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Hagen Lesch in der Schwäbischen Zeitung Interview 27. Juni 2018

Mindestlohn: „Die zusätzliche zweite Stufe halte ich für bedenklich“

Der Mindestlohn soll ab 2019 in zwei Schritten angehoben werden. Das empfiehlt zumindest die zuständige Mindestlohn-Kommission. Im Interview mit der Schwäbischen Zeitung erklärt IW-Tarifexperte Hagen Lesch, warum er die zweite Stufe für bedenklich hält.

Ist die weitere Anhebung zum 1. Januar 2020 auf 9,35 Euro ein sinnvolles Vorgehen?

Die erste Stufe, ein Plus von 35 Cent auf 9,19 Euro zum 1. Januar 2019, war abzusehen. Das entspricht eins zu eins der Tariflohnentwicklung und wendet den bewährten Modus an. Die zusätzliche zweite Stufe halte ich für bedenklich. Ziel ist offenbar, die Mindestlohnbezieher rasch von den üppigen Tarifabschlüssen des ersten Halbjahres profitieren zu lassen. Aber ich warne davor, den Mindestlohn zu politisieren und in Richtung 12 Euro zu treiben. Die Mindestlohnkommission ist unabhängig und darf nicht unter politischen Druck gesetzt werden.

Selbst die Arbeitgeber stehen hinter dem Stufenmodell, weil es den Unternehmen Planungssicherheit bringe.

Das sehe ich differenzierter. In vielen Branchen liegen die untersten Tarifentgelte nur geringfügig über dem Mindestlohn. Die vorgezogene Anhebung des Mindestlohnes durch die zweite Stufe setzt die Tarifpartner unter unnötigen Druck, die Tarifentgelte schneller anzuheben. Dadurch nimmt man den Unternehmen Zeit, sich anzupassen. Die Dynamik wird umgekehrt: Höhere Mindestlöhne führen zu höheren Tariflöhnen. Dabei soll sich der Mindestlohn nach den Tarifentwicklungen richten. Das ist aus meiner Sicht systemwidrig.

Sozialverbände, Gewerkschaften und selbst Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) fordern zwölf Euro. Was wären die Folgen?

Die Betriebe würden unter einen massiven Kostendruck geraten. Dies würde Jobs kosten. Der Mindestlohn ist aber ohnehin nicht das geeignete Instrument, um Armut zu bekämpfen und Altersarmut zu verhindern. Jeder Haushalt hat in Abhängigkeit seiner Personenzahl und seiner Einkommen einen unterschiedlichen Bedarf. Den kann ein allgemeiner Mindestlohn, der am Individuum anknüpft, nicht abbilden. Staatliche Transferzahlungen aber schon.

In den gut drei Jahren seit der Einführung hat der Mindestlohn aber keine Verwerfungen am Arbeitsmarkt bewirkt.

Der Mindestlohn hat das Bewusstsein geschaffen, wo faire und nicht sittenwidrige Lohnuntergrenzen liegen. Das ist eine eindeutige Errungenschaft. Ob der Mindestlohn den Arbeitsmarkt nicht belasten wird, ist keineswegs ausgemacht. Derzeit steigen die Energiepreise, die real verfügbaren Einkommen der Haushalte werden dadurch kleiner. Wenn nun die Preise von Taxis, Friseuren und in der Gastronomie durch den höheren Mindestlohn anziehen, könnte sich das durchaus negativ auswirken.

Wie kann die Umgehung des Mindestlohns verhindert werden?

Die Umsetzung muss konsequenter kontrolliert werden. Dazu braucht die Finanzkontrolle Schwarzarbeit mehr Personal. Die Betriebe dürfen aber nicht durch schärfere Dokumentationspflichten überlastet werden.

Zum Interview auf schwaebische.de

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