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Michael Hüther im Handelsblatt Gastbeitrag 16. September 2013

Wir leben von der Substanz

Deutschland steckt nicht genug Geld in seine Zukunft, warnt Michael Hüther, Direktor des Instituts der deutschen Wirtschaft Köln, im Handelsblatt.

Deutschland geht es gut. Diesen Eindruck vermittelt der Wahlkampf. Während die Regierenden so tun, als würde Hoffnung reichen, um aus den Erfolgen der letzten Jahre deren Fortsetzung zu ermöglichen, sehen die Oppositionsparteien Raum für Belastungstests im Stil der siebziger Jahre. Nirgends findet sich ein wirtschaftspolitisches Programm, das der Frage folgt, wie wir die Bedingungen für mehr Beschäftigung, Wachstum und Einkommen verbessern können. Das allgemeine Lob für das deutsche Geschäftsmodell wiegt Öffentlichkeit und Politik in wohliger Sicherheit.

Tatsächlich fällt im europäischen Vergleich die Robustheit der Wirtschaft auf. Die Arbeitslosigkeit konnte in den letzten acht Jahren deutlich reduziert werden, die Erwerbstätigkeit hat historische Höchstwerte erreicht. Die Konsolidierung des Staatshaushalts ist weit vorangeschritten. All das ist kein Selbstläufer, wie ein bedenklicher Befund zeigt: Wir sind in einer Investitionsschwäche. Nachdem im Jahr 2012 die Ausrüstungsinvestitionen um 4,0 Prozent geschrumpft sind, ist für dieses Jahr ein Rückgang um bis zu 2,5 Prozent zu erwarten. Das Investitionsniveau von 2008 ist noch lange nicht erreicht.

Nachdenklich macht der Tatbestand, dass Deutschland von 2001 bis 2012 gegenüber dem Durchschnitt des Euro-Raums eine Investitionslücke aufweist, die jahresdurchschnittlich bei 2,9 Prozent des Bruttoinlandsprodukts lag und aktuell nur durch die Schwäche bei den europäischen Partnern verschwunden ist. Kumuliert erreicht die Lücke 826 Milliarden Euro. Nun muss man das nicht zum Nennwert nehmen, denn wir konnten durch die Krise erleben, welche Investitionen wettbewerbsfähige Strukturen geschaffen haben und welche nicht. Die Ausbeute in Deutschland ist infolge des industriebasierten Geschäftsmodells sicher größer.

Dennoch besteht Anlass zur Sorge. Ein detaillierter Blick zeigt, dass die energieintensiven Branchen seit der Jahrtausendwende ihren Kapitalstock nicht mehr erhalten, also die Investitionen geringer sind als die Abschreibungen. Die übrigen Branchen haben dagegen wieder kräftiger investiert. Nachdem es angesichts verbesserter Angebotsbedingungen gelungen war, den Wachstumstrend der deutschen Volkswirtschaft von rund einem Dreiviertelprozent bis 2008 zu verdoppeln, sind wir seit der Weltwirtschaftskrise erneut deutlich zurückgefallen. Das Potenzialwachstum liegt absehbar bis zum Ende der neuen Legislaturperiode nur bei einen Prozent.

Ist dieser Tatbestand schon besorgniserregend, so steigt die Beunruhigung, wenn man die demografische Entwicklung in Deutschland berücksichtigt. Auch wenn durch stärkere Zuwanderung, vor allem aus den Krisenländern der Euro-Zone, die Bevölkerung noch im Trend stagniert, so führt die Alterung in Zukunft zu erheblichen Problemen. Das Erwerbspersonenpotenzial schrumpft, und die Produktivität erlahmt, die Sozialversicherungen werden einen Ausgabendruck erleben. Das muss kein Schrecken sein, wenn alles versucht wird, was die Produktivität steigert.

Keinesfalls darf hingenommen werden, wenn schon jetzt, da der demografische Wandel mit dem Fachkräftebedarf gerade erst Vorschatteneffekte der eigentlichen Veränderung zeitigt, das Potenzialwachstum so niedrig ausfällt wie erwähnt. Die Bevölkerungsentwicklung können wir allenfalls mittelfristig beeinflussen, gestalten können wir hingegen eine Reihe bedeutsamer Standortbedingungen. Da sind zu allererst Energiekosten und Steuerbelastung. Die Abgaben auf die Industriestrompreise haben sich seit 2007 fast vervierfacht, so stark wie nirgends sonst in Europa. Dass hier nach der Bundestagswahl gehandelt werden muss, um die Förderung erneuerbarer Energien grundsätzlich zu reformieren, leugnet niemand ernsthaft.

Die Erhöhung der Einkommensteuer, die Wiedereinführung der Vermögensteuer sind vermeidbare Belastungen. Die Steuereinnahmen steigen weiter kräftig, laut Steuerschätzung bis 2017 jahresdurchschnittlich um 3,3 Prozent. Damit sind Spielräume für öffentliche Infrastrukturinvestitionen da. Eine zusätzliche Verunsicherung der Investoren durch Androhen von Substanzbesteuerung, die wegen der gewünschten jährlichen Steuermehreinnahmen nicht vermeidbar sind, hat nicht nur keinen Sinn, sie ist gesamtwirtschaftlich widersinnig und das Gegenteil dessen, was nottut: neue Reformen für Innovation und flexible Strukturen.

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