zu lesen, dass Fragen wie Arbeitsschutz und Erreichbarkeit in dem Gesetz geregelt werden sollten. Und nein, wir halten solch ein Gesetz für überflüssig. Wir sehen in der Praxis, dass die Sozialpartner und Betriebsparteien dies ohne den Gesetzgeber gut meistern können: Beispielsweise haben Konzernpersonalvorstand und Gesamtbetriebsrat von Daimler schon im Sommer 2016 unter großer Beteiligung der Belegschaft eine Konzernbetriebsvereinbarung geschaffen, die „allen Beschäftigten der Daimler AG ein grundsätzliches Recht gewährt, mobil zu arbeiten, wenn dies mit der jeweiligen Aufgabe vereinbar ist“. Und das ist ja für ein technik-orientiertes Unternehmen erstaunlich. Bosch hatte eine solche Betriebsvereinbarung schon 2014. Viele kleinere Unternehmen haben längst nachgezogen und haben Vereinbarungen zu „Mobiler Arbeit“ entwickelt.

Welches Arbeitsmodell können Sie sich zukünftig vorstellen? Mit anderen Worten: Wird es einen Mix aus Präsenz am Arbeitsplatz und Homeoffice geben?

Ja, auf jeden Fall. Schon als wir 1999 bei unserem ersten Telearbeitsprojekt Betriebe bei der Einführung von Telearbeit begleitet haben und dafür von der Europäischen Kommission für den „Europäischen Telearbeitspreis“ nominiert wurden, haben wir den Betrieben geraten, die Form der „alternierenden Telearbeit“ einzuführen und flexible Absprachen zwischen den Beschäftigten, ihren Teams und den Vorgesetzten zu ermöglichen. Das hat sich auf Dauer in den Unternehmen bewährt: Arbeitszufriedenheit und Produktivität stiegen, Fehlzeitenquote und Fluktuation sanken. Viele Geschäftsführer sagten uns damals schon: „Schade, dass wir nicht früher damit begonnen haben“.

Zum Interview auf yumpu.com

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