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Michael Hüther in der Zeit Gastbeitrag 6. Juni 2010

Müssen wir jetzt Steuern erhöhen, um sozialen Ausgleich zu schaffen?

IW-Direktor Michael Hüther gibt Contra auf die von der Zeit gestellte Frage.

Die Finanzpolitik sucht nach Orientierung. Die krisenbedingt hohe Nettokreditaufnahme in den Jahren 2009 und 2010 verlangt nun im Licht der grundgesetzlichen Schuldenbremse, dass konsolidiert wird. Die Verwerfungen in der Europäischen Währungsunion verursachen zusätzlichen Druck. Die Bundesregierung hat sich lange damit begnügt, die Dramatik der Haushaltslage und die Größe der Sanierungsaufgabe zu beschwören. Geboten ist nun endlich Klarheit über den Zeitpfad sowie über die einzelnen Schritte.

Auf den Gesamtstaat bezogen, muss bis zum Ende dieser Dekade die Defizitquote um jährlich 0,6 Prozentpunkte verringert werden. Das ist in den achtziger Jahren einmal nahezu gelungen, im Jahr 1989 war der Staatshaushalt ausgeglichen. Auf dem Weg dahin waren 1986 und 1988 Senkungen in der Einkommensteuer realisiert worden. Bei allen Unterschieden gilt deshalb: Wir müssen uns von der Konsolidierungsaufgabe nicht verschrecken lassen. Vielmehr sollten wir in Ruhe beachten, was die empirische Wirtschaftsforschung zu den Wirkungen unterschiedlicher Konsolidierungsszenarien anzubieten hat.

International vergleichende Analysen kommen recht einhellig zu der Erkenntnis, dass eine Konsolidierung über die Ausgabenseite einer Strategie über Steuererhöhungen vorzuziehen ist. Staatsausgaben zu senken belastet allenfalls kurzfristig die gesamtwirtschaftliche Dynamik– sofern sich die Senkung auf die konsumtiven Ausgaben bezieht und die Investitionen schont. Anders herum ist es gefährlich: Der Sachverständigenrat prägte bereits in den frühen achtziger Jahren den Begriff "Konsolidierungsschäden" für die gegenläufige Variante.

Steuererhöhungen über Tarifanpassungen oder die Einführung neuer Steuern sind aber immer der schlechteste Weg der Konsolidierung. Denn sie verstärken nicht nur die ohnehin wirksamen Verzerrungen privater Entscheidungen, beispielsweise zwischen Arbeit und Freizeit, zwischen Sparen und Konsum. Steuererhöhungen dieser Art mindern erfahrungsgemäß zugleich den Druck auf die Politik, die Staatstätigkeit wachstumsorientiert zu gestalten. Genau dies konnte nach der Erhöhung der Mehrwertsteuer zum 1. Januar 2007 auf 19 Prozent beobachtet werden. Danach wurden seitens des Bundes unerwartete Steuermehreinnahmen nicht mehr vollständig oder gar nicht mehr zur Defizitminderung eingesetzt. Kasse macht halt sinnlich!

Nun könnte die Idee aufkommen, das notwendige Sparen durch Steuererhöhungen sozialpolitisch zu begleiten. Einmal abgesehen davon, dass eine wachstumsorientierte Finanzpolitik den besten Weg zur Wohlstandsmehrung für breite Schichten bietet, gibt das Hauptinstrument der Umverteilung, die Einkommensteuer, wenig Anlass zu weiteren sozialpolitisch motivierten Eingriffen. Denn die obersten zehn Prozent der Steuerzahler (jährliche Einkünfte über 66.820 Euro) trugen 2009 knapp 53 Prozent des gesamten Einkommensteueraufkommens, die untersten 25 Prozent (jährliche Einkünfte unter 11.480 Euro) hingegen gerade einmal 0,3 Prozent desselben.

Dieser Befund ändert sich nicht, wenn man den Blick auf das gesamte staatliche Abgaben-, Steuer- und Transfersystem weitet. Ja, es ist nicht durchweg bedarfsorientiert – also einem konsistenten verteilungspolitischen Argument folgend– ausgestaltet. Aber es führt– so die Daten der Einkommens- und Verbrauchsstichprobe– zu einer weitgehenden Umverteilung von oben nach unten. Die 30 Prozent der Personen mit dem niedrigsten Markteinkommen (gewichtet nach Haushaltsstruktur) erhalten durchschnittlich 900 Euro mehr vom Staat, als sie an Steuern und Abgaben zahlen (umgerechnet auf den Bedarf eines Singles).

Wer eine zusätzliche Umverteilung fordert, der kann dies nur mit einem Werturteil begründen, nicht aber mit dem Verweis auf eine Inkonsistenz des bestehenden Systems.

Er sollte bedenken, dass für den Aufstieg aus dem untersten Einkommenssegment die Aufnahme einer Beschäftigung fast alternativlos ist und der weitere Aufstieg in höhere Einkommensschichten dann zunehmend von dem Qualifikationsniveau abhängt.

• Bildung und Ausbildung: Die Verteilungsspanne bei den Einkommen kann nachhaltig nur auf diesem - zugegebenermaßen mühsamen - Weg reduziert werden.

• Erhöhungen in den Steuertarifen wären jetzt doppelt kontraproduktiv: fiskalisch und gesamtwirtschaftlich.

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