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(© Foto: Roman Levin - Fotolia)
Hans-Peter-Fröhlich im Kölner Stadt-Anzeiger Gastbeitrag 13. Juni 2010

Wir alle sind Spekulanten

Gesucht werden sie allenthalben, weil sie dem Bedürfnis nach einem Sündenbock entsprechen - und die Straßen sind voll von ihnen.

Wir sind alle Spekulanten. Die Schuldigen für die Griechenland-Pleite und die Euro-Krise waren schnell gefunden: die Spekulanten. Man sieht sie förmlich hinter ihren Computermonitoren sitzen in riesigen Handelsräumen der Finanzmetropolen. Mal schießen sie sich auf diese Währung, mal auf jenes Land ein. Heute nennt man sie "Zocker in Nadelstreifen", früher "Gnome von Zürich". Allesamt finstere Gestalten, vaterlandslose Gesellen, egoistische Geschäftemacher.

Das Bild entspricht zwar unserem Bedürfnis nach einem Sündenbock. Doch es ist ein Zerrbild. Spekulant ist kein Berufsbild, man kann es weder studieren noch als Ausbildungsberuf erlernen. Wo leben sie? Wie erkennt man sie auf der Straße? Hat man sie dort je gesehen? In Wahrheit ist die Straße voll von ihnen, sie sind überall. Jeder ist Spekulant – jedenfalls dann, wenn er wirtschaftlich tätig ist.

Spekulieren heißt: Heute Geld einsetzen mit Blick auf eine ungewisse Zukunft; Risiken eingehen in der Hoffnung, dass die eigenen Erwartungen sich erfüllen. "Wägen und wagen" – das ist der Kern unternehmerischen Handelns. Wobei die Chance auf Gewinn und das Risiko von Verlust stets Hand in Hand gehen. Das Unternehmen, das seine Produktionsanlagen erweitert, spekuliert – auf ein Wachstum der Nachfrage nach seinen Produkten. Der Händler, der sein Lager prall mit aktueller Frühjahrsmode füllt, spekuliert – zumindest darauf, dass ihm das Wetter keinen Strich durch die Rechnung macht. Der Eigenheimbesitzer, der schon im Sommer Heizöl kauft, spekuliert – auf ein Anziehen des Ölpreises im Herbst.

Nicht anders verhält es sich bei Geldgeschäften. Ein Sparer wird eine Anleihe oder eine Aktie heute nur dann kaufen, wenn er nicht davon ausgeht, sie morgen günstiger bekommen zu können. Genauso wird er sich von einem Papier trennen, wenn er fest davon überzeugt ist, dass es bald an Wert verliert. Von dem Investmentfonds oder der Lebensversicherung, denen er seine Ersparnisse fürs Alter anvertraut hat, erwartet er selbstverständlich dasselbe Verhalten. Wer will schon zuschauen, wie sein Vermögen dahinschmilzt wie Schnee in der Sonne? Auch wenn Fremdwährungen ins Spiel kommen, ändert sich an der Logik nichts. Der Pensionsfonds für kalifornische Lehrer, der schwerreiche Ölscheich vom Arabischen Golf und gerne auch die viel gescholtenen Hedgefonds-Manager: Sie müssen aus ihren Euro-Anlagen aussteigen, wenn sie von einem bevorstehenden Kursverlust gegenüber dem Dollar ausgehen.

Wohlgemerkt: Die Bereitschaft, einzelne Vermögenswerte zu kaufen und zu halten, wird von Erwartungen bestimmt. Und diese können schnell kippen. Wenn am Markt ein plötzlicher Meinungsumschwung einsetzt, treten Spekulanten schnell massenhaft auf – mit entsprechend massiven Finanzmarktturbulenzen. Mit einer gezielten Attacke finsterer Mächte auf eine Währung oder ein Land hat das nichts zu tun. Im Gegenteil: Zumeist werden die Spekulanten regelrecht zu ihrem Treiben eingeladen. Und zwar immer dann, wenn Regierungen Versprechen abgegeben haben, die irgendwann nicht mehr glaubwürdig sind – sei es ein fester Wechselkurs, die Solidität der Staatsfinanzen oder auch der Zusicherung im EU-Vertrag, dass unsolide Mitgliedsstaaten der Währungsunion nicht von den übrigen Partner herausgepaukt werden (No-Bail-Out-Klausel).

Für viele Regierungen sind Spekulanten unliebsam. Sie wollen sie am liebsten an die Kette legen durch Verbot bestimmter Transaktionen oder Steuern auf alle Geldgeschäfte. Das alles wird die Spekulation nicht aus der Welt schaffen. Sie ist zumindest das Zweitälteste Gewerbe der Welt.

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