Angela Merkel hat der Rente mit 70 eine Absage erteilt. Sozialpolitisch ist das ein Fehler. Wegen der demografischen Entwicklung muss die nächste Bundesregierung die Alterssicherung reformieren. Ein Gastbeitrag auf n-tv.de von IW-Sozialökonomin Susanna Kochskämper.
Die Absage an die Rente mit 70 ist falsch
Deutschland wird in den kommenden Jahrzehnten weiter altern. Daran wird auch die hohe Zuwanderung nichts ändern. Ist momentan etwa jeder fünfte Einwohner älter als 67 Jahre, wird es in 2035 schon jeder vierte sein. Diese Entwicklung wird insbesondere die Gesetzliche Rentenversicherung treffen. Denn die geburtenstarken Jahrgänge, geboren zwischen 1955 und 1969, die heute noch zu einem großen Teil mit ihren Beiträgen für eine gut gefüllte Rentenkasse sorgen, werden in den kommenden Jahrzehnten nach und nach in den Ruhestand gehen. Das Verhältnis von Rentnern zu Beitragszahlern wird sich deshalb immer mehr zu Lasten der beruflich aktiven Bevölkerung verschieben.
Abgesehen von der "Mütterrente" und der "Rente mit 67" waren die großen Rentenreformen der vergangenen Jahrzehnte darauf ausgelegt, dass möglichst nicht nur eine Generation mit den Folgen der Bevölkerungsalterung belastet wird. Festgelegt wurden zwei Haltelinien - eine für den Beitragssatz und eine für das Rentenniveau. Zudem wurde bestimmt, dass die Regelaltersgrenze schrittweise auf 67 steigt. Damit wurde an allen drei Stellschrauben der Rentenversicherung gedreht. Das war auch sinnvoll.
Damit das Sicherungsniveau annähernd gehalten werden kann, aber auch der Beitragssatz nicht unbegrenzt ansteigt, bleibt bei fortschreitender Bevölkerungsalterung letztlich nur die dritte Stellschraube: eben die Regelaltersgrenze. Sicher, man mag einwenden, dass als vierte Stellschraube die Höhe des Steuerzuschusses ansteigen kann. Allerdings geraten auch die Staatseinnahmen bei einer alternden Bevölkerung unter Druck.
Die Weitsicht dieser vergangenen Reformschritte bestand gerade darin, für die Regelaltersgrenze einen langen Anpassungspfad zu wählen. So können sich alle auf die geänderten Rahmenbedingungen einstellen und müssen nicht kurzfristig Lebenspläne ändern. Bisher gelten die Haltelinien jedoch nur bis 2030, die Regelaltersgrenze wird ab 2034 bei 67 Jahren angekommen sein. Wie aber geht es jedoch danach weiter?
Nach heutigem Wissensstand ist abzusehen, dass sich die Rahmenbedingungen für die Gesetzliche Rentenversicherung weiter verschlechtern werden. Genau deshalb ist es wichtig, bereits heute über weitere Schritte nachzudenken. Die Gesetzliche Rentenversicherung lässt sich nicht an allen drei Stellschrauben gleichzeitig fixieren - sollen beispielsweise Regelaltersgrenze und Rentenniveau nicht weiter verändert werden, bleibt nur eine Steigerung des Beitragssatzes. Das mag zwar kurzfristig politisch attraktiv erscheinen, langfristig werden damit aber die jungen Generationen belastet. Eine Stabilisierung der Rentenversicherung kann nur gelingen, wenn sich die sozialversicherungspflichtige Beschäftigung in Zukunft ausweitet. Hierbei ausschließlich darauf zu setzen, dass die Bevölkerungsalterung unter anderem durch arbeitsmarktpolitische Maßnahmen kompensiert werden kann, die beispielsweise die Erwerbsquote von Frauen weiter erhöhen, ist riskant.
Auf die Regelaltersgrenze für den Rentenbezug hingegen kann politisch direkt Einfluss genommen werden. Die Aufgaben für die Rentenpolitik der nächsten Legislaturperiode wären daher folgende: Wie kann es gelingen, dass die Menschen bei einer weiter steigenden Lebenserwartung auch länger am Arbeitsleben partizipieren? Und wie können diejenigen, die dies nicht schaffen, im Rahmen der Rentenversicherung unterstützt werden?
Wünschenswert wäre hier eine unaufgeregte, sachliche Diskussion, die den demografischen Sachzwängen geschuldet ist. Mit kurzfristigen Wahlkampfversprechen, die diese Sachzwänge ignorieren, ist weder den künftigen Rentnern, noch den künftigen Beitragszahlern geholfen.
Zum Gastbeitrag auf n-tv.de
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